Vernetztes Europa "Die Mitgliedsstaaten wollen die Datenspeicherung"
Die Justiz- und Innenminister der EU-Staaten sind bei ihren Beratungen in Luxemburg zu einer generellen Einigung in Sachen Vorratsdatenspeicherung gekommen. "Zur Bekämpfung von Terror und Kriminalität" sollen künftig Telefondaten für ein Jahr gespeichert werden. Die genaue Ausgestaltung dieses Vorhabens bedürfe jedoch noch der weiteren Klärung.
Die Beratungen hätten gezeigt, dass die Mitgliedstaaten "die Datenspeicherung generell wollen", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Gemacht wird, was machbar ist
Einen Beschluss fassten die Minister nicht. Einigkeit herrsche aber, dass zunächst Telefondaten gespeichert werden sollen. Unklar sei, ob dies nur Anrufe mit Verbindung oder auch erfolglose Anrufe betrifft. Die Speicherung von Internet-Verbindungen werfe zurzeit noch zu viele Probleme auf, weshalb davon zunächst abgesehen werden solle. Unklar sind zudem die Kosten und ob die Unternehmen dafür von staatlicher Seite entschädigt werden sollen.
Wenig Begeisterung dürfte das Ergebnis der Beratungen darum auf Seiten der Industrie verursachen. Angedacht war zunächst, die Kosten der Vorratsdatenspeicherung zulasten der Telekommunikationsunternehmen gehen zu lassen - das aber könnte Mehrkosten in Milliardenhöhe verursachen. Geplant ist laut Zypries, dass die Regierungen unter britischer Präsidentschaft im nächsten Halbjahr mit der Industrie Gespräche aufnehmen. Klar sei, dass das Thema auf der Tagesordnung bleibe und dass die bislang vorgebrachten Vorschläge "in die richtige Richtung" gingen, sagte Zypries. Die Bedenken der Datenschützer machen sich an der Frage fest, wer letztlich Zugang zu den gespeicherten Daten bekommen soll.
Kritik an den Ergebnisse der Luxemburger Beratungen übte umgehend die Datenschutz-Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Gisela Piltz. Sie wirft Zypris vor, Beschlüsse des Bundestags zu umgehen und "durch die europäische Hintertür" auf eine "Mindestspeicherungsfrist für Verkehrsdaten" hinzuwirken, gegen die sich alle Fraktionen des Bundestages ausgesprochen hätten.
Für die Grünen zeigt sich darin gar, dass "Frau Zypries und die Justiz- und Innenminister der EU-Staaten die Ursachen für die Krise der Europäischen Union noch nicht verstanden" hätten.
In einem Statement des Bundesvorstandes, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, heißt es wörtlich: "Der Rat und die nationalen Regierungen wollen weiter am Parlament vorbei eine Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten einführen. Das ist nicht nur verfassungsrechtlich problematisch. Anstatt gegen die Beschlüsse nationaler Parlamente am Europäischen Parlament vorbei Bürgerrechte und Datenschutzstandards abzubauen, bedarf es einer transparenten und demokratischen Politik, die die Bürgerinnen und Bürger einbezieht. Eine Vorratsdatenspeicherung und der Aufbau von Datenbanken mit biometrischen Daten sind schwerwiegende Eingriffe, bei denen das Europäische Parlament mitentscheiden muss."
"Big-Brother-Datenbank"
Dass eine einmal geschaffene Informations-Infrastruktur immer wieder neue Nutzanwendungen finden kann, zeigt das SIS-Computersystem, das die Unterzeichnerstaaten des genannten Schengen-Abkommens vernetzt. Ursprünglich geschaffen, um nach dem Wegfall der Binnengrenzen eine EU-weite, koordinierte Sicherung der Außengrenzen zu ermöglichen, wurde SIS 2002 auch als Informationsquelle für Fahndungsbehörden und Geheimdienste geöffnet.
Nun erhalten in einem weiteren Zug auch Europas Straßenverkehrsämter Zugang zum SIS-Verbund: Auch Autoschiebern soll so nach einem Beschluss der Luxemburger Ministerrunde per SIS künftig schneller das Handwerk gelegt werden. "Kriminelle haben es damit sehr viel schwerer, gestohlene Autos in anderen EU-Staaten zu verkaufen", erklärte EU-Justizkommissar Franco Frattini.
Bis zum Jahr 2007 ist die Ablösung des SIS-Systems durch das so genannte SIS II geplant, dass dann über erheblich leistungsfähigere Datenbanken verfügen und unter anderem auch biometrische Informationen über Personen erfassen soll. Die britische Bürgerrechtsbewegung Statewatch warnte darum vor wenigen Tagen vor einem "panoptischen Überwachungsapparat" und einer "Big-Brother-Datenbank", die da "hinter dem Rücken der europäischen Parlamente" aufgebaut werde. Als Verfechter der Erfassung biometrischer Kennzeichen und deren Nutzung an den Schengen-Außengrenzen gilt auch Innenminister Otto Schily.
Den Schritt zur flächendeckenden Speicherung von Telefondaten begründen die EU-Minister mit früheren Fahndungserfolgen, die auf gespeicherten Telefondaten beruhten. So hätten die Attentäter des Anschlags in Madrid vom 11. März 2004 auf Grund von aufgezeichneten Daten über Handy-Verbindungen festgenommen werden können.
Dem Schengen-System gehören alle alten EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands an. Die zehn neuen Länder sollen 2007 teilnehmen. Mitglied sind zudem Norwegen und Island. Die Schweiz stimmt am Sonntag in einer Volksabstimmung über einen Beitritt zu Schengen ab. Am Donnerstagabend wollten die Minister in Luxemburg in einer feierlichen Veranstaltung an den 20. Jahrestag der Unterzeichnung der Schengen-Vereinbarung erinnern. Diese trat zehn Jahre später, im März 1995, in Kraft.