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Wikipedia-Jahrestreffen: Tweeten in der Pinkelpause

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Treffen in Israel Studenten sollen die Wikipedia füllen

Wie geht es weiter mit der Wikipedia? Die Spenden fließen, die Ambitionen sind groß - doch es fehlen freiwillige Helfer. Beim Jahrestreffen in Haifa wurden Lösungen gesucht. Wachsen will das Lexikon künftig in Entwicklungsländern und mit regionalen Sprachen.
Von Mathias Hamann

"Wenn die Menschen in meiner Heimat miteinander reden, verstehen sie sich, aber nicht, wenn sie einander schreiben", sagt Gurudatha Bantwalkar. Der indische Sprachforscher sucht Hilfe, weil er den Menschen zu Hause helfen möchte, Zugang zu einer der wichtigsten Webseite der Welt zu bekommen: Wikipedia.

Dazu ist er nach Haifa gereist, in der israelischen Hafenstadt versammeln sich in diesem Jahr die Autoren des Mitmachlexikons zu ihrer jährlichen Konferenz, der Wikimania. Im letzten Jahr traf sich die Gemeinde in Danzig und Jimmy Wales, Gründer des Lexikons, verkündete, besonders in Entwicklungsländern wachsen zu wollen. In Indien öffnete dazu extra ein Regionalbüro.

Aus Goa kommt Gurudatha Bantwalkar. Wie eine Wikipedia mit Artikeln in Englisch, Deutsch oder Finnisch soll es auch eine auf Konkani geben, der Sprache seiner Heimat. Die 3,6 Millionen Sprecher haben allerdings vier verschiedene Alphabete. Das bereitet Probleme, wenn Autoren Lexikonartikel verfassen. Derzeit befindet sich die Wikipedia in Konkani noch im Versuchsstadium, erst will Bantwalkar eine Software einrichten, welche die vier Alphabete transferiert. "Wir würden uns freuen, wenn uns jemand hilft", sagt er am Ende seines Vortrags

"In vielen Regionen der Welt haben Menschen kein Internet", sagt Manuel Schneider, ein IT-Betreuter der Wikipedia aus Süddeutschland. Er diskutiert mit anderen Techies neue Funktionen. "Wir arbeiten an einem Dateiformat, das für alle Plattformen funktioniert, sodass man es auf einem Handy, einem PC oder iPad installieren kann." Die Initiative One Laptop per Child  oder auch Universitäten, die Computer in Entwicklungsländer bringen, sind an einer Offlineversion des kostenlosen Online-Lexikons interessiert. So könnte die Wikipedia auch in Dörfern ohne Internet-Verbindung den Umgang mit Wissen verändern.

Universitäten sollen der Wikipedia helfen

"Als ich damals anfing, hab ich nur geschaut, dass alles funktioniert", sagt Jimmy Wales im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Jetzt will ich, dass es mindestens noch 100 Jahre läuft." Heute gilt er als derjenige, der im Jahr 2001 die Mitmach-Enzyklopädie von jedermann für jedermann gegründet hat. Mit hellem Hemd und guter Laune sitzt er im Interviewraum. Er hat allen Anlass zur Freunde, das Lexikon wächst und ist finanziell gut abgesichert.

Letztes Jahr konnte die Wikimedia-Stiftung, von der die Wikipedia betrieben wird, rund 20 Millionen Dollar Spenden einsammeln, dieses Jahr sollen es rund 30 Millionen werden. Der jährliche Betrieb kostet rund fünf Millionen Dollar. Die finanziellen Aussichten sind also gut - doch personell sieht es eher düster aus, zumindest, was die freiwilligen Helfer angeht. Zu Beginn der Konferenz hatte Wales vom Schwund der Freiwilligen berichtet. Was dagegen hilft? "Gleich rede ich mit zwei Jungs aus Kasachstan, dort ist die Zahl der Autoren und Artikel förmlich explodiert und ich werde herausfinden, woran das liegt."

Zwei junge Männer betreten den Raum. Rauan Kenzehkhanuly, einer der beiden, erzählt Jimmy Wales von ihrem Erfolg: Sie hätten die Erlaubnis bekommen, die Beiträge eines kasachischen Lexikons in die Wikipedia zu übertragen, an Unis fanden sie zudem Mitschreiber, welche die Beiträge per Hand übertrugen. "So wuchs die Zahl der Artikel von 7000 auf knapp 70.000, die der Helfer von 15 auf 231." In Zukunft möchte Kenzehkhanuly Professoren an den Hochschulen des Landes um Hilfe bitten.

Streit um Verteilung der Spendengelder

Das funktioniert andernorts bereits, sagt Wikimedia-Mitarbeiter Frank Schulenburg. Die Idee: Studenten schreiben keine Seminararbeit, sondern einen Lexikonartikel. "Warum sollten sie nicht Artikel für Wikipedia schreiben, mit wissenschaftlicher Genauigkeit", fragt Schulenburg. Er bittet im Namen der Wikimedia-Stiftung Unis um Hilfe. Mit Erfolg: 32 Hochschulen beteiligten sich an dem Projekt, darunter bekannte Universitäten wie Harvard oder Berkeley. Ihre Creditpoints bekommen die Studenten für die Mitarbeit an der Wikipedia.

Schulenburg erzählt von einem Studenten, der im Dezember des vergangenen Jahres über die Nationaldemokratische Partei Ägyptens schrieb. Damals hieß der Vorsitzende noch Husni Mubarak. "Der Beitrag hatte ein paar Hundert Leser, dann kam der arabische Frühling und es wurden Zehntausende." Viele der nicht ganz so freiwilligen Schreiber fänden es gut, nicht einfach eine Arbeit zu schreiben, sondern an etwas mit mehr Bedeutung mitzuarbeiten. Nun soll das Programm weltweit umgesetzt werden.

Das finden die Wikipedianer gut - Streit gibt es hingegen über die Verwendung der Spendengelder. Nach einem Vortrag über die kommende Kampagne, mit der Geld gesammelt werden soll, wird heftig diskutiert. Die meisten Spenden kommen aus wohlhabenden Ländern wie den USA oder Deutschland, die Einnahmen werden geteilt, zwischen der Wikimedia-Stiftung in San Francisco und den nationalen Verbänden. Die Stiftung möchte mehr Mittel in das Wachstum in Entwicklungsländer fließen lassen, einige Wikipedianer aus Ländern wie Australien oder Großbritannien fürchten aber, dass ihnen damit Einnahmen wegbrechen, mit denen sie ihre lokalen Projekte finanzieren. Die Zeit für eine Einigung drängt, schon bald läuft die Spendenkampagne an.

Noch etwas sorgt für Unmut: Im Vorfeld des Jahrestreffens regte sich Protest, weil die Konferenz in Haifa stattfand. Es gab Kritiker in der Szene, welche die Situation der Menschenrechte in Israel monierten; viel schwerer aber wiegen die Einreiseschwierigkeiten für arabische Autoren, kein einziger kam aus den umliegenden Ländern zu dem Treffen. Staaten wie Saudi Arabien verbieten ihren Bürgern die Reise nach Israel, andere kamen nicht, weil sie Ärger daheim fürchteten, Palästinenser hingegen erhielten keine Einreisegenehmigung nach Israel.

Ob es für arabische Wikipedianer im nächsten Jahr einfacher wird? Da tagt die Wikimania in Washington.

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