Zukunft der Filmindustrie Das kollaborative Kino
Um die Filmindustrie ist es nicht gerade gut bestellt, seit Jahren sinken die Besucherzahlen. Ganze Zuschauersegmente, besonders unter jungen Kinogängern, brechen weg. Aber auch Ältere machen es sich zunehmend gern zu Hause bequem. Im ersten Halbjahr 2007 verzeichnete die Branche einen Besucherrückgang von 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Aufs Jahr hochgerechnet sind 2007 nur etwas mehr als 120 Millionen Leute ins Kino gegangen, 2006 waren es noch 136 Millionen und 2001 beeindruckende 178 Millionen.
Auch der DVD-Markt erodiert, wenngleich nicht so drastisch. Die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) beziffert den Gesamtumsatz bei Verleih und Verkauf von DVDs mit 1,591 Milliarden Euro für das Jahr 2006. Im Jahr davor waren es noch 1,686 Milliarden. Immerhin ein Unterschied von 90 Millionen Euro. Dass Apples neues MacBook Air kein DVD-Laufwerk mehr hat und das Unternehmen auf die Online-Filmdistribution via iTunes setzt, wird in der Branche wohl zu recht als Warnsignal verstanden. Manche glauben, dass die gute, aber noch gar nicht alte DVD nur noch einige Jahre vor sich hat.
Denn immer mehr bestimmen Computer und Internet das Freizeitverhalten. "Die Zeit, die man online verbringt, wird von der Fernsehzeit abgezogen", erklärte Don Tapscott auf den Berlinale Keynotes, eine Veranstaltung am Rande der Berlinale, die sich den Zukunftstrends des Kinos widmet. Der Chef eines kanadischen Beratungsunternehmens erblickt deshalb im "Cinema 2.0" einen starken Zukunftstrend: "Film wird zu einer Erfahrung, an der das Publikum kollaborativ teilnehmen kann."
Peer Production und Kollaboration
Tapscott ist Co-Autor von "Wikinomics - Die Revolution im Netz". Das Buch beschäftigt sich mit allen nur erdenklichen Formen von Kollaboration und Peer-Production und feiert die Erfolgsmodelle des Internet, Linux, Wikipedia und Co.
Längst haben die Dreiminüter bei YouTube den Musikkanal MTV statistisch verdrängt. Bei Current TV stimmen Nutzer über die Relevanz von Nachrichten ab. eSession erlaubt die kollaborative Musikproduktion mit professionellen Tools. Und bei Mogulus TV kann man 26 Fernsehsender gleichzeitig sehen und Tausende weitere mit anderen Nutzern diskutieren.
Alles schön und gut. Aber lassen sich kraft der "Weisheit der Massen" auch Filme drehen? Die Antwort lautet: Ja. Mit "The Tracey Fragments" von Bruce McDonald liegt beispielsweise ein Film vor, der unter einer Creative Commons Lizenz entstanden ist. Das gesamte Filmmaterial liegt auf der Website bereit und kann von Nutzern "re-fragmentiert" werden. Bei einer Geschichte, die mit Hilfe des Split-Screen-Verfahrens vom Nervenzusammenbruch einer Fünfzehnjährigen erzählt, dürfte das nicht so schwer fallen. Einige Beispiele lassen sich bereits anschauen.
Auch Matt Hanson schwört auf das "Zeitalter der Kollaboration" und will einen ganzen Spielfilm im Schwarm entstehen lassen. Sein Open-Source-Projekt "A Swarm of Angels" erlaubt die Beteiligung von Tausenden Mitproduzenten, die an allen Fragen der Filmentstehung - vom Drehbuch über die Produktion bis zu Schnitt und Distribution - eingebunden werden. Für 25 britische Pfund kann man an dem Projekt teilnehmen, dessen Finanzbedarf Hanson mit einer Million Pfund angibt. Sprich: Es werden 50.000 "Mitarbeiter" gesucht.
Hanson ließ auf den Berlinale Keynotes bereits durchblicken, dass das Projekt "partizipativ, aber nicht demokratisch" funktioniere. Im Zweifel will er selbst entscheiden, welche Vorschläge umgesetzt werden. Bislang existieren lediglich einige Scriptproben, Grafiken und ein sehr kurzer Trailer. Ob das Ganze eine Arbeits- und Geldbeschaffungsmaßnahme in eigener Sache ist oder mehr, bleibt dahingestellt. Zumindest lässt sich sagen, dass hier neue Wege bei der Filmfinanzierung beschritten werden.
Open-Source Movie-Software
Dagegen hat Ton Roosendaal schon einen kompletten Film vorzuweisen, " Elephants Dream " ist ein zehnminütiger Animationsfilm, der in der surrealen Traumwelt einer Maschinenstadt spielt. Der Film ist zwar nicht kollaborativ entstanden, dafür fast ausschließlich mit Hilfe von Open-Source-Software und unter Creative Commons Lizenz. Hauptsächlich wurde dabei die selbstentwickelte Grafiksoftware Blender eingesetzt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der Kurzfilm, für den es Untertitel in mehr als 30 Sprachen gibt und der auch als HD-Version vorliegt, unterscheidet sich von professionellen Arbeiten aus Hollywood nicht.
Bei der Finanzierung ließ sich Roosendaal ebenfalls etwas einfallen: Bis September 2005 konnten DVDs zum Subskriptionspreis vorbestellt werden, aus den Erlösen wurden die Produktionskosten bestritten. Der gesamte Film und alle Produktionsdateien, die den Herstellungsprozess dokumentieren, sind frei verfügbar. Mittlerweile sitzt die Blender-Mannschaft an neuen Film- und Gameprojekten, wie etwa am Anfang Februar gestarteten "Apricot Open Game", für das noch Sound-Designer und Komponisten gesucht werden.