Bericht zu Terrorpropaganda im Netz Wie Islamisten Jugendliche online ködern
Auch Terrorgruppen wissen, wie die Medienwelt 2019 aussieht. Sie ködern Kinder und Jugendliche über beliebte Onlinekanäle wie Messenger oder soziale Netzwerke und knüpfen mit ihrer Propaganda an aktuelle Debatten, Comics oder auch Computerspiele an, heißt es im Bericht "Islamismus im Netz 2018" : So wollen sie mit jungen Internetnutzern ins Gespräch kommen.
Hinter dem Bericht, der am Dienstag veröffentlicht wurde, steht die Aufklärungsstelle Jugendschutz.net. Sie warnt, dass islamistische Terrorpropaganda in sozialen Netzwerken weit verbreitet sei, diversen Gegenmaßnahmen von Konzernen wie Facebook zum Trotz.
"Für islamistische Akteure sind Instagram, YouTube und Telegram ein ideales Rekrutierungsfeld", sagt Stefan Glaser, Leiter von Jugendschutz.net. Zwar sei ein Rückgang von strafbaren Angeboten festzustellen. Das Gefährdungspotenzial für junge Internetnutzer habe sich aber kaum verringert. "Die mobile Nutzung dieser Dienste gehört für Kinder und Jugendliche zum Alltag, sodass sich die Ansprache leicht außerhalb der Einflussräume von Eltern oder Bezugspersonen vollziehen kann", so Glaser.
Dem Bericht zufolge sind Islamisten auf vielen Social-Media-Plattformen aktiv: Dabei sprechen sie Kinder und Jugendliche auf ihre "Lebenswelten, Seh- und Nutzungsgewohnheiten" zugeschnitten an.
"Ziel ist es, mit vielen Social-Media-Angeboten auch junge Userinnen und User zu erreichen, die bislang keine Berührung mit extremistischen Gruppierungen hatten", schreiben die Autoren: "Damit die Propaganda möglichst viele wahrnehmen, greifen islamistische Akteure gezielt aktuelle Debatten, aber auch jugendkulturelle Phänomene auf."
Anspielungen auf Kinofilme
Für ihre Propaganda verfremden die Gruppen demnach zum Beispiel Elemente aus bekannten Comics, Games oder Filmen. Als Beispiel erwähnt wird ein Logo des amerikanischen Actionfilms "Marvel's The Avengers: Infinity War", das zur Werbung für das "Kalifat" umgestaltet wurde. Die Inhalte seien zudem an unterschiedliche Zielgruppen angepasst, heißt es: Je nach anvisiertem Publikum würden Videos und Bilder etwa eher junge Männer oder junge Frauen zeigen.
Islamisten nutzen dem Bericht zufolge im Netz noch weitere Taktiken: So appellieren sie beispielsweise an das Gerechtigkeitsgefühl der Jugendlichen oder nutzen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung, um Hass gegen die Gesellschaft aufzubauen. So sei etwa die Rassismusdebatte um Mesut Özil und seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft ein Anknüpfungspunkt für Islamisten gewesen.
Jugendliche würden zudem für Netzkampagnen aktiviert. Erwähnt wird in diesem Kontext die Twitter-Aktion #NichtohnemeinKopftuch, die gegen ein angeblich drohendes Kopftuchverbot in Deutschland mobilisierte.
Islamistische Verschwörungstheorien sollen derweil Misstrauen gegen den Staat schüren, bemerken die Autoren: Nachdem der Attentäter nach seinem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Straßburg 2018 von der Polizei erschossen wurde, hätten Islamisten in sozialen Medien das Gerücht verbreitet, das Attentat sei eine "Inszenierung" gewesen, um von den Gelbwesten-Protesten in Frankreich abzulenken und den Islam schlecht darzustellen.
Zahlreiche Angebote ausgewertet
Manche Terrorpropaganda im Netz ist subtil, manche explizit. "Mit Bildern und Videos wird der Dschihad auf bei Jugendlichen beliebten sozialen Medien glorifiziert und als heroischer und einzig wahrer 'gottesfürchtiger' Lifestyle in Szene gesetzt", konstatierten die Autoren. Bei Instagram etwa würden "harmlos wirkende, schick inszenierte Alltagsbilder oder beliebte Hashtags" verbreitet.
Islamisten würden sich dabei den Explore-Feed der Plattform zunutze machen, kritisiert Jugendschutz.net. Das bedeutet: Wenn Nutzer bestimmte Schlagworte suchen, zeigt ihnen der Algorithmus zukünftig vermehrt ähnliche Angebote an - auch im Fall von Terrorpropaganda.
Insgesamt hat Jugendschutz.net 19.200 Onlineangebote mit islamistischen Inhalten ausgewertet. Eine Erkenntnis dieser Untersuchung ist, dass die Zahl deutschsprachiger Propagandainhalte des "Islamischen Staats" (IS) wie Hinrichtungsvideos im Vergleich zu früheren Jahren zurückgegangen ist. Vor allem über den Telegram-Messenger verbreiten IS-Sympathisanten dennoch weiterhin Aufrufe, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen und Attentate in westlichen Gesellschaften durchzuführen, warnen die Autoren.
Bei 649 Beiträgen in sozialen Medien wurden insgesamt 872 Verstöße gegen jugendschutzrechtliche Bestimmungen dokumentiert, heißt es. In mehr als der Hälfte der Fälle seien Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie dem IS verbreitet worden.
Auch Leidensdarstellungen von Opfern und seltene Terrorvideos fanden die Forscher im Internet. Durch "gute Kontakte" von Jugendschutz.net zu den Plattformen sei der Großteil des Materials schnell gelöscht worden, betonen sie: YouTube entfernte demnach 99 Prozent der gemeldeten Beiträge, Facebook 82 Prozent, Instagram 98 Prozent. Die Messenger-App Telegram dagegen habe nur 58 Prozent der Verstöße beseitigt.
Härteres Vorgehen erwünscht
Die Onlineplattformen sollen künftig stärker gegen das Phänomen vorgehen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat am Dienstag angekündigt, den Schutz von Jugendlichen vor digitalem Terrorismus mit einem überarbeiteten Gesetzentwurf für den Jugendmedienschutz anzugehen, der noch 2019 vorgelegt werden soll. "Ziel ist, die Betreiber stärker in die Pflicht zu nehmen - zum Beispiel durch sichere Voreinstellungen in Onlinechats, niedrigschwellige Melde- und Hilfesysteme oder klare Alterskennzeichnungen", so Giffey.
"Besonders empfänglich sind die Jugendlichen, die selber Diskriminierung erfahren haben, sich ausgegrenzt und benachteiligt fühlen", kommentierte die Bundesfamilienministerin den Bericht zum Islamismus im Internet. "Politik muss gegensteuern und darf islamistischen Akteuren nicht das Feld überlassen. Jugendliche und junge Erwachsene müssen in ihrem Selbstverständnis als Teil der Gesellschaft gestärkt werden."
Auch weitere Projekte wie die Präventionsbroschüre "Salafismus Online" für Schulen und Jugendarbeit sollen dazu beitragen, dass Jugendliche für Beeinflussungsversuche im Internet sensibilisiert werden.