Buchhandelsriese
Wie Thalia die Digitalisierung überleben will
Thalia schließt Filialen, investiert in DVD-Verkauf und Digitalangebote: Der Buchhandelsriese baut sein Geschäft radikal um und plant offenbar ein Thalia-Tablet. Probleme und Erfolge der Kette könnten eine Lehre für die ganze Buchbranche sein.
Thalia-Filiale in Wuppertal: Das Filialgeschäft schrumpft
Foto: Bernd Thissen/ picture alliance / dpa
Deutschlands größte Buchhandelskette ist mal wieder in den Schlagzeilen - Thalia macht 20 seiner knapp 300 Filialen dicht, melden Mediendienste. Das klingt nach Krise, allerdings sind 14 dieser Filialen schon lange zu, Thalia hatte die Schließungen 2012 angekündigt. In Hamburg, Bremen und Zeitz (Sachsen-Anhalt) bleiben die betroffenen Geschäfte noch für das Weihnachtsgeschäft offen.
Die Schließungen sind Folge eines massiven Umbaus bei der lange kriselnden Firma. Vor ein paar Jahren galt Thalia in der Branche noch als Konzern, der lokale Buchhandlungen plattmacht und Verlage unter Druck setzt. Heute ist Amazon der Böse. Verlage und selbst einige Händler hoffen, dass Thalia sich fängt und die Tolino-Plattform als alternativen Digital-Vertriebsweg zu Amazon voranbringt. Thalia verspricht, dass kleine Buchhandlungen irgendwann über die Tolino-Plattform verkaufen können - wie auch immer das im Detail funktionieren soll.
Große Aufgaben für eine Firma, die in den vergangenen Jahren Verluste machte. Ende September sind die 18 Monate vorbei, die das Sanierungs- und Digitalisierungsprogramm von Thalia-Geschäftsführer Michael Busch dauern sollte. Zeit für eine erste Bilanz.
Schrumpfendes Analoggeschäft, milliardenschwere Digitalkonkurrenz, riskante Filialexperimente: Die größten Probleme der Buchhandelsketten im Überblick - und wie Thalia sie angeht.
1. Der Umsatz schrumpft, Filialen schließen
Top 5 der größten Buchhandlungen in D/A/CH (Umsatz in Mio. Euro)
Thalia ist noch immer Deutschlands größter Filialbuchhändler, knapp eine Milliarde Euro nimmt die Kette jedes Jahr ein. Doch zuletzt sank der Umsatz. Einer Analyse des Branchenmagazins "Buchreport" zufolge schrumpfte Thalia 2012 um 3,1 Prozent. So geht es auch anderen großen Ketten, laut der Auswertung verloren auch Hugendubel, Weltbild und Mayersche im selben Zeitraum. Aus den Thalia-Bilanzen kann man herauslesen, dass das am Kerngeschäft lag: In den Filialen gaben die Kunden weniger Geld aus.
Geschäftsführer Busch: "Die Zeit der ganz, ganz großen Buchläden ist vorbei. Ganz groß ist alles über 2000, 2500 Quadratmeter. Das geht nur in Ausnahmen gut, 1A-Lagen in Top-Städten."
Doch umsatzschwache und unrentable Standorte zu schließen kann nur ein Element einer Strategie sein. Zumal Thalia in spätestens sechs Monaten wieder Gewinn machen will.
2. Umsatzwachstum ausgerechnet durch DVDs, CDs, Spielzeug
Thalia hat das Angebot von Film-DVDs, Musik-CDs, Spielen und Geschenkartikeln in den Filialen ausgebaut. Inzwischen bringen diese Produkte 25 Prozent des dortigen Umsatzes. Den will Busch auf 30 Prozent steigern, aber nicht mehr: "Kerngeschäft ist das Buch." Die Strategie geht derzeit auf, ein großer Teil es Umsatzwachstums in Filialen dürfte dem Boom bei DVDs zu verdanken sein. Gekauft werden nicht die Blockbuster, sondern ausgewählte Backlist-Titel. Thalias DVD-Bestseller in den Filialen ist seit Monaten "My Fair Lady". Ein Vorteil für den Konzern: Bei so einem Angebot muss man nicht der billigste Anbieter sein.
Nimmt man die Hinweise von Thalia auf die ungefähre Umsatzverteilung im Geschäftsjahr 2012/2013 zusammen, ergibt sich folgender Mix:
circa 60 Prozent aus dem Verkauf gedruckter Bücher in Filialen
circa 20 Prozent DVD/Musik/Spiele in Filialen
circa 14 Prozent Online-Versand von Thalia.de
circa 6 Prozent E-Book-Verkauf
Doch Thalia wächst hier in schrumpfenden Märkten. Media Markt reduziert die CD-Verkaufsfläche, Thalia vergrößert sie für eine buchnahe Zielgruppe. Wenn die Verkäufe physischer Trägermedien in Deutschland weiter fallen, geht dieses Geschäftsmodell irgendwann nicht mehr auf. Thalia kauft sich Zeit.
3. E-Reader, Tablet - Digitales boomt und kostet
Das Online-Geschäft bringt Thalia inzwischen 20 Prozent des Gesamtumsatzes. Der größte Teil kommt aus dem Versand, E-Books bringen nur sechs bis sieben Prozent Umsatzanteil (Thalia spricht von "branchenüblichen" Werten). Das Wachstum ist enorm, allerdings sagt Thalia nichts über Profitabilität.
Fest steht: Die Kette hat einen siebenstelligen Betrag für IT-Infrastruktur bezahlt, auch die Entwicklung des Tolino-Lesegeräts dürfte einiges gekostet haben. Wahrscheinlich verliert Thalia mit jedem verkauften E-Reader Geld. Dass die Hardware ein Zuschussgeschäft ist, deutet zumindest der Chef des Tolino-Partners Weltbild an. Aber Thalia verbrennt nicht Hunderte von Millionen fürs Digitalgeschäft wie der US-Händler Barnes & Noble mit seinem Nook. Und: Der E-Reader Tolino Shine ist ein gutes Gerät.
Doch Thalia muss mit seinen E-Readern und Lese-Apps einen großen Marktanteil erzielen, sonst lohnt sich das Geschäft kaum. Die Investitionskosten teilt sich das Unternehmen mit den Tolino-Partnern Weltbild, Hugendubel und Bertelsmann Buchclub. Es wird sich zeigen, wie schnell man in dieser Konstellation Hard- und Software weiterentwickeln kann. Als nächstes dürfte ein Tolino-Tablet anstehen.
Thalia-Chef Busch sagt: "Wer auf Augenhöhe mit den großen internationalen Konkurrenten agieren will, kommt am Tabletmarkt kaum vorbei." Auf die Nachfrage sagt er, Thalia habe noch einen Pressetermin bei der Buchmesse - vielleicht ein Hinweis auf eine Produktvorstellung.
4. E-Books und Versand laufen neben dem Filialgeschäft
Die Synergien zwischen dem Digital- und Filialgeschäft von Thalia sind überschaubar. Wichtige Ausnahme: Thalia verkauft die Mehrzahl der E-Reader in den Filialen. Geschäftsführer Busch: "Der Anteil wächst, weil nicht mehr nur Early Adopter kaufen." Thalia baut den Service für Käufer aus, etwas, das Amazon etwa mit seinem Notrufknopf versucht. Bei Thalia erklären Mitarbeiter in den Filialen die Geräte Schritt für Schritt.
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Tolino Shine: So sieht der deutsche Kindle aus
Viele Buchhändler empfehlen in Thalia Blogs zudem sehr rege und persönlich Werke. Und Ende des Jahres sollen Online-Käufer ein bestimmtes, lieferbares Buch in einer Filiale in ihrer Nähe finden und reservieren können. Da müsste noch einiges mehr an Verzahnung und Kundenbindung gehen.
5. Amazons langfristige Strategie
Im Moment scheint die Thalia-Strategie aufzugehen: Kleinere Flächen, ein unkonventionell erweitertes Sortiment und Investitionen ins Digitale bringen Umsatzwachstum. Doch Amazon verleiht DVDs, produziert Filme, experimentiert mit Flatrates für ausgewählte E-Books, verlegt Genre-Literatur, die exklusiv und oft sehr günstig auf der eigenen E-Book-Plattform verkauft wird. Thalia hingegen verkauft digitale und gedruckte Verlagsbücher, DVDs und CDs. Visionär ist das noch nicht.
18 BilderTolino Shine: So sieht der deutsche Kindle aus
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Tolino Shine (links) und Kindle Paperwhite: Beide E-Reader haben E-Ink-Bildschirme, die sehr wenig Strom verbrauchen, beide haben eine hohe Auflösung und einen hohen Kontrast durch die Beleuchtung.
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Größenvergleich: Das Tolino ist etwas länger (0,5 cm) und leichter (30 Gramm weniger) als der Kindle Paperwhite.
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Glatte Rückseite: Die Kunststoffhülle des Tolino ist glatt, aber leicht mattiert - ähnlich wie die des Kindle Paperwhite.
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Lesefortschritt: Die Tolino-Software gibt die Leseposition in Seitenzahlen an, der Kindle schätzt die noch verbleibenden Leseminuten.
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Tolino (Mitte), Pocketbook 622 und Kindle Paperwhite: Die größten deutschen Buchhandelsketten haben einen E-Reader mit Touchscreen entworfen, auf dem sich aber kein Text markieren lässt.
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Niedliche Gestaltung: Für einen Ruhe-Bildschirm mit Gesicht hat die Zeit gereicht, für eine funktionierende Notizfunktion nicht.
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Tolino-Schrift: Bei kleiner Schrift sind in den geschwungenen Buchstaben leichte Stufen.
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Kindle Paperwhite: Größere Schrift, keine Pixel, hoher Kontrast beim Amazon-Reader.
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Leucht-Displays im Vergleich: Der Tolino (links) ist ähnlich hell und gleichmäßig ausgeleuchtet wie der des Kindle Paperwhite.
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Schriftbild des Kobo Glo: Dem Kindle Paperwhite und Tolinoa steht der Kobo in nichts nach.
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Erweiterung: Der Speicherplatz des Tolino lässt sich per Micro-SD-Karte aufstocken.
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Einschalter: Den Tolino-Knopf an der Oberseite des Gehäuses zieht man zum Einschalten kurz nach rechts.
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Lampe: Die Hintergrundbeleuchtung kann man dazuschalten - ein Sensor für das Umgebungslicht wäre hilfreicher.
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Browser: So kann man E-Books aus anderen Webshops auf den Tolino laden. Man ruft im Browser das Web-Angebot der Firma auf, loggt sich ein und lässt den Tolino die Download-Links verarbeiten. Die per Adobe-DRM geschützten E-Pubs von Kobo werden zum Beispiel automatisch der Tolino-Bibliothek hinzugefügt.
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Kobo-E-Book: Da der Tolino Standards wie E-Pub und Adobe-DRM unterstützt, kann man auch E-Books anderer Anbieter auf dem Gerät lesen. Voraussetzung ist, dass für das Gerät und das gekaufte E-Book dasselbe Adobe-Konto genutzt wurde.
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Telekom-Cloud: Vom Tolino aus kann man auch E-Books anderer Anbieter ins Telekom-Angebot laden, um zum Beispiel mit der Thalia-Lese-App unter Android darauf zuzugreifen.
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Kobo-App: Für Smartphones und Tablets mit den Betriebssystemen Android und iOS gibt es Kobo-Software, mit der man die beim japanisch-kanadischen Anbieter erworbenen E-Books lesen kann - hier im Nachtmodus. Thalia und Weltbild bieten solche Lese-Apps für Android und iOS-Geräte, Amazon auch für Windows 8, Blackberry und eine Browser-basierte Leseapp.
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Kobo-Desktop: Man kann die bei Kobo gekauften Titel auch unter Mac und Windows lesen, allerdings ist es nicht möglich, markierte Textpassagen zu kopieren. Wie bei Amazons Kindle-E-Books wird der Lesefortschritt über die Geräte und Anwendungen hinweg synchronisiert. Beim Tolino fehlt solche Desktop-Software. Man kann die E-Books zwar mit Programmen von Drittanbietern anzeigen, allerdings werden dabei Leseposition und Markierungen nicht synchronisiert..