Urheberrecht Der Traum von frei zirkulierenden MP3s
Eigentlich scheint die Sache klar: Seit Jahren lesen wir davon, dass zumindest der kostenlose digitale Vertrieb über das Internet ein Verbrechen sei. "Filesharer", die Nutzer der P2P-Börsen, erklärte man uns in Kinospots, in Anzeigen und auf Plakatwänden, sind Alltagskriminelle, die den Bestand ganzer Branchen, wenn nicht gar Musik und Film selbst gefährden.
Die Industrie beantwortete die Bedrohung mit Klagewellen und mit legalen, kostenpflichtigen Download-Alternativen. Der Gesetzgeber, gedrängt durch eine entsprechende EU-Verordnung, sekundierte mit einer Novelle des Urheberrechtes. Wie im Western scheinen weiße und schwarze Hüte, die Rollen von Gut und Böse, also klar verteilt.
So ganz stimmt das jedoch nicht.
So entpuppte sich die Gema, die Verwertungsgesellschaft, die die Urheber und Künstler aus einem von den Rechteverwertern befüllten Topf am Erfolg ihrer Werke teilhaben lassen soll, zeitweilig als größter Bremsklotz bei der Einführung legaler Musik-Downloadshops in Deutschland. So gibt es Musikfirmen, die im freien digitalen Vertrieb gerade große Chancen für ihre Künstler und Produkte sehen. So gibt es Künstler, die an allen Firmen und Labels vorbei gern ihre Werke verteilen. So gibt es Musikformen, die ständig mit dem Urheberrecht kollidieren, weil sie auf Samples setzen.
Kurzum: So richtig scheint das Urheberrecht ganz und gar nicht auf die neue digitale Zeit zugeschnitten zu sein, Streit und juristische Konflikte sind da programmiert.
Dabei gibt es Ansätze, die versuchen, ein neu definiertes, flexibleres Urheberrecht für digitale Waren zu definieren. Die sogenannten "Creative Commons" versuchen, die Bedürfnisse von Konsumenten, Künstlern und Rechteverwertern miteinander zu versöhnen. Gerade in der Nischenkultur der elektronischen Musik wird Creative Commons gern und häufig benutzt, weil es die Arbeit von Musik-Produzenten erleichtert. Es erleichtert beispielsweise den Umgang und die Weiterverwendung von Samples anderer Künstler.
"Lizenz": Nicht nur Verbote, sondern auch Freiheiten
Zum Beispiel Sampling: Bei einer herkömmlich erworbenen CD (oder einem iTunes-Download) ist die Rechtslage klar. Man darf sie anhören und kopieren, sofern kein Kopierschutz vorhanden ist. Die Tracks darf man aber weder tauschen noch für ein neues Musikstück samplen.
Kauft man jedoch MP3s unter der sogenannten Creative-Commons-Lizenz bei einem eigens dafür eingerichteten Shop wie Magnatune, legt ein Katalog das weitere Verfahren genau fest: ob man damit samplen darf, den Track weiterverkaufen oder zum Tauschen anbieten. Abgestufte Rechte definieren nicht nur Verbote, sondern eben auch Freiheiten.
Auch die neuen Vertriebsmodelle der sogenannten Netzlabels, etwa das parallele Veröffentlichen von Tracks auf CD und als kostenloser Download, kollidieren mitunter mit dem Urheberrecht. Schließlich pflegen Alternativlabels ihren fairen MP3-Handel wie den mit ökologisch freundlich angebautem Kaffee - und das auch noch abseits der Gema. Was liegt da näher, als für unterschiedliche Bedürfnisse eigens zugeschnittene Standards für die Rechtevergabe zu entwickeln?
Ein Vorstoß erfreut sich immer größerer Beliebtheit: Das Lizenz-Paket der Creative Commons.
Die "Commons": Lizenzen in Stufen
Das relativ neue Lizenz-Modell wird als moderne Version des ergrauten Urheberrechts aus analoger Vorzeit gepriesen und ist laut dem Magazin "Wired" ein Spiegel der eklektischen "Remix-Kultur" im 21. Jahrhundert. Eine Lizenz, die gar höhere Kunst-Weihen mit einer Auszeichnung bei der letztjährigen Ars Electronica bekam. Mittlerweile gibt es bei der Suchmaschine Yahoo! eine eigene Untersparte für Dateien, die mit der Creative-Commons-Lizenz ins Netz gestellt wurden.
Creative Commons ermöglicht verschiedene Stufen der Lizenzierung - also festzulegen, wie Audiodateien, aber auch alle anderen selbstproduzierten Dateien den geneigten Hörer, Leser oder Zuschauer erreichen und was er damit anstellen darf. Creative Commons wurde entwickelt, um Durchblick durch den Rechtedschungel zu verschaffen.
Das sei ein "Weg der Feinnuancen zwischen dem bestehenden Urheberrecht und der kompletten Freiheit in Form von Nutzungsfreiheit", erklärt Markus Beckedahl von der Berliner Creative Commons Usergroup. CC legt die Rechte des Produzenten fest, ähnlich wie das die GNU General Public License für Software tut. "Some rights reserved" steht nicht ohne Grund statt dem Copyright-Logo auf dem Fuß mancher MP3-Seite. Daneben ist "CC" zu sehen, kurz für Creative Commons.
Wer sich nun in Deutschland für eine CC-Lizenz seines Audiotracks entscheidet, hat die Wahl zwischen vier kombinierbaren Varianten: Man kann entscheiden, ob das Weiterverbreiten des Werks von vorneherein nur unter Angabe des Urhebers geschehen darf oder nicht; ob eine kommerzielle Nutzung wie beispielsweise für Werbung erlaubt ist oder nicht. Ob jemand die MP3s modifizieren darf, also damit mixen oder sie zu eigenen oder kommerziellen Zwecken samplen. Und ob dabei der Name des Urhebers angegeben werden muss oder nicht. Denn nach der sogenannten "share-alike"-Richtlinie muss immer die originale Lizenz angefügt werden.
In der Praxis kann jeder Musik-Produzent aus einer Art Ankreuzkatalog auswählen, inwieweit sein File kommerziell verwendet, getauscht oder abgeändert werden darf. Für Audiotracks gibt es sogar eine spezielle Sample-Lizenz, an der immerhin der brasilianische Kulturminister und Künstler Gilberto Gil beteiligt war. Da aber die CC-Lizenzen auf das jeweilige länderspezifische Recht abgestimmt werden müssen, gelten diese nur in den USA. Seit Juni letzten Jahres wurden die CC-Lizenzen in Teilen auch auf das deutsche Recht zugeschnitten.
CC: Werkzeug zur Künstler-Emanzipation?
Vorreiter der neuen Lizenzmodelle war Stanford-Professor Lawrence Lessig, der zunächst Creative Commons als amerikanische Non-Profit-Organisation im Jahr 2001 gründete. Das Lizenzpaket wurde am 16. Dezember 2002 vorgestellt, seitdem werden im Sprachgebrauch unter "Creative Commons" die Rechts-Modelle verstanden, mit denen die Tracks veröffentlicht werden.
Das klingt alles recht trocken, wird aber im Netz flockiger mit Erklärfilmen verdeutlicht. CC hat seinen Sinn vor allem für die Graswurzel-Bewegung. Markus Beckedahl erklärt: "Das explizite Kopieren für Freunde ist erlaubt. Creative Commons hilft kleinen Bands, sich über Mund-Propaganda zu verbreiten." Das größte Problem wären aber die Verwertungsgesellschaften wie die Gema, die CC-Lizenzen nicht akzeptieren, so Beckedahl. "Dabei ist das ein Mehrwert für die organisierten Künstler", sagt er.
Obwohl nach wie vor gerichtlich nicht geklärt ist, ob die CC-Lizenzen funktionieren, sieht Beckedahl darin die Zukunft der Distribution: "Bands setzen Stücke in ihre Weblogs." Was abseits der Gema passiert, hilft vor allem kleinen Bands, überhaupt erst gehört zu werden. Auf den Playlisten der Radio- und Fernsehsender, nach denen die Gema auswertet, stehen sie nicht.
Befürworter von CC sehen das freie Zirkulieren der Audiodatei im Netz als beste Werbung. Das soll sich auf lange Sicht für noch unbekannte Künstler kommerziell auszahlen. Ein Hintergedanke bei CC ist auch die Aufwertung der einzelnen Files: Wer sich aus Neugier Stücke eines Musikproduzenten lädt, wird sich eventuell aus Begeisterung das Album im Internet-Shop bestellen - und so seine Unterstützung demonstrieren.
Das ist schön gedacht, trifft aber manchmal nur auf Leute zu, die sich dieser Haltung anschließen. Häufig wird wahllos im Netz heruntergeladen, getauscht und kopiert, einfach weil es möglich ist. Dank größerer Festplattenkapazitäten verkommt nicht selten der Ordner für die Audiodateien zu einer Mülltonne für alles unterwegs Aufgelesene. Trotzdem sind die Creative-Commons-Lizenzen ein Meilenstein. Bands haben das Recht, erst mal gehört werden zu dürfen.