Sascha Lobo

Wut-Twitterer Hans-Peter Friedrich, der Rechtsabbieger

Der frühere Bundesinnenminister fällt im Netz immer wieder durch schrille Äußerungen auf. Erst seit Merkels Rücktritt vom CDU-Vorsitz werden Friedrichs rechte Ausfälle, na ja, zumindest seltener.
Hans-Peter Friedrich (CSU)

Hans-Peter Friedrich (CSU)

Foto: Kay Nietfeld/ picture alliance / dpa

Innenminister gelten als die Hüter der Verfassung und als Dienstherren der Exekutive. Bundestagspräsidenten und ihre Stellvertreter wiederum sind die Hüter des Parlaments, sowohl im Alltag als auch in besonderen Situationen, weil sie die Polizeigewalt im Bundestag innehaben. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass beide Ämter die Essenz der Demokratie ausmachen. Hans-Peter Friedrich (CSU) war Innenminister und ist Bundestagsvizepräsident. Er ist aber auch Twitterer und fällt dabei durch seine Ausfälle auf. 2016 flucht er spät nachts vom "linken Pack". 2017 stellt er in einem wütenden Tweet die Gewaltenteilung infrage: "Die Justiz muss an die kurze Leine genommen werden!" 

Wenn dereinst Geschichtsbücher über die Schwierigkeiten der Union der späten Ära Merkel geschrieben werden, wird Hans-Peter Friedrichs Twitteraccount eine glänzende Quelle dafür sein. Denn bis zum überraschenden Rücktritt von Merkel vom CDU-Vorsitz muss man Friedrich als zunehmend unionsfeindlich einstufen. Der CSU hält er natürlich die Treue, aber fast niemand aus dem Regierungslager attackiert Angela Merkel so offen, so harsch, so rechtsgedreht, vor allem mithilfe von Retweets, also der Zitierung der Beiträge Dritter.

Im Februar 2018 macht er so die CDU verächtlich, indem er der Partei eine Mitschuld gibt an der Existenz der rechtsextremen AfD: "Die Merkel-Union hat das konservative Element mehr oder weniger eliminiert - und damit Platz gemacht für die @AfD."  Zur Erinnerung: "Merkel-Union" sagen vor allem Leute, die meinen, die CDU sei unter Merkel zur linken Partei geworden.

Als Polen dabei ist, den Rechtsstaat abzuschaffen und Merkel vor einer Reaktion warnt, erklärt Friedrich an die Kanzlerin gerichtet: "Bevormundung ist nicht der Weg auf dem die EU zusammenwächst!" 

Mehr nur als Ablehnung gegenüber Merkel

Je älter das Jahr 2018 wird, desto offener attackiert der Bundestagsvizepräsident die "Merkel-Union". Im April überschlägt er sich fast mit begeisterten Glückwünschen an Victor Orbán: "Ohhh, da vertritt ein Regierungschef tatsächlich die Interessen der eigenen Bürger und die wählen ihn auch noch."  Ein Seitenhieb auf Regierungschefs, die seiner Ansicht nach nicht die Interessen der eigenen Bürger vertreten. Anfang Mai retweetet er den Link zu einem Artikel mit der Überschrift: "Lage der CDU - Konservative nicht willkommen". Im Juni verspottet er wiederum in Form eines Retweets die Regierungsbefragung als "Werbesendung für Angela Merkel". Zur Krise der Union rund um Seehofer schreibt Friedrich: "Die #Fraktionsgemeinschaft von #CDU und #CSU hat es schon vor der Kanzlerschaft von Frau #Merkel gegeben und es wird sie auch danach geben!" 

In der Folge werden Friedrichs Äußerungen auf Twitter immer schriller. Er retweetet den Satz: "Drehen die Grünen und anderen Linken bei der Verteidigung ihrer Kanzlerin so durch, weil auch sie das Endspiel sehen?"  Ein "Endspiel" einer Kanzlerin, die eigentlich die der Grünen und Linken ist?

Friedrich liefert weiter heftig ab, nur einen Tag später verlinkt er einen Artikel mit der Überschrift: "Asylstreit: Merkel zieht rote Linie für Seehofer." Dazu schreibt er: "Die Beachtung von Recht und Gesetz unterliegt nicht der Disposition einer Richtlinienkompetenz! Dieses Missverständnis hat schon 2015 zum Rechtsbruch geführt."  Es kommt nicht oft vor, dass jemand einer Regierung unter Beteiligung der eigenen Partei "Rechtsbruch" vorwirft. Das exzellente Verfassungsblog hat die fachliche Einschätzung in einem Artikel vom "Mythos Rechtsbruch"  so formuliert: "... dürfte die Behauptung vom fortwährenden Rechtsbruch vorrangig das strategische Ziel verfolgen, die Politik generell zu delegitimieren". Das sind also die Sphären, in denen sich Merkels Ex-Innenminister bewegt.

Hans-Peter Friedrich tappt in die "Linksfaschismus"-Falle

Im heißesten Juli seit 1000 Jahren verliert Friedrich seinen Halt offenbar vollends. Als ein bayerischer CSU-Oberbürgermeister in Augsburg auf einer Demonstration gegen die AfD spricht, wird er mit Tomaten beworfen. Friedrichs Kommentar: "Wie konnte er glauben, dass die #Linksfaschisten Demokraten sind?"  Der Ex-Hüter der Verfassung nennt 2000 ganz überwiegend friedlich demonstrierende Menschen "Linksfaschisten". Selbst die "Augsburger Allgemeine" forderte eine Entschuldigung, und um das richtig einordnen zu können, muss man wissen, dass die frühere Verlegerin und Herausgeberin, die diese Zeitung am intensivsten geprägt hat, Trägerin der Bayerischen Verfassungsmedaille in Gold war. Eine Auszeichnung, die vom CSU-Landtagspräsidenten tendenziell nicht an Linksradikale verliehen wird.

Der Begriff "Linksfaschisten" des amtierenden Bundestagsvizepräsidenten verdient tiefere Beschäftigung. In den sozialen Medien wird er fast ausschließlich von Rechten und Rechtsextremen verwendet, am häufigsten im Umfeld von AfD und extremistischen Splittergruppen, wie eine Twittersuche  nachvollziehbar macht. Er dient bei diesen Leuten meist der Relativierung des eigenen Rechtsextremismus. Mit "Linksfaschismus" wird eine Linie gezogen vom Dritten Reich bis zu den Parteien der liberalen Demokratie im Deutschland des 21. Jahrhunderts. "Merkel-CDU", FDP, SPD, Grüne und Linke ohnehin werden auf Twitter so bezeichnet, von Leuten, die ernsthaft glauben, heute seien sie unterdrückt wie Andersdenkende im Nationalsozialismus.

"Linksfaschisten" für normale Demokraten zu verwenden, ist ein zuverlässiges Kennzeichen einer rechtsradikalen Opferpose. Und Hans-Peter Friedrich tappt voll in diese Falle. Später rudert er ein wenig zurück und erklärt, er habe bloß diejenigen gemeint, die Tomaten warfen. Im August erreicht Friedrich sein Maximum in Form eines Retweets: "Dieses Land schien sich endlich gefunden zu haben. Bis es zerrissen wurde durch einen Großversuch, den eine einzelne Frau, Kanzlerin Angela Merkel, ihrem Volk (und den europäischen Nachbarvölkern) verordnete" . Die alleinschuldige Angela Merkel hat ihr Land, ihr "Volk" zerrissen. Wenn es nicht so radikal wäre, wäre es lustig, denn 2011 dekretierte der damalige Innenminister noch: "Italien muss sein Flüchtlingsproblem selbst lösen!" 

Dann aber tritt Merkel zurück - und Friedrich scheint wie ausgewechselt. Hatte er zuvor noch mit Abstand am häufigsten Artikel des rechtsgerichteten Mediums "Tichys Einblick" geteilt, findet sich nach Merkels Rücktritt keine Spur mehr davon. Stattdessen feiert er die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Vielzahl von Tweets. Als kehre ein verlorener Sohn zurück in die Arme der Union. Begeistert nimmt er am Europawahlkampf der Union teil. Nur noch selten bricht die rechtsdrehende Wut aus ihm heraus, zum Beispiel, als er einen Tweet verbreitet, der die Jusos als "vaterlandlose Gesellen"  bezeichnet, ein nationalistischer Ausdruck aus dem Kaiserreich.

Sollte denn Friedrich durch seinen Merkelhass getrieben worden und inzwischen wieder auf den Pfad der Unionstugend eingeschwenkt sein? Nein, natürlich nicht, er bleibt weiter Hans-Peter Friedrich. Denn er hat sich oft gegen Antisemitismus engagiert. Gut so - aber wenn es drauf ankommt, bricht es aus ihm heraus. In mehreren Tweets, von denen einer inzwischen wieder gelöscht ist, attackiert er den konservativen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und verteidigt Orban mit Zähnen und Klauen. Darunter mit der Abwehrparole: "Immer dasselbe: wer Soros kritisiert, ist Antisemit ..."  Victor Orbán nutzt absichtsvoll zutiefst antisemitische Verschwörungspropaganda, die in Osteuropa im Moment genau einen Namen trägt: Soros  (vgl. diese Kolumne). Soros-Kritik im Kontext von Orbán halte ich eindeutig für Antisemitismus, nichts anderes. Da gibt es nichts zu verteidigen. Und wenn man einen antisemitischen Agitator trotzdem in Schutz nimmt, weil es einem politisch in den Kram passt, kann man sich Engagement gegen Antisemitismus auch in die Haare schmieren.

Die Frage für den Podcast:
Wer ist Hans-Peter Friedrich und warum?

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