Webcams Wohin schoß Lee Harvey Oswald?
Die Amerikaner neigen bekanntlich zur Verklärung ihrer Staatsoberhäupter: So ist etwa die Geschichte vom Präsidenten und seiner Praktikantin schon heute ein modernes Märchen. Angeführt wird die Rangliste der nationalen Legenden aber immer noch vom mysterösen Attentat auf John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas: War Lee Harvey Oswald ein fanatischer Einzeltäter? Oder wurde der beliebteste Präsident Amerikas Opfer eines großangelegten Komplotts?
Per Webcam können sich nun Verschwörungstheoretiker und National-Nostalgiker in die Situation des vermeintlichen Mördes hineinversetzen: Die Dealey Plaza Cam bietet seit Donnerstag einen Live-Blick aus dem Fenster, von dem aus Lee Harvey Oswald um 12.30 Uhr auf den offenen schwarzen Lincoln des Präsidenten anlegte und die tödlichen Schüsse abfeuerte - wenn er es denn wirklich war.
Der berüchtigte Ausguck befindet sich im sechsten Stock eines ehemaligen Schulbuch-Lagers, das mittlerweile zu einer nationalen Gedenkstätte umfunktioniert wurde: Das "Sixth Floor Museum" zeigt in ständiger Ausstellung alles zum Leben, Wirken und zur legendenumwobenen Ermordung des Präsidenten. Der berüchtigte "sniper's perch" - der Platz, wo der Heckenschütze hinter Bücherkisten auf den herannahenden Kennedy-Konvoi wartete - ist aber von einer Vitrine geschützt, so daß den Besuchern vor Ort der Fenster-Blick versagt bleibt.
Die authentische Aussicht ist auch ein Vierteljahrhundert nach der Tat äußerst begehrt: Der Direktor des Museums erklärte, man habe schon unzählige Nachfragen erhalten, ob das Fenster nicht zugänglich gemacht werden könnte - Zeugnis eines nimmermüden Interesses am Kennedy-Mord. Denn obwohl die offizielle Untersuchungskommission 1998 zu dem Schluß kam, daß Oswald bei dem Anschlag als Einzeltäter gehandelt habe, glauben viele Amerikaner nicht daran: Bei einer Umfrage schlossen nur 27 Prozent der Befragten eine Verschwörung kategorisch aus.