Zoomer.de Nachrichten 0.2
Wer in diesem Lande wissen will, was für eine Zukunft den Produzenten aktueller Nachrichtenmedien blüht, schaut gern über den großen Teich. Früher als hier setzte dort die Krise der traditionellen Medien ein, früher begann der Boom der Onlinemedien. An der Entwicklung von "New York Times", "Wall Street Journal", von CBS und ABC ließ sich ablesen, dass eine große Wanderung begonnen hatte: weg von Zeitung und Fernsehen hin zu Online-Nachrichtenportalen.
Doch selbst die Web-Erfolgsgeschichten haben eine unschöne Delle: Die News Sites der alten und neuen Leitmedien scheinen an den jüngsten Generationen vorbei zu gehen. Wer sich heute aus Altersgründen lieber in Social Networks herumtreibt, statt als News-Junkie dem Puls von CNN hinterher zu hecheln, hält YouTube oder MySpace für eine bessere Nachrichtenquelle als die "Washington Post" (siehe Tabelle). Die Betreiber der jugendlich geprägten Sozialnetzwerke haben darauf reagiert, indem sie News-Ticker in ihre Angebote integrierten. Noch aber ist es niemandem gelungen, die Welten von Network und News wirklich stimmig zu verbinden.
Am Montag, 18. Februar 2008, hat die neue Nachrichtenzeit in Deutschland angeblich begonnen. Die Verlagsgruppe Holtzbrinck, im Internet so rege wie nur wenige deutsche Medienfirmen, hob Zoomer.de aus der Taufe - das Nachrichtenportal für die Generation SchülerVZ und StudiVZ. Oder wie Zoomer-Chefredakteur Frank Syré das knackig-konzise formuliert: "Nachrichten ZweiNull. Ich wollte dabeisein."
Die beliebtesten Online-Nachrichtenquellen junger Amerikaner (18-29 Jahre) im US-Wahlkampf 2008
Platz | Quelle | Prozentzahl |
---|---|---|
1 | MSNBC | 30 % |
CNN.com | 30 % | |
2 | Yahoo News | 27 % |
3 | Google News | 10 % |
4 | MySpace | 8 % |
5 | YouTube | 6 % |
6 | Fox News | 5 % |
AOL News | 5 % | |
New York Times | 5 % | |
7 | BBC | 2 % |
Kandidaten-Webseiten | 2 % | |
8 | Washington Post | 1 % |
Drudge Report | 1 % |
Über Zoomer hat es in Medienkreisen schon viel Gemunkel gegeben. Ursprünglich als Entwicklungsprojekt "Humboldt" gestartet, warteten viele gespannt darauf, ob es Holtzbrinck gelingen würde, die jüngsten Zielgruppen an die Ware Nachricht heranzuführen. Dabei geht es ja um eine Menge: Die lieben Kids klicken in ihren Netzen, bis die Finger wund werden, und machten die Holtzbrinck-Netze Studi- und SchülerVZ so zu den Königen im Online-Land - mit 6,3 und 5,9 Milliarden Seitenaufrufen im Januar. Das kostet zurzeit vor allem Geld - zugleich lässt sich die jugendliche Klickflut kaum vermarkten. Bei einem Nachrichtenportal sähe das ganz anders aus.
Würde es Holtzbrinck gelingen, einen völlig neuen Markt aufzurollen? Gute Frage.
Zoom in: Erste Begegnung mit Zoomer
"Wir machen Nachrichten" steht unter dem Logo der Seite, die ihre laut Impressum derzeit 39-köpfige Redaktion an anderer Stelle als "über Vierzigköpfig" anpreist. Auch die Herausgeber von Zoomer wollen zum Teil publizistisch wirken. Zuvorderst ist da kein geringerer als das Nachrichten-Urgestein Ulrich Wickert zu nennen, der zum Start von Zoomer gewohnt kamerasouverän ins Angebot einführt.
Und das geht bei Zoomer so: Hinter der Schlagzeile "Nachrichten ZweiNull: News mit Community-Faktor - so funktioniert zoomer.de" verbirgt sich ein Artikel, der aus einer Schlagzeile, einem Anlauf und einem Video besteht. Darin sieht man Wickert und viele junge Leute, ein paar Rechner und Räume, und obendrauf verspricht Wickert nicht weniger als "das erste echte Internet-Nachrichtenportal". Ohne steile Claims kommt ja kein Werbefilm aus. Das Besondere an Zoomer macht Wickert auch gleich klar: "Ihr entscheidet, was wichtig ist."
Journalismus in der Duz-Zone
Das scheint den Zoomer-inhärenten Qualitätsmaßstab zu definieren. Als "gleichberechtigte Chefredakteure" entscheiden die jungen Nutzer mit ihrem Klickverhalten über die Wichtigkeit der Nachrichten mit. Was viel klickt, ist wichtig. Bestimmen also bald Paris Hilton statt Klimawandel, Bikini-Bilderstrecken statt Irak-Krieg, Tokio Hotel statt US-Wahl die Schlagzeilen?
Wahrscheinlich nicht - der Blick auf die Schlagzeilen der ersten Stunden lässt vermuten, dass die Redaktion ein bisschen mogelt: "Oben" findet sich eine Nachrichtenauswahl, die durchaus an journalistischen Auswahlkriterien orientiert scheint.
Trotzdem ist Zoomer deutlich anders als bisherige Nachrichtenangebote: Es ist bildreich (hier wird offenbar hineingezoomt) und textarm (man kann ja auch auszoomen). Wo immer man Information durch Film ersetzen kann, wird dies konsequent getan. Vor allem scheint die Seite um majestätische Langsamkeit bemüht.
Zoomer ist eine wahre Wundertüte - weil man nie weiß, was drin ist
Stündliche Updates (siehe Bildergalerie) schaffen keine nachrichtliche Vollversorgung, aber die ist ja offenbar auch gar nicht gewünscht: Viele Nachrichten beschränken sich auf eine Schlagzeile und einen Anlauf - und dann geht es direkt ab in die Diskussion mit den Lesern. Ein wahrlich alternativer Ansatz, der im günstigsten Fall so funktionieren könnte: Erst wird gequasselt, dann recherchiert, wenn den Diskutanten die Argumente ausgehen. So könnte man junge Leute durchaus an Nachrichten heranführen - ob sie die dann aber überhaupt bei Zoomer finden können?
Gump lässt grüßen
Schwer zu sagen, denn das erfordert nicht zuletzt eine hohe mediale Kompetenz: Die Inhalte muss man erst einmal suchen. Abgesehen von den fünf Themen am Seitenkopf, dem Aufmacherbereich, präsentiert Zoomer seine Inhalte gern als Bilder. Die meisten Artikel kann man über eine Bildzeile erschließen, bei der man erst erfährt, worum es eigentlich geht, wenn man auf eins der Fotos klickt. Erwin Huber hat da wohl schlechtere Chancen als Hilton.
Der Klick auf diese Bilder inspiriert immerhin zu einer Adaption einer beliebten Forrest-Gump-Weisheit: "Zoomer ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was drin ist."
Die Präsentation von klassischen Nachrichten, Info-Grafiken, Videos oder Bilderstrecken ist höchst gleichberechtigt, wenn man es positiv formulieren will - alles findet sich im Eintopf. Zoom-in trifft auf Zoom-out, Grundinformation, mitunter auch durchaus analysierender Autorentext steht neben oberflächlicher Bilderstrecke oder Kurzvideo mit Minimal-Betextung. So mancher Zoomer-Leser, das kann man den dank löblicher Transparenz stets sichtbaren Nutzer-Kommentaren entnehmen, fühlt sich aus verständlichen Gründen weniger informiert als veräppelt.
Das gilt im besonderen Maße für den Jungfern-Beitrag der Zoomer-Sportkolumnistin Fiona Erdmann, einigen Fernsehzuschauern angeblich bekannt als Teilnehmerin an "Germany's Next Topmodel" (174 cm groß, 84-63-91).
Bestens frisiert will uns die ohne jeden Zweifel außerordentlich hübsche junge Frau künftig erklären, was im Sport wichtig ist . Beim ersten Mal investiert die Viertplatzierte der zweiten Model-Staffel allerdings rund ein Drittel ihres Beitrages in die Klärung der Frage, warum ausgerechnet sie dafür qualifiziert sein sollte. Eine völlig unnötige Erklärung, wie man am Ende des Beitrages begreift: Die Frisur allein hätte als Qualifikation für das Verlesen solcher Flachheiten ("Van der Vaart soll ganz schnell gesund werden") völlig ausgereicht.
Vielleicht wird diese - dreisterweise unter dem Label "Meinungsmacher" firmierende - Zumutung sogar regelrecht Kult bei Zoom. So wie sich ja auch Hunderttausende von Teenies bei YouTube, Clickfish oder MyVideo nur zu gern ansehen, wie Verrückte mit Dreirädern Kellertreppen hinunter fahren oder ihre selbst produzierten Analgase mit Feuerzeugen anzünden. Es gibt eine Minderqualität, die von bestimmten Zielgruppen schon hormonell bedingt als Qualität empfunden wird. Vielleicht geht es ja gar nicht um Nachrichten, sondern nur um gefühlte Information. Nicht um "Aha, so ist das!", sondern um "Echt? Is ja krass!".
Seitenhiebe ins Irgendwo
Doch da sei der Wickert vor: Der Renommier-Journalist setzt am ersten Tag direkt eine Duftmarke , die dokumentiert, dass Zoomer mehr will, als die hübsche Fiona vermuten lässt.
In seinem Video-Kommentar "Steueraffäre? Bitte keine Heuchelei!" macht er den Kiddies klar, wo die wahren Sünder sitzen - und schwankt zwischen "Sendung mit der Maus" und "tagesthemen". Nicht die Steuerhinterzieher seien die eigentlich Schuldigen, sondern letztlich die Regierungen, die tolerieren, dass Leute, die "genug Kohle" haben, diese bei irgendwelchen Liechtensteiner Fürsten parken können. Was irgendwie damit zu tun hat, dass ja auch die deutschen Parteien gern dort ihre Gelder waschen. Soll jedenfalls schon vorgekommen sein, sagt Herr Wickert.
Alle ausländischen Banken verbieten! Den Bundestag gleich mit verknacken! Amnestie für Zumwinkel und Co! Amnesie für alle! Und überhaupt!
Doch bleiben wir fair. Ja, Zoomer scheint unübersichtlich, die Inhalte sind von seltsam unterschiedlicher Qualität, der Veröffentlichungstakt sehr langsam. Aber die Seite wagt auch viele Interaktivitäten mit den Nutzern, bietet ihnen gar an, selbst Dinge zu veröffentlichen. Die Zahl der Meldungen nimmt gegen Mittag deutlich zu - pünktlich zum Schulschluss der Zielgruppe, wenn man so will.
Auch, wenn das Ganze bisher eher wie eine schick frisierte Luftnummer wirkt: Vielleicht muss die Redaktion erst Tritt fassen. Vielleicht muss sie selbst erst einmal herausfinden, was ihre Zielgruppe wirklich will und mitzumachen bereit ist. Vielleicht aber muss Holtzbrinck sich auch fragen, was man eigentlich will mit dem Zoomer. Im Augenblick könnte Zoomer ein interessantes Experiment sein - wenn es sich per Werbeclaim nicht selbst zur Peinlichkeit gemacht hätte: Das "erste echte Internet-Nachrichtenportal" jedenfalls wird so hoffentlich nicht aussehen.