Urheberrechtsnovelle Noch nicht das Ende vom Lied?
SPIEGEL ONLINE: Heute entscheidet der Deutsche Bundestag über den soegenannten Zweiten Korb der Novelle des Urheberrechts. Ein neues Urheberrecht haben wir doch erst vor wenigen Jahren bekommen, warum nun diese erneute Änderung?
Grietje Bettin: Die Novelle des sogenannten Ersten Korbs haben wir im September 2003 verabschiedet. Das war die Umsetzung einer EU-Richtlinie, das musste also zwingend bis zu einem Stichtag erledigt werden. Damals haben wir die Punkte umgesetzt, die uns die Richtlinie zwingend vorgab. Andere Punkte, deren Ausgestaltung im Ermessen der Mitgliedstaaten liegen und die sich zum Teil als sehr schwierig erwiesen haben, haben wir damals verschoben und vereinbart, das im sogenannten Zweiten Korb zu regeln. Es geht um ein extrem schwieriges Gesetz, weil es einfach nach einem sehr komplizierten Interessenausgleich zwischen ganz unterschiedlichen Gruppen wie Urhebern, Verwertern, Verwertungsgesellschaften, Geräte-Herstellern, Wissenschaftlern, Filmleuten oder Verbrauchern verlangt.
SPIEGEL ONLINE: Klingt nach Lobby-Chaos.
Bettin: Deshalb gab es im Bundestag ja ein ungewöhnlich langes Anhörungsverfahren über mehrere Sitzungstage, zu den ganz unterschiedlichen Teilbereichen.
SPIEGEL ONLINE: Warum haben sich die Grünen bei der Diskussion des Gesetzes im Rechtsausschuss nur enthalten? Einige ihrer dringenderen Verbesserungsvorschläge sind doch gar nicht aufgenommen worden?
Bettin: Ja, aber es gibt durchaus auch Verbesserungen bei der uns sehr am Herzen liegenden Frage der Vergütung von Urheberinnen und Urhebern. Wir haben anderseits auch unsere Kritikpunkte am Entwurf deutlich gemacht und konnten ihm darum, anders als die FDP, nicht zustimmen. Deshalb haben wir uns am Ende für eine Enthaltung ausgesprochen.
Geräteabgabe: 300 Euro mehr für einen Drucker?
SPIEGEL ONLINE: Was wird denn besser durch den Zweiten Korb?
Bettin: Eine ganz wichtige Sache: Im ursprünglichen Gesetzentwurf stand die sogenannte 5-Prozent-Klausel als Kappungsgrenze für Abgaben der Gerätehersteller an die Urheber. Das bedeutete, dass die Hersteller maximal fünf Prozent des Verkaufspreises für ein kopier- oder abspielfähiges Gerät als Abgabe an die Verwertungsgesellschaften der Urheber abtreten sollten. Da bestand die große Gefahr, dass die Hersteller einfach die Gerätepreise niedrig halten würden, dafür aber die Verbrauchsmaterialien verteuern. Das ist jetzt geändert worden, und darin sehen wir eine deutliche Verbesserung für die Urheber.
SPIEGEL ONLINE: Der IT-Branchenverband Bitkom sieht das im Gegensatz zu Ihnen als Katastrophe, spricht davon, dass sich nun beispielsweise der Preis für Drucker um 10 bis 300 Euro erhöhen könnte.
Bettin: Das sehen wir nicht so. Wir gehen davon aus, dass die Regelung, zu der wir gefunden haben, ausreichend ist und dass es dadurch nicht zu größeren Verteuerungen für die Verbraucher kommen wird. Denn die Vergütungshöhe wird in Zukunft zwischen den beiden betroffenen Seiten Urheber bzw. Verwertungsgesellschaften auf der einen, Geräteindustrie auf der anderen ausgehandelt. Das wird zwingend zu einem vernünftigen Konsens führen. Im Streitfall wird ein Schlichtungsverfahren entscheiden.
Privatkopie: Butterweiches Wischi-Waschi
SPIEGEL ONLINE: Wo müsste da denn noch nachgebessert werden?
Bettin: Ein ganz besonders wichtiger Punkt war das Recht auf eine digitale Privatkopie. Im Ersten Korb wurde das Verbot festgeschrieben, einen Kopierschutz auf einer CD zu umgehen. Wir sind der Auffassung, dass man durchaus das Recht haben sollte, zum Beispiel für den Einsatz im Auto eine Sicherheitskopie zu nutzen. Wir wollten ein sogenanntes durchsetzungsstarkes Recht auf die digitale Privatkopie. Das könnte man sich so vorstellen, dass man vom Hersteller einer Original-CD das Recht und die Möglichkeit eingeräumt bekommt, eine Sicherheitskopie anzulegen und den Kopierschutz zu umgehen. Das wurde von der großen Koalition leider nicht aufgenommen. Stattdessen bekommt man einerseits das Recht auf Privatkopie, der Hersteller aber zugleich das Recht, diese zu verhindern. Das ist so nicht in Ordnung.
SPIEGEL ONLINE: Im Gesetz heißt es allerdings "wirksamer Kopierschutz". Was darf man sich denn darunter vorstellen?
Bettin: Da hätten wir uns auch eine Klarstellung gewünscht. Die Frage liegt doch aber nicht da, wie wirksam ein Kopierschutz ist. Entscheidend ist: Wer eine CD oder DVD für viel Geld rechtmäßig erwirbt, hat ein Anrecht darauf, private Sicherheitskopien anzufertigen. Das hat auch mit der Akzeptanz des Urheberrechts in der heutigen Gesellschaft zu tun. Die Leute verstehen nicht, warum sie hier in ihren meines Erachtens legitimen Rechten beschnitten werden.
Kriminalisierte, kopierende Kinder: Künftig Fahndung auf dem Schulhof?
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet diese Regelung eigentlich für den ganz normalen, dreizehnjährigen Alltagskriminellen? Der sich per P2P, ICQ oder auf dem Schulhof mit Raubkopien versorgt?
Bettin: Wir hätten uns gewünscht, dass die Kriminalisierung der Schulhöfe mit Hilfe einer Bagatellklausel gestoppt wird, wenn Jugendliche da wirklich nur zum eigenen Gebrauch Kopien tauschen. Das entspricht doch einfach einer neuen gesellschaftlichen Realität und auch der Realität der Staatsanwaltschaften, die gar nicht in der Lage sind, jede Bagatellurheberrechtsverletzung zu verfolgen. Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Wir hätten die Verfolgung auf dem Schulhof gern verhindert, das ist aber leider nicht aufgenommen worden. Im Übrigen reden wir hier vom strafrechtlichen Bereich. Zivilrechtlich können Urheberrechtsverletzer schon jetzt belangt werden mit Unterlassungsklagen und Schadensersatzforderungen.
SPIEGEL ONLINE: Riskante Zeiten auch für Eltern
Bettin: Die haben in digitalen Zeiten sowieso schon eine Menge zu hüten. Das wird nicht einfacher werden, wenn man hier der gesellschaftlichen Realität nicht Rechnung trägt.
Von wegen Wissenschaft: Wie die Novelle Forschung Lehre behindert
SPIEGEL ONLINE: Keine einzige Lobbygruppe scheint wirklich glücklich mit dem Gesetzentwurf. Nehmen wir nur das Thema Bibliotheken und Wissenschaft: Auch dort gärt es
Bettin: Ja, ein sehr schwieriges Thema, deshalb haben wir im Bildungsausschuss auch gegen das Gesetz gestimmt. Das Gesetz soll ja neu regeln, wie man in Zeiten digitaler Medienverbreitung mit Urheberrechten umgeht, zum Beispiel bei wissenschaftlichen Werken, die digital vorliegen oder die man digital zur Verfügung stellen will. Auch an Universitäten und in der Forschung geht es natürlich immer stärker hin zu Online- und anderen digitalen Verbreitungsformen. Die Situation ist jetzt folgende: Hat eine Bibliothek genau ein Exemplar eines Buches, darf sie dieses auch an genau einem Online-Leseplatz zur Verfügung stellen. In Ausnahmefällen, wenn es zu Engpässen kommt, darf man bis zu vier Leseplätze mit dem Buch bestücken. Das finden wir alles andere als zeitgemäß und nicht im Sinne der Studierenden. Außerdem freuen wir uns schon auf das Gerangel, wann nun ein sogenannter Engpass vorliegt und wann nicht.
SPIEGEL ONLINE: Und auch dem Versand von digitalen Kopien werden enge Grenzen gesetzt...
Bettin: Das ist nun so geregelt, dass es ein sogenanntes Verlagsprivileg gibt. Verlage können Bibliotheken darüber in Kenntnis setzen, dass sie selbst einen Online-Versandservice anbieten, dann dürfen die Bibliotheken selbst dieses Werk nicht mehr versenden. Das verhindert Innovation.
SPIEGEL ONLINE: Und dürfen die Verlage den Preis für solche digitalen Kopien frei definieren?
Bettin: Da geisterte einmal die Zahl von 35 Euro pro Exemplar herum, aber das ist nun nicht so: Im Gesetz steht eine Formulierung, die sicherstellt, dass hier die Preisforderungen nicht ins Unendliche gehen, wenngleich das natürlich wieder Auslegungssache ist. Wir kritisieren aber nach wie vor, dass es in diesem Bereich keinen Wettbewerb geben wird. Wir sind der Meinung, dass die Studierenden ein Anrecht auf kostengünstigen Zugang zu wissenschaftlichen Informationen haben. Und wir sind gegen ein Verlagsprivileg, weil es verhindert, dass sich die Verlage mit innovativen, für Studenten attraktiven Angeboten hervortun. Die neue Regelung fördert die Wissenschaft nicht gerade.
Dritter Korb: Muss der Novelle eine Novelle folgen?
SPIEGEL ONLINE: Alles andere als glücklich sind auch die Urheber, die sich gegenüber den Rechteverwertern benachteiligt sehen - vor allem im Hinblick auf die noch unbekannten Verwertungsformen.
Bettin: Das Gesetz schreibt fest, dass ein Urheber vom Rechteverwerter kontaktiert wird. Sobald das Werk in einer noch unbekannten Nutzungsart genutzt wird. Der Urheber ist aber dafür verantwortlich, das die richtige Adresse vorliegt. Er wird angeschrieben und muss dann binnen drei Monate reagieren. Tut er das nicht, wird das als Einverständnis gewertet. Ist der Urheber gerade umgezogen und wird darum nicht erreicht, dann hat er ein Problem, denn der Urheber muss den Verwerter über seine aktuellen Adressdaten auf dem Laufenden halten. Viel schlimmer aber ist, dass dieses Widerrufsrecht für Filmschaffende nicht gelten soll. Da wird einer ganzen Gruppe von Urhebern ihr legitimes Recht verwehrt. Das geht so nicht.
SPIEGEL ONLINE: Carsten Müller von der CDU und Jörg Tauss von der SPD haben bereits im Vorfeld signalisiert, dass sie eine Diskussion um einen Dritten Korb der Novelle begrüßen würden. Würden Sie sich da anschließen wollen?
Bettin: Ich glaube, dass ein Dritter Korb tatsächlich notwendig wird. Wir haben genügend Änderungswünsche, die wir da gerne einbringen würden. Darüber hinaus gab es viele Vorschläge, die noch nicht abgearbeitet sind oder aus denen nichts geworden ist, weil sich die SPD innerhalb der Koalition nicht hat durchsetzen können. Sie hat gestern im Kultur- und Medienausschuss noch nicht einmal eine Debatte dazu geführt, was ich in Anbetracht der Wichtigkeit des Themas für so viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Gruppen unglaublich finde.