
Web-Sensation Schau mal, wie es damals war
Taylor Jones kommt kaum zur Ruhe dieser Tage. Ständig rufen Journalisten an und wollen ihn interviewen. Erst aus den USA, jetzt auch aus Europa und anderen Teilen der Welt. "Der letzte Monat war verrückt, ich komme kaum noch hinterher", sagte Jones der britischen Zeitung " Independent".
Ende Mai startete der 21-jährige Kanadier sein Foto-Blog dearphotograph.com. Seine Aufforderung: "Mach ein Bild von einem Bild aus der Vergangenheit in der Gegenwart" - "take a picture of a picture from the past in the present".
Was er damit meint: Die Leser sollen alte Abzüge an den Originalschauplätzen in die Kamera halten, ein Foto davon machen und eine kurze Botschaft dazu schreiben. So entstehen nostalgische Momentaufnahmen, in denen Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen. Sie zeigen Kinder im Garten, beim Planschen im Gummiboot, Familien auf der Terrasse. Und sie sind handgemacht, nicht mit Photoshop manipuliert.
"Mein Lieblingsfoto ist das von dem Ehepaar auf der Bank", erzählt Taylor Jones. Auf dem Bild steht ein älterer Herr neben einer leeren Bank, das davorgehaltene Foto zeigt ihn mit seiner herzhaft lachenden Frau auf der Bank. Darunter die Worte "Danke für alles, was wir hatten." "Das Bild ist sehr emotional und hat viele Menschen berührt. Über 50.000 Leute haben es weiterempfohlen", sagt Taylor Jones.
Seine Idee traf einen Nerv - gerade jetzt, da Nostalgie das neue Lebensgefühl zu sein scheint: Verlage gründen Retro-Zeitschriften, Großstädter schießen Fotos mit ihren iPhones im körnigen, gelbstichigen Seventies-Look.
So wurde auch Dear Photograph innerhalb kürzester Zeit zum Selbstläufer, die Seite wurde bei Facebook und Twitter empfohlen, mehr als 3,5 Millionen Klicks verzeichnen die Zeitreisen-Bilder laut Jones. Ein Buch mit den besten Bildern sei schon in Planung, verriet Jones dem "Independent". Um die 30 Fotos werden ihm derzeit täglich zugeschickt - aber nur die schönsten schaffen es in sein Blog.
Bilder von Familienausflügen aus längst vergangenen Zeiten
Jones' Idee ist so simpel wie genial. Ganz neu ist sie allerdings nicht. Schon seit Jahren machen Hobby-Fotografen ähnliche Aufnahmen von alten Fotos vor aktuellem Hintergrund. Im Februar 2009 gründete etwa der Amerikaner Jason E. Powell die Gruppe " Looking into the Past" (in etwa: "Blick in die Vergangenheit") beim Fotodienst Flickr. Fast 3900 Mitglieder haben dort inzwischen mehr als 1500 Fotos hochgeladen, auf denen Altes vor Neuem zu sehen ist - mal gelungen, mal weniger. Sie zeigen Straßenzüge und Gebäude damals und heute, aber auch Hochzeitsfotos und schwarzweiße Strandaufnahmen oder Bilder von Familienausflügen aus längst vergangenen Zeiten.
Powell sieht die Konkurrenz gelassen. Dear Photograph habe einen anderen Fokus, sagte er SPIEGEL ONLINE, dort gehe es mehr um persönliche Fotos von Menschen, nicht so sehr um historische Aufnahmen. "Ich finde es super, dass immer mehr Menschen solche Bilder machen", freut er sich. Und für alle, die sich auch einmal darin ausprobieren wollen, gibt er noch ein paar Tipps:
- Das Originalbild nicht zu sehr in die Mitte halten, sondern eher an den Rand - sonst verdeckt es den aktuellen Hintergrund zu stark.
- Nicht bei stürmischem Wetter fotografieren, sonst flattert das Foto zu sehr im Wind.
- Eine gute Stelle auswählen, die eine Veränderung durchgemacht hat, nicht einfach nur uninteressante Landschaft abbilden.
- Mehrere Versuche machen und so lange ausprobieren, bis der Winkel und Abstand zum Originalbild passen.
Und wer es mit dem Ergebnis nicht auf Dear Photograph schafft, kann seine Bilder ja bei Flickr hochladen und Powells Nostalgie-Sammlung bereichern.