»Doppelmoral, die« Twitter sperrt Nutzer nach peinlicher Übersetzungspanne

Der Account eines Nutzers war wegen eines Übersetzungsfehlers tagelang gesperrt. Die Softwarepanne erinnert an einen makabren Scherz aus der TV-Comicserie »Die Simpsons«.
Twitter interpretiert »Doppelmoral, die« als »Stirb, Doppelmoral«

Twitter interpretiert »Doppelmoral, die« als »Stirb, Doppelmoral«

Foto: Fabian Sommer / dpa

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Don Bauero ist ein eifriger Twitter-Nutzer. Der Podcaster und Videostreamer beteiligt sich an politischen Debatten, diskutiert über Fragen zur Verdauung, kommentiert TikTok-Videos und postet Rollenspiel-Memes. Doch am vergangenen Samstag ist nach rund 50 Beiträgen plötzlich Schluss. Tagelang ist nichts mehr von ihm zu lesen. Alle bisherigen Beiträge sind ausgeblendet.

Der Grund: Twitter hat den Account gesperrt. Auslöser für die Sperre ist die Antwort von Don Bauero auf einen Tweet, der sich mit der Debatte über den Gastbeitrag von SPD-Innenministerin Nancy Faeser im Magazin »Antifa« befasst. Auf einem Bild ist CDU-Politiker Matthias Hauer zu sehen, wie er mit einem #WeRemember-Schild an die Opfer des Holocausts erinnert. Daneben ist ein Screenshot zu sehen, in dem der Bundestagsabgeordnete der Innenministerin vorwirft, sich mit dem Beitrag für ein »Linksextremisten-Blatt« für ihr Amt »völlig disqualifiziert« zu haben.

Am Samstag um 15.41 Uhr kommentiert Don Bauero diesen Beitrag mit den Worten »Doppelmoral, die.« Er orientiert sich bei der Formulierung am Wörterbuch-Stil, nennt zunächst das Stichwort und anschließend den Artikel nach einem Komma. Dazu schreibt er »Nothing new«, was so viel bedeutet wie »Nichts Neues.« Eine Minute später ist der Account gesperrt.

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Don Bauero erhält eine E-Mail von Twitter, in der steht, dass er gegen die Nutzungsregeln verstoßen habe, die missbräuchliches Verhalten und Belästigungen verbieten. Dazu zähle auch, »jemand anderem körperlichen Schaden zu wünschen oder Hoffnungen in dieser Richtung zu äußern«. Am Samstag um 15.53 Uhr beschwert sich Don Bauero per Onlineformular bei Twitter. Er hält es für keine Beleidigung, jemandem Doppelmoral vorzuwerfen. Doch er blitzt ab. Um 18.14 Uhr kommt die Mitteilung von Twitter, dass der Einspruch abgelehnt wurde und der Account gesperrt bleibt.

Sprachmix hebelt den Algorithmus aus

Den Einspruch hat offenbar eine Software überprüft – und kein Mitarbeiter. Ansonsten wäre der offensichtliche Übersetzungsfehler sofort aufgefallen. Der Mix aus deutschen und englischen Begriffen hat den automatischen Hassfilter ausgehebelt. Da im zweiten Satz nur englische Wörter stehen, ist der Algorithmus wohl davon ausgegangen, dass der komplette Tweet auf Englisch verfasst ist und hat den deutschen Artikel »die« mit der englischen Aufforderung »stirb« übersetzt. In einem vollständig deutsch formulierten Satz passiert der Software so etwas nicht. Bereits im Dezember hatte Don Bauero mit »Doppelmoral, die« auf einen Tweet reagiert . Damals hatte das keine Folgen, weil die Software nur deutsche Wörter herausgefiltert hatte.

Der Patzer erinnert an einen bekannten Scherz aus der TV-Comicserie »Die Simpsons«. In einer Folge tritt Tingeltangel-Bob vor einen Ausschuss, um vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen zu werden. Als Erzfeind von Bart Simpson beteuert er vor einer Jury, dass man sein Tattoo »Die Bart, Die« auf seiner Brust nicht mit »Stirb, Bart, Stirb« übersetzen dürfe, sondern dass die Wörter deutsch seien und es sich um den Artikel »die« handelt. Die Jury ist überzeugt, ein Mitglied sagt: »Wer Deutsch spricht, kann kein schlechter Mensch sein«.

Erst am Dienstagabend um 23:48 Uhr gibt Twitter den Account wieder frei. Allerdings hat das Unternehmen nicht auf den direkten Einspruch von Don Bauero reagiert, sondern auf einen Hinweis von Dritten. Darauf deutet die neue Fallnummer hin, die in der Betreffzeile der E-Mail angegeben ist.

Auf eine Anfrage des SPIEGEL räumt Twitter den Fehler ein. »Der Account wurde fälschlicherweise kurzzeitig eingeschränkt«, teilt ein Sprecher mit. »Dies wurde proaktiv rückgängig gemacht und das Konto wieder voll hergestellt, sobald wir den Fehler entdeckt hatten.« Auf die Frage, ob man den Hassfilter-Algorithmus nachjustieren wolle, hat Twitter nicht geantwortet.

Rund tausend Euro für eine Abmahnung

Don Bauero hatte über rechtliche Schritte nachgedacht, um den Account entsperren zu lassen, weil ihn eine dauerhafte Sperre als Künstler »wohl komplett ausgebremst hätte«, wie er dem SPIEGEL schreibt. Nach eigenen Angaben hätte es ihn zwischen 750 und 1250 Euro gekostet, Twitter über eine Anwaltskanzlei abmahnen zu lassen und die Entsperrung zu erzwingen. So viel Geld sei es ihm »einfach nicht wert gewesen«. Einen neuen Account zu erstellen, sei auch keine Option gewesen, da Twitter ihm drohte, diese Versuche zu unterbinden: »Wenn du versuchst, eine dauerhafte Sperrung durch Erstellen neuer Accounts zu umgehen, sperren wir deine neuen Accounts.«

Don Bauero zeigt sich enttäuscht vom Sperrverhalten des Unternehmens. »Ich habe in zwei Jahren ungelogen Tausende Hasstweets gemeldet«, schreibt er. Normalerweise dauere es mehrere Stunden, bis etwas passiere, wenn überhaupt. Es sei »echt traurig, was alles stehen gelassen wird und was nicht«.

Offenbar ist Don Bauero nicht das einzige Übersetzungsopfer. Auf seinen Fall hin meldeten sich mehrere Nutzer , deren Tweets ebenfalls gesperrt worden waren, weil sie »Die Strickjacken« und »Die Sopranos« geschrieben hatten. Außerdem weist ein Nutzer darauf hin, dass man auch mit dem Einkaufsspruch »Die in hell« vorsichtig sein sollte. Im Laden bekommt man dafür zwar in der Regel eine Alternative zu dunklen Schuhen angeboten. Aber in Textform könnte diese Aufforderung von einem Algorithmus auch als das englische »Stirb in der Hölle« fehlinterpretiert werden.

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