Umstrittene Studien "Computerspiele machen dumm"

Deutsche Wissenschaftler geben Fernsehern und Videospielen die Schuld an sinkenden Schulleistungen - vor allem bei Jungen. Die Fernseh- und Videobilder sollen das in der Schule Gelernte überlagern und so den Lernerfolg schmälern. Die Spielebranche weist den Vorwurf empört zurück.

Das ZDF-Magazin "Frontal 21" hat in der Gaming Community einen schlechten Ruf, seit es vor drei Wochen massive Kritik an Egoshootern wie "Doom 3" und deren Altersklassifikation durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle USK übte. In der Sendung war die Rede von einem "Videogemetzel im Kinderzimmer" und "Sinnlosem Morden" - mit "staatlichem Stempel".

Nach diesem umstrittenen Rundumschlag gegen Actionshooter hat die Redaktion gestern nachgelegt. Eine Woche vor Veröffentlichung der offenbar nach wie vor schlechten Pisa-Ergebnisse glaubt man bei "Frontal 21" eine Ursache für den Bildungsnotstand in Deutschland gefunden zu haben: "Kinder werden durch exzessiven Medienkonsum immer dümmer." Als Beleg für die "Medienverwahrlosung" wurde eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen  angeführt.

Untersuchungen in Bayern, Hessen und Niedersachsen hätten ergeben, dass jeder zweite Junge im Alter von zehn Jahren die ganze Palette von Fernsehgerät, Computer, Play Station und DVD-Recorder im eigenen Kinderzimmer stehen habe.

"Was habe ich falsch gemacht?"

Institutsleiter Christian Pfeiffer erklärte, der überproportionale Besitz dieser Geräte bei Jungen spiegele sich in einem massiven Leistungsabsturz in der Schule in den vergangenen zehn Jahren wider. So habe sich das Verhältnis der Schulabbrecher zwischen Jungen und Mädchen von 52 Prozent zu 48 Prozent im Jahr 1990 auf 64 Prozent zu 36 Prozent entwickelt. Auch bei den Weiterempfehlungen für höhere Schulen, dem Sitzenbleiben und dem Schuleschwänzen gehe die Schere zwischen Mädchen und Jungen signifikant auseinander.

Im Chat nach der Sendung wurde die Redaktion von überzeugten Gamern teilweise heftig attackiert: "Ich spiele seit sieben Jahren und habe gerade mein Abi mit 2,1 gemacht", höhnte ein Surfer. "Was habe ich falsch gemacht?"

Jens Uwe Intat, Deutschland-Geschäftsführer des Spieleherstellers Electronic Arts, sagte gegenüber SPIEGEL ONLINE, er könne die pauschale Aussage "Spielen macht Kinder immer dümmer" nicht nachvollziehen. "Länder mit höherer PC- und Konsolenausstattung als Deutschland, etwa in Skandinavien, haben sehr gute Pisa-Ergebnisse. Hier gibt es offensichtlich andere Faktoren, die entscheidend sind." Man stelle einen statistischen Zusammenhang her, ohne einen kausalen Zusammenhang nachzuweisen, kritisierte Intat.

Der Zusammenhang von Medienkonsum und Schulleistungen ist tatsächlich nicht so einfach wie in der Sendung dargestellt. Beispielsweise lässt die Erkenntnis des Kriminologen Pfeiffer, dass Vielfernseher schlechtere Noten in der Schule haben, mehrere Schlüsse zu:

  • Fernsehen macht dumm
  • Dumme sehen viel fern
  • Fernsehen macht tatsächlich ein bisschen dumm, aber Dumme sehen generell auch mehr fern
Pfeiffer konzentrierte sich jedoch offenbar nur auf die erste der drei möglichen Schlussfolgerungen.

Schneller Erfolg mit Dopamin-Duschen

Der Magdeburger Professor für Neurobiologe, Henning Scheich, machte den schnellen Kick beim Spielen für die schlechten Noten verantwortlich. Im Gehirn werde Dopamin ausgeschüttet, ein für die Belohnung verantwortlicher Botenstoff. Dies geschehe auch beim erfolgreichen Lernen, wenn man eine Sache verstanden oder richtig gelöst habe. Gamer bevorzugten jedoch die Dopamin-Dusche am Monitor.

Dass exzessives Spielen süchtig machen kann, wird von Electronic-Arts-Chef Intat nicht bestritten: "Dinge, die Spaß machen und herausfordernd sind, macht man gern auch länger." Es sei jedoch genauso schwierig, Kinder aus dem Schwimmbecken zu holen oder ihnen ein spannendes Buch vorm Einschlafen wegzunehmen, wie sie vom Fernseher wegzulocken. Intat: "Das liegt in der Verantwortung der Eltern."

Hirnexperte Scheich erklärte, das in der Schule Gelernte könne sich nicht im Gehirn festsetzen, wenn es von den Fernseh- und Videobildern der Computerspiele, die in den gleichen Gehirnarealen landen wie der Schulstoff, ständig überlagert würden. "Das summiert sich über Tage, Wochen, Monate auf - dann können sie mit Sicherheit erwarten, dass so jemand in seinen Schulleistungen gegenüber früher abfällt", meinte der Neurobiologe.

Wie war das beim Verstecken Spielen?

Im Internet-Chat nach der Sendung fand die Argumentation des Professors kaum Anhänger: "Wieso haben die Kinder früher nicht auch beim Fangen und Verstecken ihr Gelerntes verloren?", fragte ein Chatter. "Wenn ich zum Beispiel den ganzen Tag spiele, vergesse ich den Stoff aus der Schule vom Vormittag", erzählte ein anderer. "Das gleiche tritt auf wenn ich den ganzen Tag Sport mache!"

Bis zu 750 Chatter drängelten sich in dem Chatraum, viele echauffierten sich über die Erwähnung des Amokläufers von Erfurt in dem Beitrag und über die generelle Verteufelung der Gamerzunft: "Ob die Kinder nun draußen im Modder spielen oder drinnen am PC hocken, wo ist da der Unterschied?" Ein anderer Chatter schrieb: "Lernen ist nun mal langweilig. Da würde man lieber in die Disco gehen und sich besaufen. Es hat nichts mit den Medien zu tun."

Fest steht: Die Auswirkungen von Computerspielen müssen weiter untersucht werden, allerdings mit etwas weniger holzschnittartigen Thesen.

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