

Verfahren am Landgericht Bonn Wie sich Telegram gegen eine Millionenstrafe in Deutschland wehrt

Liebe Leserin, lieber Leser!
Über zwei Jahre ist es inzwischen her, dass das Bundesamt für Justiz (BfJ) zwei Bußgeldverfahren gegen den Betreiber der Chat-App Telegram eröffnet hat. Doch bei der Rechtsdurchsetzung gibt es auch für die zum Justizministerium gehörende Bonner Behörde keine Abkürzungen. Abgeschlossen ist das Verfahren noch nicht, auch wenn es seit Ende April immerhin beim Bonner Amtsgericht liegt.
Dort sind die beiden Bußgeldverfahren gelandet, weil das BfJ gegen Telegram ein Bußgeld von insgesamt gut 5,1 Millionen Euro verhängt hat – wogegen sich Telegram wiederum wehrt. Das Bundesamt wirft Telegram zwei Verstöße gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vor:
Erstens sollen Nutzerinnen und Nutzer keine angemessene Möglichkeit haben, potenziell strafbare Inhalte in der App an das Unternehmen zu melden. Die Vorgabe soll etwa dabei helfen, verbotene Beleidigungen oder extremistische Inhalte auf Social-Media-Plattformen zurückzudrängen.
Zweitens soll das Unternehmen keinen sogenannten inländischen Zustellungsbevollmächtigten ernannt haben. Das ist Internet-Regulierungsdeutsch und bedeutet im Wesentlichen, dass die Betreiber für deutsche Behörden erreichbar sein müssen.
Doch Telegram war für den deutschen Staat jahrelang nicht greifbar. Offiziell registriert ist das Unternehmen im 23. Stock eines Büroturms in Dubai, doch SPIEGEL-Recherchen zeigten schon 2021, dass die Büros offenbar verwaist sind. Dementsprechend konnten auch die Schreiben des Bundesamts dort nicht zugestellt werden.
Renommierte Kanzlei vertritt Telegram
Inzwischen hat Telegram nach SPIEGEL-Informationen aber für das Verfahren die renommierte Anwaltskanzlei White & Case beauftragt. Die Kanzlei beschäftigt zahlreiche Topjuristen, auch Bundesjustizminister Marco Buschmann war einst für sie tätig.
White-&-Case-Anwälte haben bereits beim Bundesamt für Justiz Einspruch eingelegt. Nach SPIEGEL-Informationen argumentieren sie unter anderem ausgerechnet damit, dass die Bußgeldbescheide falsch adressiert wurden. »Nach Einlassung der Betroffenen sei Betreiberin der Telegram-Dienste nicht die Telegram FZ-LLC, sondern die Telegram Messenger Inc.«, hieß es dazu von einem Sprecher des Bonner Amtsgerichts.
Telegrams Anwälte haben beim Amtsgericht Bonn noch einmal angekündigt, weitere Begründungen für ihren Einspruch einzulegen. Die Richterin und der Richter, die mit dem jeweiligen Verfahren befasst sind, werden erst anschließend darüber entscheiden, ob und wann es zu einer Verhandlung vor dem Amtsgericht kommt. Mit weiteren Schritten in dem Verfahren wird erst nach dem Sommer gerechnet. Telegram ließ eine Anfrage unbeantwortet. (Lesen Sie hier mehr über das Verfahren.)
Opposition kritisiert Regierung für den Umgang mit Telegram
Die Linkenpolitikerin Anke Domscheit-Berg kritisiert, dass die Bundesregierung nicht in der Lage sei, ihr Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Netz durchzusetzen. »Dass es Jahre dauerte, bis überhaupt das Fehlen eines nationalen Zustellbevollmächtigten von der Bundesregierung mit einem Bußgeldentscheid an Telegram geahndet wurde, ist an sich schon ein Witz«, so Domscheit-Berg.
CDU-Politiker Reinhard Brandl wiederum kritisiert, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser in ihrem Umgang mit Telegram gescheitert sei. »Sie hat sich monatelang nur hinhalten lassen«, so Brandl. Dabei bezieht er sich auf den Austausch, den das Innenministerium ab Januar 2022 mit Telegram etablieren konnte.
Aus dem Ministerium hieß es dazu, dass es weiterhin eine Zusammenarbeit zwischen Telegram und dem Bundeskriminalamt gebe – bei Löschersuchen wegen strafbarer Inhalte. »In anderen Bereichen sehen wir allerdings weiter Verbesserungsbedarf«, so eine Ministeriumssprecherin. (Lesen Sie hier mehr zur holprigen Kooperation zwischen Telegram und deutschen Strafverfolgern.)
Unsere aktuellen Netzwelt-Lesetipps für SPIEGEL.de
»Internetstars und ihr vergeblicher Kampf gegen falsche Notrufe« (13 Leseminuten)
Immer wieder werden Internetstars in Deutschland Opfer von Swatting. Dabei stehen nach falschen Notrufen plötzlich Feuerwehr oder Polizei vor ihrer Tür. Ausgerechnet eine App der Bundesländer wird für anonyme Fake-Notrufe zunehmend missbraucht – trotzdem gibt es bei deutschen Strafverfolgungsbehörden keine spezialisierten Ermittlungsgruppen für das Problem.»Ein Thronfolger, der kaum Vorschriften macht« (fünf Leseminuten)
Gefühlt spielt gerade die halbe Gaming-Welt »The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom«. Unser Spiele-Experte Matthias Kreienbrink hat getestet, was die Neuauflage aus der legendären Spielereihe taugt.»Wie ein Schweizer IT-Unternehmer weltweite Überwachung ermöglicht« (12 Leseminuten)
Sicherheitslücken im Telefonnetz gefährden die Daten von Millionen Handynutzern weltweit. Die Infrastruktur für die Angriffe der Hacker liefert oft ein Basler Unternehmer mit einem bizarren Geschäftsmodell, wie eine internationale Recherchekooperation zeigt.
Fremdlinks: Drei KI-Tipps aus anderen Medien
» Wie ChatGPT mich zur Verzweiflung treibt « (sechs Leseminuten)
OpenAI erlaubt es inzwischen, Informationen aus dem Datenbestand von ChatGPT zu löschen. Doch praktischen Wert hat dieses Angebot bisher nicht, wie der IT-Journalist Friedhelm Greis im Selbstversuch feststellen musste.»Scammer Made Thousands Selling ›Leaked‹ Frank Ocean Tracks That Were Fake, AI-Generated » (Englisch, fünf Leseminuten)
Die Fans des US-Soulsängers Frank Ocean sind bekannt dafür, neuen Veröffentlichungen leidenschaftlich entgegenzufiebern. Wie das US-Magazin »Motherboard« berichtet, machte sich das nun ein Betrüger zunutze. Der verkaufte in speziellen Fanforen vermeintlich neue, geleakte Songs, die in Wahrheit jedoch KI-generiert waren. Als langjähriger Hörer von Frank Ocean muss ich gestehen, dass ich die Songs selbst nicht unmittelbar als Fake identifizieren konnte – zum Glück habe ich nicht für sie bezahlt, sondern konnte sie im Artikel der Kollegen anhören.»KI mit Soße« (drei Leseminuten)
Im Burda-Verlag ist ein Rezeptheft erschienen, bei dem Text und Bilder weitgehend von einer KI und nicht von Journalisten erschaffen wurden – ohne dass dies kenntlich gemacht wurde. Immerhin ging es dabei um Pastarezepte, bei denen die künstliche Intelligenz wohl auf mehr als genug Traningsdaten im Netz zurückgreifen kann. Aus eigener Erfahrung möchte ich ihnen davon abraten, sich ein Weihnachtsmenü mit allzu ausgefallenen Vorgaben von einer KI erstellen zu lassen. Lesen Sie hier, warum.
Ich wünsche Ihnen eine gute restliche Woche mit leckerem Essen und guter Musik.