Verschollene Mitschüler Bürgel und Creditreform retten Klassentreffen

Das 20-jährige Klassentreffen steht an. Aber viele ehemalige Mitschüler sind weder in elektronischen Telefonbüchern noch mit Hilfe von Google zu finden. Zum Glück gibt es Wirtschaftsauskunfteien - mit einem geradezu erschreckend guten Gedächtnis.

Die deutsche Finanzbranche meint es gut mit meiner Klasse. Sie hat nicht nur zwei meiner Mitschüler mit offenen Armen aufgenommen, die vor 20 Jahren noch den Sozialismus mit der Waffe in der Hand verteidigen wollten: Beide hatten sich für 25 Jahre bei der Nationalen Volksarmee verpflichtet - als Berufsoffizier. Nach der Wende 1989 mussten sie umdisponieren – und machten eine typische Banker-Karriere.

Wichtiger als dies war aber die wertvolle Unterstützung, die die Finanzbranche in der Vorbereitung des Klassentreffens geleistet hat. Damit hier niemand auf falsche Gedanken kommt: Es gab keine anrüchige Spende von irgendeiner Bank, damit wir das 20-jährige Jubiläum unseres Schulendes in einer Nobelherberge mit reichlich Champagner begießen konnten. Die Branche half vielmehr mit Adressen verschollener Mitschüler.

Im September bekam ich eine E-Mail eines Mitschülers, mit dem ich von 1978 bis 1986 die 11. Polytechnische Oberschule "Dr. Bruno Schoenlank" in Leipzig besucht hatte. "Gibt es dieses Jahr eigentlich wieder ein Klassentreffen", fragte er mich, "nachdem ja nun 20 Jahre rum sind?". "Ich habe nichts gehört", antwortete ich ihm, und nahm mir vor, das Ganze in die Hand zu nehmen.

Als Journalist weiß man ja, wie man recherchiert, dachte ich. Und da müsste es doch ein Leichtes sein, die Klasse wieder zusammenzutrommeln, genauer gesagt: zusammenzugoogeln.

Ein gewaltiger Irrtum! Mit Suchmaschinen und Telefonbuch fand ich gerade mal fünf, sechs Mitschüler. Ein Teil davon war wiederum ausschließlich über Stayfriends zu finden - die Kontaktaufnahme kostete mich 18 Euro - so viel zahlt man für eine Gold-Mitgliedschaft bei dem Ehemaligenportal für ein Jahr. Und nur damit kann man Nachrichten an andere versenden, die diese auch lesen können.

Wo wohnten die Eltern noch mal?

Zu dem Zeitpunkt erwog ich ernsthaft, den traurigen, im Netz auffindbaren Rest meiner Klasse nach Hamburg einzuladen - zu einem Treffen in kleiner Runde. Zum Glück kam es aber nicht dazu.

Ich erinnerte mich daran, dass die Eltern einer Mitschülerin Mitte der achtziger Jahre in einem Einfamilienhaus im Nordosten Leipzigs gewohnt hatten. Die genaue Adresse wusste ich zwar nicht mehr, aber in solchen Fälle hilft die Umkreissuche im Online-Telefonbuch der Telekom: Einfach eine Straße aus dem fraglichen Viertel auswählen, den Nachnamen eintippen und Suche im Umkreis auswählen - zum Beispiel mit dem Umkreisradius ein Kilometer.

Tatsächlich wohnten die Eltern noch dort und so erreichte ich über den Vater die Mitschülerin selbst. Und sie hatte sich die Adressliste von unserem letzten Klassentreffen von vor zehn Jahren aufgehoben. Auf diesem Papier stand, was keine Suchmaschine der Welt finden kann. Es ging jetzt Schlag auf Schlag: Drei Viertel aller Mitschüler waren binnen weniger Tage gefunden - doch dann war plötzlich Schluss.

Eine Handvoll Leute blieb verschollen. Die Eltern wohnten nicht mehr dort, wo sie einst gewohnt hatten - oder waren im Telefonbuch nicht verzeichnet. Das Einwohnermeldeamt hätte womöglich weiterhelfen können. Dort kostet allerdings jede Auskunft Geld - und ich hatte mit der Stayfriends-Gold-Mitgliedschaft mein gefühltes Limit schon längst überschritten. Ein Klassentreffen, zu dem nicht alle eingeladen sind? Das geht nicht. Was also tun? Ich war ratlos.

Komplette Umzugshistorie gespeichert

Ich erzählte einem Freund in Hamburg abends bei einem Bier von dem Problem - mehr zufällig, als er mich fragte, was ich die letzten Tage so gemacht habe. "Ich kann dir vielleicht helfen", meinte Peter (Name geändert), "mail mir doch einfach mal die Daten der Leute, die noch fehlen."

"Kommst du etwa an Schufa-Daten ran?", war meine erste Reaktion. Ich wusste, dass Peter seit Jahren eine kleine Firma für Finanzdienstleistungen leitet. Nein, sagte er, er habe andere Quellen, und grinste mich vielsagend an.

Einen Tag später hatte ich alle fehlenden Adressen - nur eine Mitschülerin war partout nicht aufzutreiben, weil keiner wusste, wo sie nach 1989, dem Jahr der Wende, gewohnt hatte. "Wenn du ihren Geburtstag hättest, könnte ich womöglich noch was tun", sagte Peter und verriet mir, wie er die Verschollenen aufgespürt hatte: mit Datenbanken der Wirtschaftsauskunfteien Bürgel und Creditreform. Beide haben unter anderem die bis in die neunziger Jahre zurückreichende Umzugshistorie von Privatpersonen gespeichert, so dass man auch mit einer längst ungültigen Anschrift suchen kann. Die Adressdaten kommen, zumindest bei Bürgel, auch von der Post.

Als Finanzdienstleister zahlt Peter jedes Jahr knapp tausend Euro - und darf dafür ein paar hundert Einzelanfragen stellen. Bürgel und Creditreform wissen, wer irgendwann einmal in Privatinsolvenz gegangen ist, wessen Kredit geplatzt ist - und gegen wen ein Vollstreckungstitel vor Gericht durchgesetzt wurde. "Wenn ich für einen Neukunden eine Finanzierung anbieten will, dann mache ich vorher eine Online-Abfrage zur Person, um zu wissen, ob sich der Weg zur Bank überhaupt lohnt", erklärte mir mein Freund. Das Ganze sei eine Art Zuverlässigkeitscheck.

Missbrauch nicht ausgeschlossen

Die Abfrage meiner verschollenen Mitschüler sei kein Problem gewesen. Als Grund der Online-Anfrage habe er "Geschäftsanbahnung" angegeben - und prompt die aktuellen Anschriften und sogar eine Telefonnummer erhalten.

Erstaunlich, wie leicht man an solche Informationen kommt. Einen Missbrauch ihrer Datenbanken wollen beide Auskunfteien nicht ausschließen. Der Anfragende müsse ein berechtigtes Interesse angeben, um Daten abzufragen, etwa eine Kreditanfrage für einen Kunden oder die Anbahnung einer Geschäftsbeziehung, sagte Bürgel-Sprecherin Iris Stadie im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wir prüfen das berechtigte Interesse jedoch nicht. Das können wir gar nicht bei den Millionen von Anfragen." Dass die Daten "auch außer der Reihe" genutzt würden, sei kaum zu kontrollieren. Einzig die zuständigen Datenschutzbeauftragten führten Kontrollen durch - in Stichproben.

Michael Bretz, Sprecher von Creditreform, verweist sogar ausdrücklich auf die geltenden Gesetze: "Wir sind datenschutzrechtlich nicht beauftragt zu überprüfen, ob ein berechtigtes Interesse für eine Anfrage vorliegt." Dass missbräuchliche Abfragen möglich seien, sei nur schwer in Griff zu bekommen. Missbräuchliche Abfragen zu bestreiten, "wäre unsinnig", so Bretz.

So ist das also. Der Datenschutz ist ein Papiertiger, wenn man die richtigen Leute kennt. Und ich selbst habe dabei mitgemacht. Immerhin, tröste ich mich, war es für einen guten Zweck.

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