Neue Strategie YouTube kontert Verschwörungstheorien - mit Wikipedia-Auszügen

YouTube-Chefin Susan Wojcicki
Foto: imago/ Eastnews"YouTube, der große Radikalisierer": Unter dieser Überschrift schrieb sich Zeynep Tufekci vergangenen Samstag ihre Sorge von der Seele. In einem viel beachteten Beitrag für die "New York Times" berichtete die Techniksoziologin, wie ihr der YouTube-Algorithmus 2016 Videos von Rassisten oder Holocaust-Leugnungen vorschlug - dabei hatte sie eigentlich nur Wahlkampf-Auftritte von Donald Trump sehen wollen.
Als sie danach testweise von einem anderen Account Videos von Hillary Clinton und Bernie Sanders aufrief, wurden ihr auch hier seltsame Videos empfohlen, diesmal linke Verschwörungstheorien. In weiteren Versuchen führten Vegetarier-Videos zu Veganer-Videos und Jogging-Videos zu Ultramarathon-Videos. YouTube hatte Tufekci immer noch etwas Krasseres zu bieten.
"Es scheint, als ob man nie 'hardcore' genug für den Empfehlungsalgorithmus von YouTube ist", bilanzierte die Autorin und nannte YouTube deshalb "eines der mächtigsten Radikalisierungsinstrumente des 21. Jahrhunderts". Besonders gefährlich sei die Situation, wenn man bedenke, "wie viele Menschen - vor allem junge Menschen - sich an YouTube wenden, um Informationen zu erhalten".
YouTube reagiert nun
Der Artikel dürfte die Google-Tochterfirma geärgert haben, zumal YouTube schon länger Ärger mit wichtigen Werbekunden hat. In den vergangenen Jahren hatten sich einige Firmen beschwert oder gar Werbebuchungen zurückgeschraubt, weil ihre Anzeigen immer mal wieder auch vor problematischen Videos aufgetaucht waren, seien es Clips voll Hass und Hetze oder eben Videos mit Verschwörungstheorien. YouTube hatte auf diese Probleme unter anderem mit Anpassungen seiner Monetarisierungsregeln reagiert.
Auf der Konferenz South by Southwest (SXSW) in Austin kündigte YouTube-Chefin Susan Wojcicki nun eine neue Maßnahme an, mit der YouTube sein Problem mit den omnipräsenten Verschwörungstheorien in den Griff zu bekommen hofft: Sogenannte "Information Cues" sollen dem womöglich unbedarften Konsumenten umstrittener Videos zusätzliche Informationen zum Thema an die Hand geben. Ob er sich mit diesen Informationen jedoch beschäftigt, steht dem Nutzer frei. Man sei keine "Nachrichtenagentur" (im Original: "news organization") betonte Wojcicki auf der Bühne.
Konkret will YouTube Textauszüge aus der Wikipedia und von anderen Websites neben Videos stellen, die sich mit Themen beschäftigen, zu denen Verschwörungstheorien kursieren. Als ein Beispiel für solch ein Thema wurden Chemtrails und die Mondlandung erwähnt. "Die Leute können die Videos immer noch schauen", sagte Wojcicki, "haben dann aber Zugang zu zusätzlichen Informationen."
New from @YouTube - CEO Susan Wojciki announces a feature to fight conspiracy theories w/ related links to news, Wikipedia #sxsw pic.twitter.com/sLtjdQNqbu
— Maureen Fitzgerald (@movandy) March 13, 2018
Dass die Mondlandung auf YouTube ein umstrittenes Thema zu sein scheint, belegt übrigens schon eine Eingabe des Begriffs "Mondlandung" ins Suchfeld der Plattform: Auch wer zum Beispiel nur die alten Aufnahmen der US-Mission sucht, dem wird hier als Erstes die Erweiterung seiner Suche um das Wort "Fake" vorgeschlagen. Und unter den restlichen neun weiteren automatischen Vorschlägen finden sich dann auch noch die Begriffe "Verschwörung", "Fake Beweise Video" und "Mondlandungslüge".
Wo tauchen die Hinweise auf?
Welche und wie viele Videos genau mit den neuen Hinweisen ausgestattet werden, ist bislang unklar, genau wie die Frage, welche Quellen außer Wikipedia YouTube an prominenter Stelle präsentieren wird. Grundsätzlich sollen zunächst einmal Themen mit Zusatzmaterial bedacht werden, zu denen bereits viele Videos existieren.

Online-Lexikon: Sieben Wikipedia-Anekdoten
Wer also eine eher unpopuläre oder schwer zu widerlegende Theorie bedient oder aufstellt - zum Beispiel die, dass dieser Artikel hier nur geschrieben wurde, weil der Fußballverein Manchester United gestern gegen Sevilla verloren hat -, muss wohl alsbald nicht mit einem Wikipedia-Auszug unter seinem Video rechnen.
Offen ist auch noch, ob die neuen Hinweise zum Beispiel auch unter Videos auftauchen werden, die Verschwörungstheorien als solche entlarven wollen, also Videos, die sich kritisch mit einer Theorie auseinandersetzen. Erstmals zu sehen sein sollen die "Information Cues" indes "in den kommenden Monaten". Die Wikimedia Foundation, die Stiftung hinter dem Projekt Wikipedia, hat sich noch nicht zu dem Vorhaben geäußert.