Urteils-Revision Online demonstrieren ist nicht strafbar

Ein Oberlandesgericht hat die Verurteilung eines linken Online-Aktivisten aufgehoben. Der Mann hatte vor fünf Jahren dazu aufgerufen, die Webseite der Lufthansa durch massenhafte Aufrufe lahmzulegen, um gegen Abschiebe-Flüge zu protestieren.

Das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) sah keinen Anlass, dem Angeklagten Stephan V. "öffentliche Aufforderung zu Straftaten" vorzuwerfen. V. hatte auf seiner Webseite Libertad.de  im Jahr 2001 einen Aufruf veröffentlicht, der die Lufthansa ärgern sollte. Weil die Fluggesellschaft mit ihren Maschinen auch an Abschiebungen beteiligt war, sollte als "Online-Demo" die "Homepage blockiert" werden. Die damals im Wachstum befindlichen Online-Buchungen sollten so gestört werden, um das Vertrauen von Lufthansa-Kunden zu untergraben.

Der Termin für die Aktion wurde für den Zeitpunkt festgelegt, an dem der Vorstand der Lufthansa AG die Hauptversammlung eröffnen sollte - seine Rede sollte auch im Netz übertragen werden. Sogar ein eigens gebasteltes Programm für automatisierte Seitenaufrufe veröffentlichte V. - mit Erfolg. "Es erfolgten ca. 1.262.000 Zugriffe von 13.614 IP-Adressen", hält die Urteilsbegründung fest. Das habe zu "erheblich verzögertem Aufbau der Seite", teils sogar "zum Totalausfall" geführt. Insgesamt seien der Lufthansa auch Kosten von fast 50.000 Euro entstanden, für eigenes und angeheuertes IT-Personal.

Dennoch sei die "Online-Demonstration" keine Nötigung gewesen, und ihr Initiator, entgegen dem ursprünglichen Urteil des Frankfurter Landgerichts, somit kein Straftäter, so das neue Urteil  (Aktenzeichen: 1 Ss 319/05).

Keine "Drohung mit einem empfindlichen Übel"

Nach Auffassung des OLG setzt Nötigung die Anwendung von Gewalt oder eine "Drohung mit einem empfindlichen Übel" voraus. Bei der Bedienung des Computers mit Tastatur oder Maus fehle es sowohl an der erforderlichen Kraftentfaltung als auch an der physischen Wirkung beim Opfer. Die vorige Instanz hatte noch eine Parallele zwischen dem Klicken mit der Maus und dem Ziehen eines Pistolenabzuges gesehen, weil "in beiden Fällen technische Reaktionen hervorgerufen" würden - diese Analogie wies das OLG nun aber zurück.

Die Wirkung des Tastendrucks "beschränkt sich vorliegend ja auf den Bereich des Internets", so die Richter, "sie ist nicht gegen Körper der User gerichtet". Ein Vergleich mit einer Sitzblockade sei ebenfalls unzulässig, weil dabei "die Opfer in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, was im Fall der 'Onlineblockade' nicht gegeben ist".

Von "Drohung mit einem empfindlichen Übel" könne auch keine Rede sein, weil der Aufruf zur Seitenblockade nicht an Bedingungen geknüpft gewesen sei. Das Urteil lässt sich somit nicht von Kriminellen als Präzedenzfall ausnutzen, die mit Androhung von Netz-Attacken Geld von Unternehmen erpressen wollen. Andere Tatbestände wie Datenveränderung oder Unterdrückung von Daten seien durch die Aktion ebenfalls nicht erfüllt. Zivilrechtliche Schadenersatzansprüche blieben von der Entscheidung allerdings unberührt.

cis/dpa

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