Twitter veröffentlicht Propaganda-Archiv So arbeiten russische Internet-Trolle
Sie schreiben gezielt zu kontroversen Themen und blasen spalterische Botschaften ins Netz - dabei verbirgt sich hinter ihnen kein echter Mensch mit einer Meinung: So in etwa kann man das Vorgehen von Propaganda- oder Troll-Accounts in sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook beschreiben.
Während des US-Präsidentschaftswahlkampfs 2016 ließ nach aktuellem Kenntnisstand zum Beispiel Russland solche Internet-Trolle los, um die amerikanische Bevölkerung zu beeinflussen und zu spalten. Die Plattform Twitter hat nun ein riesiges Troll-Archiv online gestellt .
Zehn Millionen Tweets von 5000 Accounts
Der Datensatz enthüllt keine neue Troll-Kampagnen auf dem Netzwerk, sondern illustriert bereits bekannte Aktivitäten. Forscher und andere Datenspezialisten sollen sich so ein besseres Bild davon machen können, wie die Trolle arbeiten, begründet Twitter die Veröffentlichung des Datensatzes.
Die Daten sind eine seltene Chance, konkret zu zeigen, wie eine Masse an gesteuerten Troll-Accounts vorgeht.
In dem Datensatz sind mehr als zehn Millionen Tweets enthalten, die ältesten stammen aus dem Jahr 2009.
Die Millionen von Tweets stammen von knapp 5000 Accounts.
3841 dieser Accounts rechnet Twitter Russland zu. Sie seien durch die staatliche Trollfabrik namens Internet Research Agency (IRA) gesteuert worden. Der Name der IRA tauchte in der Vergangenheit immer wieder auf, wenn es um russische Manipulationsversuche, etwa bei den US-Wahlen 2016, ging.
770 der Propaganda-Accounts rechnet Twitter Iran zu.
Die Digital-Forensiker eines Think-Tanks aus den USA, dem Atlantic Council, hatten vorab Zugriff auf die Daten und haben bereits eine Analyse des Datensatzes veröffentlicht . Ihre Ergebnisse:
Die Troll-Accounts seien nicht allein dazu genutzt worden, im Ausland zu destabilisieren, sondern hätten auch jeweils nationalen Interessen der Ursprungsländer gedient.
Die Kampagnen hätten sich vor wichtigen Veranstaltungen wie Wahlen - zum Beispiel in den USA - eingeschaltet. Dabei hätten sie die Taktiken von echten Aktivisten nachgeahmt.
Die Daten zeigten, dass es oft nicht darum gegangen sei, Partei für eine Seite zu ergreifen, sondern ganz allgemein die Gesellschaft zu spalten.
So agierten die Propaganda-Accounts in Deutschland
Auch SPIEGEL ONLINE hat sich den Datensatz angesehen, um in Bezug auf Deutschland relevante Details zu finden. Weil im iranischen Teil des Datensatzes lediglich rund 1500 deutsche Tweets zu finden waren, konzentriert sich die Analyse auf die Tweets aus Russland. Knapp 100.000 dieser Tweets wurden von Twitter als deutschsprachig erkannt.

SPIEGEL ONLINE
Die von Russland gesteuerten Trolle der IRA versuchten offenbar auch in Deutschland in Zeiten aktiv zu werden, in denen eine starke Polarisierung der Öffentlichkeit zu beobachten war. Insbesondere vor der Bundestagswahl im Herbst 2017 sendeten die Trolle viele Tweets ins deutschsprachige Twitter-Netzwerk. Auch das Brexit-Referendum in Großbritannien oder der Putschversuch in der Türkei könnten die Trolle beflügelt haben.
Die zehn häufigsten Themen der Trolle, gemessen an der Verwendung von Hashtags: #Merkel (2444 Mal verwendet), #Flüchtlinge (1305 Mal verwendet), #Erdogan (1271 Mal verwendet), #Deutschland (1131 Mal verwendet), #stopptTerror (1073), #Türkei (957), #IS (848), #AfD (798), #CDU (788), #EU (724).
Der Name von Bundeskanzlerin Angela Merkel war in den Tweets auffällig oft verknüpft mit dem Thema "Flüchtlinge".
Auffälligster deutscher Account: @erdollum. Der Account, angelegt im April 2016, war der einzige aus dem Datensatz, der viele deutsche Tweets absetzte und gleichzeitig eine nennenswerte Zahl an Followern hatte, nämlich mehr als 5000. Beliebte Themen: Merkel, Erdogan, Türkei, Burkaverbot, Flüchtlinge, Brexit.
@erdollum ist bereits länger als russischer Troll-Account bekannt. Er war etwa schon auf einer von Twitter im November 2017 veröffentlichten Liste aufgeführt. In dieser nannte Twitter Tarnkonten der Internet Research Agency. Der Account ist wegen Verstoßes gegen die Twitter-Regeln gesperrt.
Erhöhte Aufmerksamkeit vor den Midterms in den USA
Plattformen wie Facebook, Twitter und Google hatten nach dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 ihre Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Vor allem Facebook war hart dafür kritisiert worden, dass auf der Plattform gefälschte Accounts in großem Stil Fehlinformationen verbreiten konnten.
Vor den Midterm-Wahlen in den USA im November intensivieren die Plattformen ihre Bemühungen offenbar nochmal: Facebook gab im Oktober bekannt, 800 US-Accounts mit Polit-Spam gelöscht zu haben. Auch im Sommer schon hatte die Plattform Hunderte Fake-Accounts mit verdächtigen Aktivitäten gelöscht - genauso wie Twitter.
Im Video: Putins Trollfabriken