Videos Online Angst vor der eigenen Courage
Den Namen Enron verbindet man gemeinhin mit der größten Firmenpleite in der Geschichte der USA. Eine selten erwähnte Fußnote dieser Pleite ist ein gescheitertes Projekt, das Enron im Juli 2000 zusammen mit der großen amerikanischen Videothekenkette Blockbuster ankündigte.
"Enron Broadband" hieß der Service, mit dem man sich aus dem Internet Spielfilme herunterladen können sollte. Das Projekt kam nie über die Planungsphase hinaus, und ein paar Monate nach der Ankündigung meldete Enron Konkurs an. Seitdem sind über sechs Jahre vergangen, eine Ewigkeit im Internetzeitalter, doch es hat sich nicht wirklich viel getan, wenn es um legale, kommerzielle Downloadangebote für Spielfilme geht. Zwar gibt es mittlerweile eine Handvoll Anbieter, doch deren Kundenzahlen sind bisher allenfalls mäßig.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Filmdateien sind noch zu groß, um sie mit durchschnittlichen Internetverbindungen schneller runterzuladen, als etwa der Gang zur Videothek dauert. Außerdem verlangen viele Anbieter die Installation von speziellen Programmen, um die Filme abspielen zu lassen, was nicht wenige potentielle Kunden abschreckt. Diese Programme verhindern oft das Brennen der Filme auf DVDs, so dass man sich die Filme nicht auf dem Fernseher ansehen kann. Solche Probleme sind bei Musikdateien weitestgehend gelöst. Die meisten Konsumenten haben sich an MP3-Player und Musiksoftware gewöhnt.
Dementsprechend fiel das Urteil von Tobias Kniebe in der "Süddeutschen Zeitung" aus, der eine Reihe von Filmdownloaddiensten testete: "Nur hartgesottene Internetnutzer, die ganz vorn dabeisein müssen, sollten sich derzeit ins Abenteuer des digitalen Filmdownloads stürzen." Eine Ironie dieses Fazits spricht Kniebe nicht an: In Wahrheit gibt es schon reichlich hartgesottene Internetnutzer, die sich Filme auf den Computer laden, allerdings nicht auf legalem Wege.
Gigantischer Markt - ohne Einnahmen
Die Zahl der P2P-Börsennutzer allein in Deutschland wird auf zehn bis zwölf Millionen geschätzt und P2P heißt heute vor allem Film und TV per Internet. Einer Traffic-Analyse des Unternehmens ipoque vom Oktober 2006 zufolge entfallen gerade noch 7,79 Prozent des gesamten P2P-Datenverkehrs auf Musikdateien. Videos machen dagegen auf der weltweit wichtigsten P2P-Softwareplattform BitTorrent über 71 Prozent aus (der Rest entfällt auf Software, vor allem Spiele).
Die großen Filmfirmen stehen ähnlich ratlos da wie vor Jahren die Musikindustrie, die nicht wusste, wie sie auf die wachsende Musikpiraterie reagieren sollte. Noch zeichnet sich keine klare Lösung ab, wie in Zukunft Filme über das Internet auch kommerziell vertrieben werden, aber gleichzeitig laden sich immer mehr Nutzer illegal Filme aus dem Netz. Die Filmfirmen stehen zusehends unter Zugzwang und reagierten Ende November, als fast alle großen Filmstudios eine Partnerschaft mit der Software-Firma BitTorrent ankündigten.
Auch Versuchsballons gibt es massenhaft. Am Mittwoch eröffnete in Deutschland die Elektronikkette Mediamarkt den in2movies, über den Filme nicht nur - wie schon seit Jahren über die Breitbandportale von Telekom oder Arcor - gemietet werden können, sondern auch gekauft. Ähnlich wie einst bei den ersten kommerziellen, von der Musikindustrie lizenzierten Online-Shops ist man aber versucht zu fragen, ob das Angebot wirklich ernst gemeint sein kann: Nicht nur, dass es bisher äußerst dünn ist, es ist auch teuer. Zwar wirbt in2movies mit Preisen ab 6,99 Euro für einen Film, unter dem Strich orientieren sich die Preise aber eng an denen entsprechender DVDs - und liegen teils sogar darüber.
Wollen die nicht - oder dürfen sie nicht?
Das aber ist allenfalls halbherzig, wenn nicht gar kontraproduktiv: Da man die Dateien nicht brennen kann, sind die Filme primär dafür gedacht, auf dem Rechner gesehen zu werden - oder per entsprechender Kabellösung auf den Fernseher überspielt zu werden. Das ist umständlich und entwertet das Produkt. Wer da den modernen Klassiker "Twelve Monkeys" mit Bruce Willis sehen will, wird die bei in2movies fälligen 7,99 Euro wohl nicht als Sonder-, sondern eher als sonderbares Angebot wahrnehmen: Als DVD ist das Ding für 6,99 Euro im Handel - und es lag auch schon Zeitschriften als kostenlose DVD bei.
Noch also steht sich die Branche offenbar selbst auf den Füßen und fürchtet die eigene Courage. Dabei stehen ihr zumindest die technischen Mittel für einen kostengünstigen Online-Vertrieb seit langem zur Verfügung, was auch den potenziellen Kunden bewusst ist. Die erwarten gerade dann eine Weitergabe der Kostenvorteile (Wegfall von DVD-Produktionskosten, Verlagerung der Logistikkosten auf den Endkunden), wenn die Auslieferung mit P2P-Programmen wie BitTorrent geschieht.
BitTorrent (BT) ist ein File-Sharing-Programm, mit dem sich große Datenmengen über ein ad hoc, durch die Verbindung von BT-Nutzern über eine herunterzuladende Datei entstehendes Peer-to-Peer-Netzwerk austauschen lassen. Bisher machte das Programm vor allem im Zusammenhang mit illegalen Kopien von Filmen und Musik Schlagzeilen. Von einzelnen Medienunternehmen wie der BBC und Time Warner ist zudem bekannt, dass sie mit BT-ähnlichen Programmen Online-Vertriebe erproben.
Wie genau nun aber der kommerzielle Vertrieb der US-Filmfirmen funktionieren soll, dessen Start für den Februar 2007 angekündigt ist, ist noch nicht wirklich klar. Wichtig wird den Studiobossen jedenfalls gewesen sein, dass BitTorrrent der Implementierung eines Filter- und DRM-Mechanismus zugestimmt hat, mit dem sichergestellt werden soll, dass das kommerzielle BT-Netzwerk nicht für illegalen Dateienvertrieb missbraucht werden kann.
Die Nische prescht vor
Die Musikindustrie hat sich derweil mehr oder weniger mit den neuen Medien abgefunden. Die Jagd auf Musikpiraten geht zwar weiter, aber Angebote wie zum Beispiel der iTunes Music Store sind inzwischen wichtige Einnahmequellen geworden. Künstler wie Lily Allen und die Arctic Monkeys sind erst durch den Internethype und kostenlose Downloads ihrer Songs zu Erfolgen geworden. Die Smashing Pumpkins stellten ihr letztes Album sogar komplett umsonst als MP3s ins Internet.
Beim Film gibt es dagegen nach wie vor Berührungsängste. Einige Independent Regisseure wie zum Beispiel Hal Hartley nutzen das Internet vor allem als Vertriebsweg für DVDs, da ihre Filme im Kino nur noch minimal ausgewertet werden. Dann gibt es noch Produktionstagebücher wie das vom "Herr Der Ringe"-Regisseur Peter Jackson, der kurze Videos vom Dreh produzieren und per BitTorrent verbreiten ließ. Aber diese Internetauftritte sind im Prinzip nur ein anderer Zweig der Werbung für das eigentliche Hauptprodukt, den Kinofilm - wie die zahlreichen, über Webseiten und P2P-Börsen verbreiteten Trailer kommender Blockbuster.
Eigenständige Produktionen, die speziell für das Internet erstellt werden, sind sehr viel seltener. David Lynch ging da einen Schritt weiter und produzierte für seinen Internetauftritt eine (kostenpflichtige) Kurzfilmreihe namens "Rabbits", die auch in seinem neuen Kinofilm "Inland Empire" eine Rolle spielen wird.
Klassiker: Das Web ist ein Programmkino
Noch seltener kommt es vor, dass ganze Spielfilme legal und umsonst ins Internet gestellt werden, wie zum Beispiel "Nobody Needs To Know" von Azazel Jacobs. Der Independent Regisseur war einer der ersten, der sich entschied, seinen Film kostenlos unter der Creative Commons Lizenz als Download bereitzustellen, als klar wurde, dass er auf den alten Vertriebswegen kein großes Publikum mehr finden würde.
Jacobs' Film findet sich auch im großen Onlinearchiv"archive.org", über das zum Teil neuere Independentproduktionen, aber vor allem auch ältere Filme, deren Copyrightlizenz abgelaufen ist, abrufbar sind. Darunter finden sich Klassiker wie "Night of the Living Dead", "His Girl Friday" oder auch F.W. Murnaus "Nosferatu", die man sich in verschiedenen Auflösungen bis hin zur DVD Qualität umsonst auf seinen Computer laden kann. Einem anderen Genre, dem Kunstfilm, widmet sich die Seite www.ubu.com. Hier findet man sonst schwer zugängliche Avantgardefilme, darunter auch einige Filmexperimente von Samuel Beckett.
Nicht nur sind diese Seiten benutzerfreundlich, da man die Filme in gängigen Videoformaten runterladen kann und keine umständliche Software installieren muss, sie verkürzen auch die Wartezeit auf eine befriedigende kommerzielle Lösung für Filmdownloads, legal und kostenlos.
Mit Frank Patalong