WDR gegen wdr Goliath frisst David

Mehrere Jahre durfte sich der Münchner Journalist Wolf-Dieter Roth an seiner eigenen Internet-Domain www.wdr.org freuen. Dann entdeckte der Kölner WDR die Möglichkeiten des Cyberspace - und begann, sich möglichst viele "wdr"-Adressen zu sichern. Roth wurde abgemahnt, verlor die URL: Jetzt sitzt er auf einer 30.000 Mark-Rechnung.
Von Ralf Blittkowsky

Die Stimmung auf beiden Seiten ist gereizt. Nachdem ein Jurist (der namentlich nicht genannt werden möchte) die Verhandlungssache "wdr gegen WDR" in der Startphase als "kleiner Fall" einschätzte, haben Abmahnung, Widerspruch und einstweilige Verfügung die Streitsumme, Anwalts- und Gerichtskosten in die Höhe getrieben. Der WDR beschädigte sein eigenes Image, doch der Verlierer auf der juristischen Ebene ist klar Wolf-Dieter Roth.

Seit Frühjahr diesen Jahres macht dem Münchner Journalisten die Registrierung seiner Initialen als Domain zu schaffen. Seit mehreren Jahren unterhält der Redakteur der Zeitschrift "PC-Online" die Website www.wdr.org, unter der Softwareentwicklung und freie journalistische Dienste angeboten wurden. Im März erhielt der Journalist, der rund zwanzig Jahre seine Namensinitialen "wdr" zur Kennzeichnung seiner Arbeit nutzt, vom Justitiariat des Westdeutschen Rundfunks in Köln eine Unterlassungserklärung mit der Forderung zugestellt, die Domain www.wdr.org gegenüber der Internic/Icann freizugeben.

In ihrer Abmahnung argumentieren die WDR-Anwälte, man habe bis Ende Februar 2000 nichts von der Existenz der Domain "www.wdr.org" gewusst. Roth sah sich gegen Androhung einer Vertragsstrafe von 10.100 Mark zur Freigabe der Domain aufgefordert, da es sich "nach Paragraf 14, Abs. 2 des Markengesetzes bei den von Ihnen angebotenen Dienstleistungen teilweise um identische und teilweise ähnliche Leistungen handelt, wie sie zugunsten des WDR dem markenrechtlichen Schutz unterliegen."

Wolf-Dieter Roth beauftragte einen Münchner Anwalt mit dem Widerspruch auf die Abmahnung. Den quittierte der WDR im März mit einer einstweiligen Verfügung. Roths Widerspruch auf die einstweilige Verfügung, die den Journalisten zur Unterlassung der gewerblichen Nutzung der Website www.wdr.org auffordert, wurde im Mai vor dem Kölner Landgericht verhandelt und gegen Roth entschieden. Jetzt sitzt er auf auf dem Streitwert von 500.000 Mark beruhenden Gerichtskosten von rund 30.000 Mark. Der WDR hatte durch seine Anwälte die "Schadenssumme", die dem Sender durch den "Missbrauch" des Kürzels durch den Privatmann Roth entstehen könne, auf eine halbe Million Mark taxieren lassen. Die müsste Roth bezahlen, wenn er der durch die einstweilige Verfügung ausgesprochene Unterlassungserklärung zuwiderhandelte.

In seinem Urteil bestätigte das Kölner Landgericht die Priorität der Marke "WDR" gegenüber der Verwendung des an den Namensinitialen festgemachten Zeichens "wdr.org". Unterschiedliche Top-Level-Domains ("de" und "org") als Unterscheidungskriterium zwischen der Marke und dem Zeichen lässt das Urteil nicht gelten. Ausschlaggebend für das Gericht war die "Verwechslungsfähigkeit" zwischen Marke und Initialenkürzel. Das "Drei-Buchstaben-Wort" "WDR" könne in beliebigen Kontexten mit dem Westdeutschen Rundfunk in Köln assoziiert werden, unabhängig davon, mit welcher Top-Level-Domain es verbunden werde. Der Rundfunkanstalt gebühre das alleinige Recht auf die Verwendung dieser Buchstabenkombination für Second-Level-Domains.

"WDR" von Toulouse bis Tuvalu?

Muss dann aber nicht auch gegen Besitzer von Domains wie www.wdr.fr oder www.wdr.tv vorgegangen werden? Eine Frage, die Rechtsabteilungen von Medienanbietern offensichtlich verlegen macht. Markenrechtlich relevant sind solche Namensähnlichkeiten zwar nur, wenn die beiden "Namensinhaber" in einem verwandten Wettbewerbsfeld tätig sind (wie im Falle Journalist und Sender). Doch vieles deutet darauf hin, dass der WDR mehr will, als nur seine Markenrechte zu schützen: So gingen die Kölner auch das Schweizer Bankhaus Warburg Dillon Read an, dem die Domain www.wdr.com gehörte. Eine Verwechslungsgefahr zwischen einem Kreditinstitut und einer Rundfunkanstalt darf man wohl als hypothetisch bezeichnen. Die Bankiers aus dem Alpenstaat verzichteten jedoch, bevor es zum gerichtlichen Hauen und Stechen kam.

Nach dem Beschluss des Landgericht sucht Roth nach Mitteln und Wegen für eine nachinstanzliche Verhandlung. Während die WDR-Juristen im Laufe der Verhandlung Roth durch Domainvorschläge (zum Beispiel "www.wd-roth.de") den Verzicht schmackhaft machen wollten, liegt dem Journalisten nun der Ratenplan vor, der den doppelten Verlust bis auf Weiteres besiegelt.

Was zunächst aussah wie ein Zwist zwischen ungleichen Namensvettern, bekommt für Roth nun tragische Züge. Die "Softwareentwicklung Roth" hat jetzt ihren amerikanischen Kunden zu erklären, warum sie mit einer anderen Domain mit "de" als Anhang firmiert, und der Kölner Sender kann seine journalistischen Dienstleistungen, die sich längst nicht auf Rundfunkübertragungen beschränken, weltweit per Internet vermarkten.

Wolf-Dieter Roth, der schon längst auf seiner Site einen Link für verirrte Surfer zur Homepage des Westdeutschen Rundfunks verankert hatte, ist schon seit Monaten indigniert vom Domainstreit und erschrocken über die drohenden hohen Prozesskosten in Lauerstellung gegangen und hat eine neue Website mit seinem weltweit registrierten Funkernamen unter www.dl2mcd.de  eingerichtet.

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