Blinde im Internet Wie hört sich ein Emoji an?

Domingos de Oliveira surft gern auf Facebook und schreibt Nachrichten per WhatsApp. Und er ist blind. Hier erklärt er, wie er das Internet nutzt und warum die Erfindung des Smartphones für ihn ein Segen war.

"Geburtstagstorte. Lächelndes Gesicht mit Sonnenbrille. Rotes Herz. Grinsendes Gesicht mit zusammengekniffenen Augen. Lächelndes Gesicht mit zusammengekniffenen Augen. Grinsender Hundehaufen."

Die Stimme von Anna klingt roboterhaft abgehackt und leicht atemlos, während Domingos de Oliveira sich durch die Emoji-Palette auf seinem iPhone klickt. Er hat Annas Sprechtempo auf hoch eingestellt, Anna muss mithalten mit der Geschwindigkeit, in der de Oliveira sein Smartphone bedient - und die Emoji-Auswahl vor sich auf dem Bildschirm seines iPhones hörbar macht.

De Oliveira ist blind, seit Geburt. Er sieht die gelben Emoji-Gesichter und die anderen bunten Piktogramme vor sich auf dem Smartphone-Bildschirm nicht. Aber er kann trotzdem das passende Pixel-Bildchen an Freunde verschicken, dank Anna. Sie ist die Stimme seines Sprachausgabe-Programms auf dem iPhone, eine weibliche Variante der Sprachassistentin Siri. Im aktuellen iOS-Betriebssystem stehen außerdem noch Markus (159 Megabyte) und Yannick (416 Megabyte) zur Auswahl.

"Viele wissen gar nicht, dass behinderte Menschen auch im Internet und auf sozialen Netzwerken unterwegs sind. Dabei sind wir eine spannende Zielgruppe", sagt de Oliveira. Er ist häufig online, auf Facebook, Twitter oder WhatsApp. So wie andere Deutsche eben auch. Mittlerweile berät de Oliveira Behörden und Firmen, wie sie ihre Webseiten so gestalten können, dass auch Menschen mit einer Behinderung sie nutzen können - denn viele Menschen mit Sehbehinderung seien bereits jetzt online.

Domingos de Oliveira

Domingos de Oliveira

Foto: SPON

Das Smartphone machte vieles einfacher

Blinde nutzen ihr Smartphone und das Internet generell nach einem einfachen Prinzip: Da sie nicht oder nur schlecht sehen können, kommt der Hörsinn ins Spiel. Per Sprachausgabe lassen sie sich vorlesen, was auf den Bildschirmen zu sehen ist - und bekommen gegebenenfalls über sogenannte Screenreader mitgeteilt, wo sie sich im Bedien-Menü befinden, welches Icon sie anklicken und welche Aktionen möglich sind: Liken, retweeten, kommentieren.

De Oliveiras Wunsch nach Vernetzung kamen auch die beiden Mega-Trends der Digitalisierung zugute: Mit dem Siegeszug der Smartphones wurden Webseiten übersichtlicher und die Navigation deutlich vereinfacht. "Der Standardbildschirm ist heute kleiner als früher. Eine große, unübersichtliche Desktop-Seite findet da keinen Platz", sagt er. An Mobiltelefone angepasste Seiten erleichtern ihm die Navigation enorm.

In vielen Apps lassen sich die zentralen Funktionen schnell überblicken. "Die meisten setzen auf radikale Einfachheit. Es gibt drei, vier Buttons und dann hat man auch eine neue App verstanden", sagt de Oliveira. Dann überlegt er kurz und fügt lächelnd an: "Aber ich bin aus dem Alter raus, in dem man jedes neue Angebot ausprobiert."

Sprache ersetzt das unübersichtliche Benutzermenü

Der zweite Trend, hin zu Sprachassistenzsystemen wie Apples Siri oder Amazons Alexa  , sorgt außerdem dafür, dass optische Benutzeroberflächen verschwinden. Stattdessen genügen Sprachbefehle. Für Blinde sind diese neuen, weit verbreiteten Helfer leicht zu nutzen .

Längst sind Bedienungshilfen wie Anna, die Emoji-Vorleserin, standardmäßig in die Betriebssysteme von Smartphones integriert, etwa beim iPhone. Jeder Nutzer kann sie ausprobieren, über den Punkt Einstellungen > Allgemein > Bedienungshilfen > VoiceOver.

Bilder vorlesen lassen

Facebook zum Beispiel führte außerdem schon 2016 eine Funktion namens Automatic Alternative Text (AAT) ein. Künstliche Intelligenz (KI) soll der Plattform seitdem helfen, auf Bildern Objekte zu erkennen. Statt also nur vorgelesen zu bekommen, dass ein Freund ein Foto geteilt hat und es drei Kommentare gibt, können blinde Nutzer nun auch erfahren, was das Foto zeigt.

Fotostrecke

AAT-Funktion: Facebook liest blinden Nutzern Bildbeschreibungen vor

Foto: Facebook

"Auf diesem Bild könnte eine Pizza und Essen zu sehen sein", gibt die Funktion zum Beispiel an. Oder "Das Bild könnte einen Baum zeigen", wenn ein Waldfoto gepostet wird. Treffsicher sind die neuronalen Netzwerke, die Facebook auf die Bilder loslässt, aber nicht immer.

"Die Facebook-App ist über die Zeit immer komplexer geworden, aber im Großen und Ganzen ist für Blinde alles gut gestaltet. Facebook ist neben Twitter mein liebstes Netzwerk", sagt de Oliveira. Instagram, Snapchat und andere eher bildbasierten Dienste sind für ihn weniger spannend. "Wenn da jemand einen schnellen Schnappschuss teilt, kann ich kaum erfassen, was da drauf ist."

"Bilder sind für Blinde zunächst unsichtbar"

Noch gibt es aber viele ungelöste Probleme. Bilder beispielsweise, auf denen Text zu sehen ist, sind für de Oliveira kaum zu entschlüsseln. Ein Sehender kann einfach den Werbespruch von der abfotografierten Litfaßsäule ablesen. Ein Blinder nicht. Auch Werkzeuge wie Facebooks AAT scheitern daran, dem Bild solche Information zu entlocken.

"Bilder sind für Blinde zunächst unsichtbar. Das ändert sich, wenn ich eine Bildbeschreibung hinzufüge, die beispielsweise auch einem Blinden vorgelesen werden kann", rät de Oliveira. Hat ein Video Untertitel, ist es plötzlich auch für Gehörlose interessant. Solche Tipps möchte de Oliveira möglichst vielen Websitemachern mit auf den Weg geben und reist dazu zu vielen Konferenzen, zum Beispiel auf die Social Media Week in Hamburg.

Von guten Webangeboten profitieren nicht nur Blinde

Doch nicht alle Trends der Digitalisierung helfen Blinden: Die Idee des e-Governments, Behördengänge digital erledigen zu können, bringt eine Schwemme neuer, komplexer Formulare online. Für Blinde ist das oft ein Problem. Auf jede Ebene folgt eine Unterebene, in der noch ein Häkchen gesetzt, noch eine Zahl eingetragen werden muss.

Solche Formulare oder auch unübersichtliche Stadtportale mit etlichen Unterseiten seien für Blinde sehr komplex, sagt de Oliveira. "Wer in einem mehrseitigen Formular einmal eine Fehleingabe macht, kann diese oft nur schwer korrigieren. Es ist enorm anstrengend, da noch mal durchzugehen durch das ganze Formular und einen Fehler zu finden."

Was also rät de Oliveira etwa Behörden, die zu ihm kommen und eine Webseite barrierefrei umsetzen wollen? "Ein gutes Webangebot setzt auf eine radikale Fokussierung auf den Nutzer", sagt er. "Es sollte nicht darum gehen, dass alle Abteilungen auf der Startseite präsentiert werden - sondern darum, dass die wichtigsten Angebote, die viele Menschen nutzen, zentral platziert werden und Unwichtiges in den Hintergrund rückt." Davon, so de Oliveira, würden letztlich alle Nutzer profitieren. Nicht nur Blinde.

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