Selbstzensur im Netz Facebook erforscht, warum Nutzer auf Postings verzichten

Junger Facebook-Nutzer: Auch die Entwürfe werden erfasst
Foto: A3250 Oliver Berg / picture alliance / dpaEs gibt Momente, in denen man zögert, ob etwas Bestimmtes bei Facebook veröffentlicht werden sollte oder nicht. Man hat die Statusmeldung eingegeben, der Mauszeiger ruht auf dem "Posten"-Button, doch dann entscheidet man sich, dass es vielleicht doch zu provokant, zu gewagt oder einfach zu belanglos ist - und löscht die Eingabe wieder. Doch in diesem Moment hat der Browser die Eingabe der Daten bereits registriert, und Facebook speichert dieses Verhalten.
Unter dem Arbeitstitel "Self-Censorship" (Selbstzensur) geht der Konzern der Frage nach, wie häufig Nutzer Statusmeldungen für sich behalten. Der eigens für das Projekt abgestellte Datenanalyst Adam Kramer erforschte gemeinsam mit dem Doktoranden Sauvik Das das Selbstzensur-Verhalten von rund vier Millionen Nutzern über einen Zeitraum von 17 Tagen. Laut ihrer Studie betreiben 71 Prozent der von ihnen beobachteten User die Last-Minute-Zensur mindestens einmal. Dabei werden Statusmeldungen häufiger zurückgehalten als Kommentare.
Die Forscher haben nach eigenen Angaben lediglich das Zurückhalten von Kommentaren registriert, nicht "Tastatureingaben oder Inhalte", wie es in der Studie ausdrücklich heißt.
Ein Publikum, das schwer zu bestimmen ist, löse bei Nutzern laut Studie häufiger den Reflex aus, einen Post zu verwerfen. Anders verhält es sich bei Kommentaren unter Beiträgen von Freunden. Dies vermittele den Eindruck, nur in einem konkreten Kontext wahrgenommen zu werden, und führe deswegen auch seltener zum Widerruf der Eingabe.
Gerade Werbung soll wirtschaftlich sinnvoll platziert werden
Als einen der möglichen Gründe für das Verwerfen von Statusmeldungen geben die Forscher an, Nutzer würden mit ihren Beiträgen nicht die Timeline von Menschen fluten wollen, die der jeweilige Inhalt nicht betrifft. Dementsprechend müsse Facebook über die bisherigen Privatsphäre-Einstellungen hinaus Möglichkeiten schaffen, Statusmeldungen anwenderfreundlich an bestimmte Gruppen oder Kontexte zu richten ("audience selection tools").
Dahinter verbirgt sich auch ein wirtschaftlicher Gedanke. Das soziale Netzwerk lebt davon, dass Menschen sich offenbaren. Würde die Selbstzensur um sich greifen, wäre die Timeline irgendwann ein statisches Gebilde aus Nachrichten und wahlloser Werbung. Gerade die Werbung gilt es jedoch, in persönlich relevanten Kontexten zu platzieren.
In der Studie heißt es, bisher sei der Fokus der Untersuchungen nur auf die Häufigkeit und das Umfeld der Selbstzensur gerichtet. Der konkrete Inhalt bleibe den Analysten verborgen. Dennoch entsteht der Eindruck, die technische Möglichkeit, die verworfenen Eingaben zu lesen, sei gegeben.
"Jedes Mal, wenn du Facebook nutzt, erhalten wir Daten"
Die "Datenverwendungsrichtlinien " geben keinen Aufschluss darüber, dass Eingaben in Textfelder schon vor dem Posten registriert werden. Der Unterpunkt "Informationen, die wir erhalten, und ihre Verwendung" listet zwar zahlreiche Beispiele von Daten und Metadaten auf, die jeder User unweigerlich mitteilt. Dass aber auch das Verhalten erfasst wird, das sich vor dem Posten eines Beitrags abspielt, ist dort nicht angegeben.
Auf Anfrage des amerikanischen Online-Magazins "Slate " bei Facebook argumentiert ein Sprecher, die Erfassung der abgebrochenen Statusmeldungen und Kommentare sei durch die Richtlinien getragen. Dort heißt es: "Jedes Mal, wenn du Facebook nutzt oder aufrufst, erhalten wir Daten über dich, beispielsweise, wenn du die Chronik einer anderen Person aufrufst […] oder auf sonstige Art mit ihnen interagierst."
Dass das Verwerfen einer Statusmeldung als Interaktion gewertet wird, dürfte für viele Nutzer neu sein. Im Fazit der Studie von Kramer und Das heißt es: "Mit dieser Arbeit haben wir Antworten auf die Frage gefunden, wo und warum Selbstzensur in sozialen Medien stattfindet. In einem nächsten Schritt wollen wir verstehen, was und warum zensiert wird."
Männer löschen demnach ihren unveröffentlichten Status übrigens öfter als Frauen. Das treffe besonders dann zu, wenn ihre Freunde überwiegend männlich sind. Die Forscher führen das darauf zurück, dass Männer grundsätzlich seltener zur Selbstoffenbarung neigen.