Petition gegen Upskirting "Je mehr Hasskommentare kamen, desto entspannter wurde ich"
SPIEGEL ONLINE: Frau Sassenberg, Sie und Hanna Seidel setzen sich mit einer Petition dafür ein, dass das sogenannte Upskirting, also das heimliche Fotografieren unter den Rock, auch in Deutschland strafbar wird. Wie kam es dazu?
Ida Marie Sassenberg: Meiner Freundin Hanna ist das selbst schon zweimal passiert. In einem Fall hat sie die Polizei darauf aufmerksam gemacht, doch die hat ihr nicht geholfen. Als dann Anfang des Jahres über das neue Upskirting-Verbot in England berichtet wurde, hat sie verstanden, warum die ihr damals gar nicht helfen konnten. Sie hätte dann gern eine Petition unterschrieben, um das auch in Deutschland gesetzlich zu ändern.
SPIEGEL ONLINE: Aber es gab noch keine?
Sassenberg: Genau. Also hat sie eine gestartet und erst mal rund 200 Unterschriften gesammelt. Dann hat Change.org sie kontaktiert und gesagt, dass sie glauben, das könnte größer werden. Deshalb hat sie mich gefragt, ob ich mitmachen will. Denn das ist viel Arbeit und Organisationsaufwand für eine allein.

Ida Marie Sassenberg (links) und Hanna Seidel haben eine Petition gegen Upskirting gestartet - und werden seitdem online beleidigt und angegriffen
Foto: Robert Haas / Simona BednarekSPIEGEL ONLINE: Die Petition wurde inzwischen mehr als 50.000 Mal gezeichnet. Was ist Ihr Ziel?
Sassenberg: Uns ging es zunächst darum, auf das Thema aufmerksam zu machen und öffentlichen Druck zu erzeugen. Langfristig wäre unser Wunsch, dass wir uns mit an einen Tisch setzen dürfen und versuchen, mit juristischer Unterstützung ein vernünftiges Gesetz auszuarbeiten. Es soll nicht bloß auf einem Stapel landen oder halbfertig irgendwo durchrutschen.
SPIEGEL ONLINE: Für Ihren Vorstoß bekamen Sie viel Lob, aber im Netz regen sich auch viele Leute über Ihr Engagement auf. Warum?
Sassenberg: Manche sagen, das Ganze sei nur ein Randphänomen, das fast niemandem passiere - wir sollten uns um Wichtigeres kümmern. Andere meinen, man trage selbst Schuld, wenn man einen Rock anziehe. Einer hat sogar mal argumentiert, dass es doch gut wäre, wenn sich "Perverse" zu Hause solche Bilder auf dem Handy angucken, anstatt dass sie rausgehen und womöglich Schlimmeres anstellen. Das alles kommt übrigens hauptsächlich von Männern.
SPIEGEL ONLINE: Wird die Kritik auch persönlich?
Sassenberg: Ja, oft wird es beleidigend. Zum Beispiel haben wir schon zu hören bekommen, niemand wolle uns beiden unter den Rock gucken, weil da "bestimmt sowieso nur Schwänze drunter" seien.
SPIEGEL ONLINE: Kommt so etwas anonym?
Sassenberg: Nein, oft kommentieren die Leute unter ihrem vollständigen Namen. Auf Twitter ist sogar oft auch noch ein Foto im Profil zu sehen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich gegen irgendwas davon juristisch gewehrt?
Sassenberg: Bisher noch nicht. Man kann nämlich zwar eine Beleidigung anzeigen, aber man muss dann extra noch mal einen Strafantrag stellen, damit das auch verfolgt wird. Für so etwas haben wir gar keine Zeit, wir sind ja mit der Kampagne sehr beschäftigt.
SPIEGEL ONLINE: Was macht der öffentlich geäußerte Hass mit Ihnen?
Sassenberg: Mir macht das emotional gar nichts mehr aus, weil ich schon früher Erfahrungen mit Shitstorms gesammelt habe. Es gab mal irgendwo einen Artikel mit der Frage, was plötzlich alle gegen den weißen Mann hätten - darauf habe ich ein satirisches Antwortvideo bei YouTube eingestellt. Da kamen die fiesesten Hasskommentare, ich solle zusammengeschlagen werden und sowas.
SPIEGEL ONLINE: Und das hat Ihnen auch nichts ausgemacht?
Sassenberg: Doch, das hat mich getroffen. Aber je mehr Hasskommentare kamen, desto entspannter wurde ich. Weil mir klar wurde, dass das einfach irgendwelche Trottel sind, die einen Großteil ihrer Zeit damit verbringen, solche Kommentare ins Internet zu schreiben.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass es Sie besonders trifft, weil es bei ihrer Petition um Frauenrechte geht?
Sassenberg: Ich glaube, es trifft jede Frau, die öffentlich den Mund aufmacht. Sobald eine Frau etwas sagt, was nicht nett und freundlich ist, wird es immer jemanden geben, der sich schon allein davon angegriffen fühlt. Von Frauen wird immer noch erwartet, dass sie sich anpassen, sich zurücknehmen, bescheiden und niedlich sind.
SPIEGEL ONLINE: Woran merkt man das?
Sassenberg: Unter anderem daran, dass Frauen oft nach ihrem Aussehen beurteilt werden, ganz egal, was sie sagen. Besonders viel Hass trifft übrigens die Frauen, die sich im Netz offen als Feministinnen bezeichnen.
SPIEGEL ONLINE: Bezeichnen Sie sich als Feministin?
Sassenberg: Klar. Ich weiß auch nicht, was in den letzten Jahren mit diesem Begriff passiert ist. Für mich ist er total positiv besetzt. Ich verbinde damit auch weder Männerhass noch den ultimativen Kampf der Geschlechter.
SPIEGEL ONLINE: Sondern?
Sassenberg: Das ist eben auch ein historischer Begriff. Dass ich mich offen äußern kann, ohne von der Gesellschaft verstoßen zu werden, habe ich Frauen zu verdanken, die den Begriff Feminismus für sich gewählt haben und die für ihn stehen.
SPIEGEL ONLINE: Was empfehlen Sie Frauen, die im Netz ebenfalls mit Hasskommentaren zu kämpfen haben?
Sassenberg: Sie sollten es nicht zu sehr an sich herankommen lassen, auch wenn das manchmal schwer ist. Grundsätzlich finde ich, dass man Kommentare, die beleidigend sind oder in denen zu Gewalt aufgerufen wird, zur Anzeige bringen sollte. Wir müssen langsam lernen, dass der öffentliche Raum im Netz kein Spielplatz ist, an dem sich jeder verhalten kann wie er möchte. Sondern dass auch da unsere gesellschaftlichen Normen und Gesetze gelten. Ich finde auch wichtig, dass die Justiz sich damit befasst.
SPIEGEL ONLINE: Wie schaffen Sie es, trotz heftigem Gegenwind weiterzumachen?
Sassenberg: Mir hilft vor allem, dass die positiven Reaktionen auf unsere Petition deutlich überwiegen. Es stärkt uns den Rücken, dass wir viele Rückmeldungen von Frauen bekommen, die sich freuen, dass sich endlich jemand um dieses Thema kümmert. Und wir kriegen viele Zuschriften von Opfern, die berichten, dass sie ausgelacht und nicht ernst genommen wurden mit ihrem Problem.
SPIEGEL ONLINE: Beantworten Sie die ganzen Zuschriften?
Sassenberg: Ja. Es ist mir wichtiger, den Opfern zu antworten, als mich mit blöden Kommentaren aufzuhalten und zur Polizei zu gehen. Ich würde gern beides schaffen, aber das ist nicht zu leisten.