YouTube-Debatte Wie das Netz die US-Politik revolutioniert

Der durch Youtube gefütterte Vorwahlkampf der US-Demokraten markiert einen Wendepunkt der politischen Kultur in den USA. Das Netz wird zum zentralen Ort der politischen Debatte. Einziges Manko: Diesmal noch musste das TV als Medium mithelfen.

Ausgerechnet im Fernsehen fand die Revolution statt, ganz im Gegensatz zu dem was der Songwriter Gil Scott-Heron einst prophezeit hatte. Die Debatte der potentiellen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten in den USA, die gestern Abend in Charleston, South Carolina, stattfand, markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der politischen Auseinandersetzung - und macht doch eigentlich nur einen Prozess sichtbar, der in Nordamerika schon seit Monaten, wenn nicht Jahren im Gange ist. Das Forum der alten Römer ist zurück, der fragende Bürger kommt tatsächlich wieder vor in der US-Politik - dank des Internets. Aber, da liegt das Problem, eben doch wieder nur dank des alten Mediums Fernsehen.

Was also war revolutionär? Wähler schickten Fragen ein - das ist nicht neu. Kandidaten wanden sich vor der Kamera und versuchten, ihre von Beraterstäben ausgearbeiteten Wahlkampf-Kernpunkte unterzubringen - auch das war genau wie sonst auch. Anders war, dass man die Frager sehen und hören konnte - der Begriff "Wählerstimme" bekommt dank Videokameras und YouTube seine urdemokratische Bedeutung zurück.

Die Kombination Web und TV machte im Grunde nur eine Entwicklung für alle sichtbar, die für die digitalen Einheimischen der USA längst zur Lebenswirklichkeit gehört: Das Netz ist der Ort, an dem die politische Debatte stattfindet. Hillary Clinton und Barack Obama, John Edwards und all die anderen Demokraten kämpfen ebenso um die Netznutzer wie die Republikaner, etwa Rudy Giuliani und John McCain. Alle haben sie Blogs und RSS-Feeds, beantworten im Netz Fragen, binden YouTube-Videos in ihre Seiten ein und lassen sich sogenannte Widgets programmieren, mit denen sich ihre Anhänger aktuelle Wahlkampf-News auf die eigene Webseite holen sollen. Bei MySpace und YouTube gibt es eigene Kandidaten-Sammelseiten. Nun, da das Fernsehen seinen Blick dorthin gerichtet hat, ist auch für den eher offline lebenden Rest der Nation sichtbar geworden: Nirgendwo wird dieser Wahlkampf so erbittert geführt wie im Netz.

Was den entscheidenden Wendepunkt aber am besten deutlich macht, den die durchs Internet befütterte TV-Debatte markiert, sind Zahlen: 39 Fragen  wurden den Kandidaten auf der Bühne gestellt - eingereicht wurden aber knapp 3000 Videos. Das trug auch zur Qualität der Antworten bei, denn welche Fragen gestellt werden würden, wussten die Kandidaten vor Beginn der Sendung nicht. 830 Weblogs verlinken aktuell direkt auf die eigens eingerichtete YouTube-Seite, auf der die in der CNN-Sendung gestellten Fragevideos versammelt sind. Eine Suchanfrage bei der Blogsuchmaschine Technorati mit den Begriffen "YouTube" und "Debate" wirft über 18.000 Treffer aus. 18.000 Weblog-Einträge, von denen viele längst einen langen Schwanz von Kommentaren angesammelt haben. Und diese Zahlen wachsen weiter.

Eine fast vergessene Form der Debatte kommt zurück

Das US-Internet ist heute ein Hort der politischen Debatte, überall wird gestritten und debattiert, Standpunkte werden mit Filmschnipseln untermauert, Kandidatenvorurteile per Videobeweis be- oder widerlegt. Das Internet bringt eine Form der Debatte zurück, wie es sie zuletzt auf den Plätzen Athens oder Roms gab - angereichert mit multimedialen, Hypertext-befeuerten Argumentationshilfen. Und die Schnipsel werden weiterleben, werden als ständig verfügbare Belege für mögliche falsche Versprechungen, für Wahlkampflügen und politische Halbwahrheiten zur Verfügung stehen, wenn Hillary Clinton oder einer der übrigen Kandidaten schließlich tatsächlich zur Wahl antreten sollte.

Das einzige Problem, schreiben viele der privaten Web-Kommentatoren heute, war, dass das Ganze dann eben doch wieder ein CNN-Ereignis war: Das Fernsehen hat getrickst, das Internet an seine Brust gedrückt, ihm seine Regeln aufgezwungen. Die Fragen wurden von CNN-Redakteuren ausgewählt, den Kandidaten Antwort-Disziplin einzubläuen wurde dem CNN-Moderator Anderson Cooper überlassen.

"Warum stellt man nicht alle Fragen ins Netz und lässt die Öffentlichkeit entscheiden, welche Ihr am besten gefallen?", fragt  der Blogger Michael Rosenblum, und fasst damit eine verbreitete Unzufriedenheit zusammen.

Warum keine Frage zum Thema Einwanderung?

CNN hatte diese Kritik natürlich vorausgesehen und die Debattensendung deshalb mit einem Segment begonnen, in dem einige der aussortieren Fragen präsentiert wurden - etwa die, ob ein Politiker wie Arnold Schwarzenegger, der ja eindeutig ein Cyborg sei, eventuell einen Atomkrieg verhindern könnte. Das trug zur Erheiterung bei und erstickte alle mögliche Kritik an der Auswahl der Redaktion im Keim. Der Netzgemeinde ist das aber nicht genug.

Auf YouTube geht die Debatte über die Debatte weiter - warum, fragt einer in einem Video, wurden die Fragen nicht jedem Kandidaten gestellt, sondern meist nur einigen wenigen? Warum gab es keine Frage zum Thema Einwanderung, fragt ein anderer, obwohl das Thema Umfragen zufolge der YouTube-Nutzerschaft sehr wichtig ist?

Wir Deutschen können das noch lange nicht

Andere Kommentatoren finden die Auswahl gut: "Alle außer ein paar der YouTube-Fragen waren relevant und wichtig für die Debatte, und das längere Format sorgte für eine entspanntere Atmosphäre", schreibt  Bloggerin Catherine Morgan. Der Washington-Korrespondent des Internetmagazins "Salon.com"  sekundiert am Ende seines getippten Liveberichtes mit den Worten: "Journalisten werden niemals ganz Amerika in den Schatten stellen, wenn es darum geht, sich gute Fragen auszudenken." Bei "News.com" schrieb ein Kommentator: "Die Videofragen ... waren persönlicher und direkter als die Umschreibungen, die politische Journalisten bevorzugen, was, wie ich zugeben muss, vielleicht kein Kompliment für unseren Berufsstand darstellt."

Wir Deutschen können das alles übrigens noch nicht: Das politische Netz hierzulande ist in einem erbärmlichen Zustand, die paar politisch orientierten Weblogs, die es gibt, haben kaum Leser, eine Debattenkultur existiert so gut wie nicht. Deutschlands Blogger sind immer noch zu einem großen Teil damit beschäftigt, entweder über den eigenen Alltag oder über das Bloggen selbst zu bloggen. Und die deutsche Politik betrachtet das Netz vor allem als etwas, das es zu kontrollieren, reglementieren und überwachen gilt - und ist ansonsten weitgehend frei von Kenntnissen über das Medium der Zukunft.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der Web-Wahlkampf, der auf MySpace, in Blogs und Foren, auf YouTube und zahllosen anderen Plattformen längst tobt, wann das landesweite Politik-Gespräch, das die vernetzten US-Amerikaner miteinander führen, ohne die vermittelnde Hilfe des großen Gleichmachers Fernsehen auskommen wird. "Wir sind auf halbem Wege", schrieb einer, "neue Technologien tauchen auf, aber wir können nicht anders, als sie in müde alte Architekturen einzustöpseln."

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