

Boomende Betrugsmasche So entgehen Sie dem »Tinder-Trading-Scam«

Liebe Leserin, lieber Leser,
seit dem Beginn der Coronapandemie breitet sich im Netz weltweit eine neue Betrugsmasche aus. Ermittler bezeichnen sie intern als »Tinder-Trading-Scam«, in Anspielung auf die bekannteste Dating-App. Der Modus Operandi der Betrüger ist damit recht treffend beschrieben, denn sie verbinden für diesen Scam (auf Deutsch: Betrug) zwei seit längerer Zeit erfolgreiche Cybercrime-Maschen.
Im ersten Schritt treten Lockvögel über Partnersuchportale wie Tinder, Badoo oder Grindr, aber auch über Netzwerke wie LinkedIn mit ihren potenziellen Opfern in Kontakt und versuchen, per Chat Vertrauen aufzubauen. Bei ihrem Versuch, beim Gegenüber Interesse zu wecken, setzen die Betrüger auf Flirt-Botschaften. Doch wenn sich ihre Chatpartner nur mäßig an Online-Liebeleien interessiert zeigen, inszenieren sich die Lockvögel einfach als wohlmeinender Freund oder Geschäftskontakt. Im nächsten Schritt locken sie oder angebliche Verwandte und Bekannte aus ihrem Umfeld die Opfer auf falsche Online-Anlageportale, wo diese ihre Ersparnisse vermeintlich besonders lohnend anlegen sollen. Von Schritt eins bis zu Schritt zwei dauert es oft mehrere Wochen.

Staatsanwalt Nino Goldbeck präsentiert einen Rolls-Royce, den sein Team bei mutmaßlich betrügerischen Cybertradern beschlagnahmen konnte
Foto: Stefan Puchner / dpaEntscheiden sich Chatpartner tatsächlich für die beworbenen Investments, verlieren sie gleich zwei Dinge: ihre neue Onlinebekanntschaft, aber auch große Geldbeträge in Form von Kryptowährung. Oft sind es über 100.000 Euro, teils sogar Millionenbeträge. Für die aktuelle SPIEGEL-Ausgabe haben wir umfassend zu der Masche recherchiert. Die Netzspuren der Kriminellen führen zu effizient geführten Banden. Eine einzelne Tätergruppierung konnte offenbar rund 400 Millionen Dollar erbeuten und waschen, wie ein Analysebericht zu Geldflüssen zeigte. (Lesen Sie hier in unserem SPIEGEL-Report, wie auch Anwältinnen und Manager auf die Masche hereinfielen.)
So erkennen Sie, ob Sie mit Betrügern chatten
Während der mehrmonatigen Recherche waren meine Kollegen und ich immer wieder erstaunt über die Professionalität und Gründlichkeit, mit der die Betrüger vorgingen. Obwohl wir schon seit Jahren über Cybercrime berichten, zählt der »Tinder-Trading-Scam« eindeutig zu den perfidesten Methoden, die uns bisher begegnet sind.
Bemerkenswert ist, wie gekonnt die Betrüger ihren Opfern eine Scheinwelt vorspielen: mit gefälschten Onlineprofilen, mit fingierten Tradingportalen im Netz, mit Telefonauftritten als vermeintlich kenntnisreiche Onlinebroker. Am Ende bleiben die Geschädigten mit großer Scham zurück, was wiederum dazu führen dürfte, dass längst nicht alle von ihnen zur Polizei gehen.
Trotz der cleveren Vorgehensweise der Täter gibt es vier Alarmsignale, bei denen Sie hellhörig werden sollten, wenn Sie mit Unbekannten im Netz chatten:
Erstens versuchen die Betrüger nach dem ersten Kontakt über Flirt-Plattformen oder Dienste wie LinkedIn schnell auf Messenger wie WhatsApp zu wechseln. Die Lockvögel werden behaupten, dass man dort einfacher kommunizieren kann. Tatsächlich fürchten sie, dass ihre Konten bei den anderen Diensten schnell gelöscht werden, sobald es in Richtung Scam geht. Die Dating-Plattform Tinder etwa warnt mit einer ganzen Reihe von Tipps vor sogenanntem Liebesbetrug und mahnt dabei auch zur Vorsicht, wenn Chatpartner schnell dazu auffordern, die Dating-App zu verlassen.
Wenn die Lockvögel immer nur chatten oder Sprachnachrichten schicken, aber nie ein Videotelefonat machen wollen, ist das ein zweites Alarmsignal. Die Betrüger nutzen oft geklaute Bilder für ihre Fake-Profile. In einem Videoanruf würde ihre Scheinidentität aber auffliegen.
Drittens lotsen die Betrüger ihre Opfer auf erstaunlich authentisch anmutende Anlageportale oder Apps, die oft Namen tragen, die an echte Tradingdienste angelehnt sind. Wer die Namen dieser Plattformen googelt, stößt nicht unbedingt auf Warnungen oder schlechte Bewertungen, weil die Betrüger immer wieder neue Websites eröffnen. Allerdings sollte bei einem genaueren Blick doch auffallen, dass der Dienst der Betrüger kein bekanntes und populäres Investmentportal ist, sondern ein Fake. Teils verweisen die Betrüger auch auf eigene Apps, die jedoch nicht über die offiziellen App-Stores von Google und Apple installiert werden sollen, sondern über einen Link im Netz. Etablierte Trading-Apps hätten es nicht nötig, die App-Stores zu umgehen.
Viertens sollten die Alarmglocken spätestens dann läuten, wenn die angeblichen Investmentexperten, die die Lockvögel ihren Opfern vorstellen, eine Einzahlung in Kryptowährungen wie Bitcoin verlangen. »Angelegt« werden soll das Geld nämlich meist in normalen Aktien oder Fonds, in die nicht mit Digitalwährungen investiert werden müssten. Theoretisch würde daher auch eine Einzahlung in Euro funktionieren – aber bei Banküberweisungen könnten die Opfer ihr Geld zurückverlangen. Bei Bitcoin dagegen kontrollieren die Betrüger das Geld sofort nach der Überweisung.
Grundsätzlich hilft es auch, sich mit Menschen aus seinem eigenen Umfeld auszutauschen, wenn einem eine Zufallsnetzbekanntschaft plötzlich wie der schnelle Weg zum Reichtum vorkommt. Außenstehenden nämlich könnte diese Idee suspekter erscheinen als dem Betroffenen selbst, der nach wochenlangen Chat vielleicht nicht gleich in den Lockvogel verliebt ist, ihm aber vermutlich bereits vertraut.
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