Streit um Online-Auftritte "ARD und ZDF sind gut beraten, sich zurückzuhalten"
SPIEGEL ONLINE: Herr Sinner, können Sie uns etwas von öffentlichem Wert empfehlen, das Sie in letzter Zeit auf öffentlich-rechtlichen Webseiten entdeckt haben?
Eberhard Sinner: Ich besuche die Webseiten der BBC sehr häufig, und da erkenne ich eine Menge von "Public Value". Aber ich sehe mir zugegebenermaßen auch die Seiten vom ZDF und der ARD an, und auch die haben einiges zu bieten.
SPIEGEL ONLINE: Dinge, die die private Konkurrenz nicht zu bieten hätte?
Sinner: Nein, ich bin sehr oft im Internet unterwegs und lese dort auch, was private Presse- und Medienhäuser anbieten. Da bin ich sehr gut orientiert und weiß, dass man da die gleiche, mitunter auch bessere Qualität geboten bekommt.
SPIEGEL ONLINE: Der ZDF-Intendant Markus Schächter sieht das anders, verwahrt sich gegen jede Einschränkung seines Angebotes und begründet das damit, dass nur ARD und ZDF online Qualität garantierten. Seinen Kritikern wirft er "Zensur" vor. An anderer Stelle hieß es sogar, man wolle mit einem "Morgenthau-Plan" die Öffentlich-Rechtlichen in die mediale Steinzeit befördern. Arbeiten Sie, die Unions-Ministerpräsidenten Günther Beckstein und Günther Oettinger oder auch Hans-Joachim Otto von der FDP an einem Morgenthau-Plan?
Sinner: Das ist völlig abwegig. Was wir wollen, sind faire Bedingungen, sowohl für die Öffentlich-Rechtlichen als auch für die Privaten. Das heißt: eine eins-zu-eins-Umsetzung der Dinge, die wir in Brüssel ausgehandelt haben.
SPIEGEL ONLINE: Was sollten ARD und ZDF demnach denn dürfen, und was nicht?
Sinner: Sie sollen im Prinzip alles dürfen, was sendungsbegleitend ist, mit gewissen zeitlichen Beschränkungen. Sie dürfen auch noch mehr tun, als sie bisher gemacht haben. Was sie dagegen nicht aufbauen sollten, ist eine elektronische Konkurrenz zur Presse.
SPIEGEL ONLINE: Wie definieren Sie denn "elektronische Konkurrenz zur Presse", wenn es um ARD und ZDF geht?
Sinner: Das sind schriftliche Beiträge, die mit dem Programm selbst nichts mehr zu tun haben, wie zum Beispiel eine elektronische Tageszeitung. Auch wenn etwa eine regionale Berichterstattung geleistet wird, müssen die Alarmglocken schrillen. "Tagesschau", Foren, Chats hingegen, das sind ja alles Dinge, die machbar sind. Anders sieht das auch aus, wenn im Internet Flirt-Kanäle oder umfassende Ratgeber-Angebote angeboten werden.
SPIEGEL ONLINE: Wobei die Engagements ja ständig ausgebaut, also schon Tatsachen geschaffen werden
Sinner: Ja, darüber sind auch wir nicht so begeistert. Und ich weiß, dass das in Brüssel sehr genau verfolgt wird. ARD und ZDF sind gut beraten, sich hier etwas zurückzuhalten.
SPIEGEL ONLINE: Aber man kann denen doch nicht verbieten, im Internet die Zielgruppen unter 60 anzusprechen, die sie mit ihrem Fernsehprogramm nur noch schwer erreichen?
Sinner: Das will auch keiner. Wir wollen, das dort Qualität geboten wird. Das sollte schon zum öffentlich-rechtlichen Auftrag passen. Angebote ohne publizistischen Mehrwert sollen nicht im Wettbewerb zu kommerziellen Projekten stehen, die von der Privatwirtschaft bereits angeboten werden.
SPIEGEL ONLINE: Wie zum Beispiel einen Nachrichtenkanal? Den sollte die ARD eigentlich nicht aufbauen dürfen, hat es nun aber mit "Eins extra" im ARD-Digital-Paket quasi durch die Hintertür getan.
Sinner: Nachrichten sind öffentlich-rechtliches Kerngeschäft. Aber ein neues Angebot muss mit dem verglichen werden, was auf dem Markt bereits vorhanden ist und den von Brüssel eingeforderten Public-Value-Test durchlaufen. Man muss sehen, welchen Mehrwert es für die Öffentlichkeit bringt, was es kostet und wie es die geschäftlichen Möglichkeiten privater Veranstalter beeinträchtigt. Es darf nicht so sein, dass mit Hilfe von gebührenfinanzierten Programmen die Spielräume für private Anbieter so verengt werden, dass die Rundfunk- und Medienlandschaft leidet, einseitig wird.
SPIEGEL ONLINE: Kurt Beck hat den einschränkenden Passus über die "elektronische Presse" in Mainz mehr oder minder für nichtig erklärt. Spricht der Vorsitzende da für die Rundfunkkommission der Länder?
Sinner: Mit Sicherheit nicht. Zumindest hat die Rundfunkkommission darüber noch nicht entschieden. Der Passus ist im Text und wird noch verhandelt. Einschränkungen des Internetauftritts sind Teil der Dinge, die wir mit der Europäischen Kommission in Brüssel ausgehandelt haben. Da war übrigens auch Rheinland-Pfalz mit dabei.
SPIEGEL ONLINE: Hätte Beck in Anbetracht der Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Rundfunkkommission überhaupt Chancen, sich mit seinen Ansichten durchzusetzen?
Braucht Deutschland eine Reform der Rundfunkaufsicht?
Sinner: Auch Kurt Beck weiß, dass wir in eine Neuauflage der Brüsseler Diskussionen kämen, und das könnte ich niemandem empfehlen. 2009 gibt es eine neue Kommission. Wir sollten alles tun, bis dahin Rechtssicherheit zu erreichen, weitere, jahrelange Diskussionen in Brüssel zu vermeiden und die EU-Kommission nicht erneut in eine Schiedsrichterrolle hineinzudrängen. Das würde weder der Entwicklung des öffentlich-rechtlichen noch des privaten Rundfunks, noch der restlichen Medienlandschaft in Deutschland nutzen.
SPIEGEL ONLINE: Bis zur Beck-Rede in Mainz war von dieser Uneinigkeit wenig zu hören. Woran liegt das?
Sinner: Schwer zu sagen. Wir waren uns eigentlich relativ einig, bis Kurt Beck auf den Mainzer Medientagen aus für mich schwer verständlichen Gründen diese Dinge geäußert hat. Das hat mich gewundert, denn die Ministerpräsidenten stehen in einer Verantwortung, gemeinschaftlich dafür Sorge zu tragen, dass wir unsere medienpolitische Entscheidungskompetenz nicht an Brüssel verlieren. Denn das droht, wenn der Streit um solche Fragen bis zum Europäischen Gerichtshof geht. Dann könnte letzten Endes jede Gebührenfrage irgendwann in Brüssel entschieden werden.
SPIEGEL ONLINE: Sie halten den Entwurf zum Rundfunkänderungsstaatsvertrag für eine gelungene Umsetzung des Brüsseler Kompromisses?
Sinner: Es geht uns um eine Balance der Interessen beider Seiten. Der Entwurf wird dem gerecht, was Brüssel unter den Wettbewerbsbedingungen des Binnenmarktes fordert. Wir brauchen eine klare ordnungspolitische Linie. An den Nuancen kann man noch feilen, aber die Grundlinie stimmt. Das sollten wir auch versuchen, durchzuhalten und an diesem Punkt nicht weich zu werden.
SPIEGEL ONLINE: Als vorbildlich gilt die Kontrolle der BBC durch ein unabhängiges Expertengremium, den BBC Trust. Hans-Joachim Otto (FDP) fordert Ähnliches für Deutschland. Wie stehen Sie dazu?
Sinner: Ich sehe das, was die BBC da macht, durchaus als sehr positives Beispiel. Wir stehen allerdings unter einem nicht zu unterschätzenden Zeitdruck. Eine Systemumstellung bräuchte Zeit. Der Rundfunkänderungsstaatsvertrag muss aber bis Mai 2009 in Kraft treten. In unserem System müssen die Gremien zeigen, dass sie in der Lage sind, einen Public-Value-Test durchzuführen. Auch unter Einbeziehung externer Expertise. Diesen Weg müssen wir erst einmal gehen, bevor wir darüber nachdenken, neue Behörden aufbauen zu wollen.
SPIEGEL ONLINE: Was genau definiert der Rundfunkänderungsstaatsvertrag, wie beeinflusst er die Arbeit der Öffentlich-Rechtlichen?
Sinner: Die staatsvertragliche Regelung beschreibt den öffentlich-rechtlichen Auftrag. Dazu gehört neben Bildung, Information und Kultur auch Unterhaltung. Er macht Vorgaben, was für Programme in welchem Umfang zu leisten sind. Der entscheidende, neue Punkt ist nun dieser Public-Value-Test für neue Angebote: Er fragt, ob ein Programm dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entspricht und damit verbunden auch danach, was bereits von Seiten der Wettbewerber auf dem Markt ist - und er fragt, was es kostet. Am Ende steht dann ein Ja oder Nein zu einer Entscheidung. Ich halte das für ein sehr gutes Verfahren.
SPIEGEL ONLINE: Aber funktioniert die Kontrolle wirklich? Kontrollieren sich die öffentlich-rechtlichen nicht eigentlich selbst? Kurt Beck ist zugleich Vorsitzender des ZDF Verwaltungsrates und der Rundfunkkommission der Länder. Wie staats- und wie parteienfern ist unser Rundfunk wirklich?
Sinner: Die Frage ist sicher berechtigt.
SPIEGEL ONLINE: Am Ende hängt alles an den Ländern, die den Verträgen zustimmen müssen
Sinner: Ja, am Ende haben die Länder die Verantwortung. Hier entscheidet sich unter Umständen die Zukunftsfähigkeit der Medienpolitik der Länder. Wenn das Endergebnis so aussähe, dass wir die Medienpolitik quasi an Brüssel abgeben, weil wir nicht in der Lage sind, zu einer Einigung zu kommen und den Kompromiss mit Brüssel umzusetzen, dann wäre das keine Sternstunde des Föderalismus.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt doch so, als bräuchte es mehr als nur einen neuen Staatsvertrag - wie wäre es mit einer Reform des Systems nach britischem Vorbild? Selbst ausgesprochene Unterstützer der öffentlich-rechtlichen Positionen wie der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister können sich das vorstellen. Sie auch?
Sinner: Es ist sicher ein interessanter Ansatz, aber in Anbetracht des Zeitdrucks, unter dem wir stehen, zurzeit nicht realistisch. Wir müssen ein gemeinsames Interesse daran haben, sehr schnell ein plausibles Konzept für die Öffentlich-Rechtlichen vorzulegen. Umso weniger kann ich verstehen, warum jetzt diese ganze Kriegsrhetorik ins Spiel gebracht wird. Wir haben nur diesen Sommer Zeit, wir müssen die Ratifizierung vorbereiten. Es bringt der deutschen Medienlandschaft keinen Gewinn, weitere Jahre zu verschwenden. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Kontrollfunktion der Gremien. In Zukunft mag man weitere Optionen entwickeln. Jetzt aber muss der erste Schritt gemacht werden, und der darf kein Rückschritt sein.
Interview: Frank Patalong