US-Wahlkampf Jeder Fehltritt landet im Netz

Aggressive Blogger krempeln mit Hilfe von "YouTube" und "MySpace" den US-Wahlkampf um. Ausrutscher von Kandidaten kursieren oft Minuten später als Videos im Web - ebenso schnell können sie politische Karrieren ramponieren.

Die Sonne strahlte in Virginia, und der republikanische Senator George Allen mit ihr. Allen stand unter einem Baum im "Breaks Interstate Park", er versprach einen positiven und heiteren Wahlkampf und fing gleich damit an - auf seine Weise. Der Senator erspähte einen dunkelhäutigen jungen Mann mit einer Kamera unter seinen Zuhörern, winkte ihm zu und rief ihn fröhlich: "Macaca". So heißen asiatische Bergaffen. Die Leute lachten, und Allen kam so richtig in Fahrt: "Willkommen in Amerika, Macaca", schickte er grinsend hinterher.

Der dunkelhäutige junge Mann, S. R. Sidarth, ist in Virginia geboren. Er hatte seine Kamera auf Allen gerichtet, weil er für dessen demokratischen Herausforderer arbeitete - und genau auf solche Ausrutscher hoffte. Flugs stellte Sidarth die Aufnahme des "Macaca"-Grußes auf die Video-Website "YouTube". Dort avancierte sie zum meistgesehenen Clip der Seite. Bald griffen "Washington Post" und Fernsehkanäle  die Geschichte auf. Allen entschuldigte sich zweimal öffentlich. Doch binnen weniger Tage wurde aus dem möglichen Präsidentschaftskandidaten ein Politiker unter Rassismusverdacht, der um seine Wiederwahl bei den Kongresswahlen im November zittern muss.

"Pass auf, mit deiner nächsten Dummheit kannst du auf 'YouTube' landen", gibt die "New York Times" derzeit als Losung an Amerikas Politiker aus. Die neuen Medien haben zwar schon bei der Präsidentschaftswahl 2004 eine gewichtige Rolle gespielt. Damals war der Demokrat Howard Dean kurzzeitig aussichtsreichster Kandidat seiner Partei, weil Hunderttausende internetaffine Anhänger online "Dean-Treffen" im ganzen Land organisierten und per Mausklick Millionen spendeten.

Zwei Jahre sind im Netz eine Ewigkeit

Doch zwei Jahre sind eine Ewigkeit im Datennetz. In dieser Zeit gab es neben neuen Phänomen wie "YouTube" einen Boom von sozialen Netzwerken wie "MySpace" oder "Facebook" (siehe Kasten). Auf denen tummeln sich vor allem Amerikaner zwischen 18 und 24 Jahren. Die machen immerhin 20 Prozent der Wahlberechtigten aus. 9,5 Millionen Nutzer haben etwa ihren Steckbrief in Facebook online gestellt - darunter Evan Bayh aus Indiana. Dessen Lieblingsbeschäftigungen (Laufen, Lesen, "West Wing" gucken) lesen sich noch wie die eines College-Studenten. Seine Interessen, etwa Energieunabhängigkeit für Amerika oder internationale Handelspolitik, sind schon eher ungewöhnlich. Und seine Berufsbezeichnung ist es ganz sicher: Evan Bayh ist US-Senator.

Die Betreiber von "Facebook", das als Netzwerk für Studenten begann, legten Anfang September 1600 elektronische Profile der Kandidaten für Gouverneursposten, Senat und Kongress an. 200 davon haben diese schon personalisiert, wie Evan Bayh. Auch "MySpace" will nun soziales Netzwerken mit Politik mixen. Die Seite bietet seit kurzem seinen mehr als 100 Millionen registrierten Nutzern an, sich per Mausklick für die Wahl registrieren zu lassen. Politiker buhlen aggressiv um diese Zielgruppe. Der texanische Gouverneurs-Kandidat Kinky Friedman hat durch humorige Pflege seines "MySpace"-Profils in wenigen Wochen 30.000 Online-Freunde gesammelt.

Besonders im Wahlkampf müssen US-Politiker aber auch die schon etablierteren Blogs im Auge behalten. Als bei den Nominierungs-Parteitagen beider Parteien 2004 erstmals Blogger Akkreditierungen erhielten, machte das noch Schlagzeilen. Mittlerweile haben sie längst bewiesen, dass sie politische Karrieren torpedieren oder befördern können. Die innerparteiliche Meuterei gegen Senator Joe Lieberman gerade in den demokratischen Vorwahlen in Connecticut wegen seiner Unterstützung für den Irakkrieg orchestrierten vor allem Blogger. Sie verbreiteten das für Lieberman verhängnisvolle Bild, auf dem ihn George W. Bush nach einer Rede herzlich umarmt.

Aus Respekt vor solcher Macht lud John Edwards, vor zwei Jahren Vizepräsidentschaftskandidat von John Kerry, im Sommer zehn wichtige Blogger zum Essen ein. Edwards füttert nun seinen eigenen Blog jede Woche mit Videointerviews. Hillary Clinton, ebenfalls eine mögliche Kandidatin für das Weiße Haus, hat bereits einen "Internet Outreach Officer" engagiert.

Doch der Hype birgt Risiken. Die Politiker wollen Blogger und Online-Netzwerker einspannen - die aber lassen sich ungern auf eine einheitliche Botschaft verpflichten. Wenn das Internet außerdem zu einer gewaltigen Datenbank wird, in der jede spontane Äußerung auf ewig abrufbar ist, dann könnten US-Politiker noch mehr zu Marionetten ihrer Berater werden.

Auch die Medien müssen um ihre Rolle fürchten. Früher hätte S. R. Sidarth erst einen Redakteur von der Relevanz seines "Macaca"-Videos überzeugen müssen. Durch die neuen Online-Plattformen entfällt diese Instanz.

Damit steigt jedoch auch die Gefahr von Missbrauch. "YouTube" zum Beispiel unterliegt nicht den strengen Auflagen der US-Wahlkampfkommission und muss keine Quellen offenbaren. Diesen Sommer zirkulierte dort das angeblich private Video eines "29-jährigen aus Beverly Hills", das Al Gores Film über den globalen Klimawandel als sachlich falsch angriff - bis sich herausstellte, dass dahinter ein Lobbyist der Ölindustrie steckte. Den Skandal enthüllte eines der alten Medien: das "Wall Street Journal".

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