Zukunft des P2P Kultur-Flatrate statt Knast

Es gibt eine Alternative zur Kriminalisierung von Dateitauschern, meint Oliver Moldenhauer. Der Mitbegründer von Attac Deutschland schlägt eine Kultur-Flatrate fürs Internet vor: Monatlich fünf Euro zahlen und dafür legal tauschen, soviel man will.
Von Oliver Moldenhauer

Mit dem Übergang zur Wissensgesellschaft gelten Informationen und Wissen inzwischen weltweit als wichtigstes Kapital. Leider geht damit der Trend einher, Wissen immer weiter zu privatisieren und seine freie Nutzung einzuschränken.

Die Industrieländer versuchen ihren Vorsprung zu halten, indem sie auf die Durchsetzung ihres "geistigen Eigentums" in den Ländern des Südens pochen. Das entsprechende WTO-Abkommen mit dem Namen TRIPS umfasst alle geistigen Kontrollrechte, unter anderem auf Saatgut, Software und Medikamente. Attac kämpft dafür, dass bei der Verteilung des Wissens nicht noch mehr Ungleichheit und Ungerechtigkeit erzeugt wird als ohnehin schon vorhanden.

Hier zu Lande wird die politische Auseinandersetzung um die Monopolisierung von Wissen derzeit insbesondere anhand von Softwarepatenten, Nachbaugebühren für Pflanzensorten und bei der Kriminalisierung von Tauschbörsennutzern geführt.

Kriminalisierung der Tauschbörsianer?

Seit Anfang des Jahres verklagt die Musikindustrie nun auch in Deutschland Menschen, die privat und nichtkommerziell die Internet-Tauschbörsen nutzen. Damit beginnen die Konsequenzen des neuen Urheberrechts klar zu werden: Hunderttausende, oft jugendliche Filesharer werden kriminalisiert.

Das jetzige Vorgehen ist allerdings erst der Anfang: Mit der vor drei Monaten beschlossenen neuen EU-Richtlinie zum "Copyright-Enforcement" sind die Internet-Provider verpflichtet, nicht nur der Polizei, sondern auch der Musikindustrie mitzuteilen, wer was aus dem Internet herunterlädt.

Die Tauscher von Musik und Filmen werden sich davon aber zu einem großen Teil nicht abschrecken lassen, sondern ausweichen. Eine Möglichkeit sind die im Entstehen begriffenen verschlüsselten Tauschbörsen. Selbst wenn sich diese als nicht praktisch und sicher genug erweisen würden, bleiben immer noch die Orte, wo jetzt schon der größte Teil des Filesharings passiert: Schulhöfe und Lan-Partys ebenso wie Arbeitsplatz oder einfach der Besuch bei Freunden, wo man seinen Laptop mitbringt, wobei Letzteres im Übrigen oft völlig legal ist.

Letztendlich gleicht heute der Versuch, das Kopieren von digitaler Musik und digitalen Filmen zu verhindern, dem Versuch der DDR, das Westfernsehen zu unterbinden: Persönliche Freiheitsrechte werden auf unvertretbare Weise eingeschränkt - das eigentliche Ziel wird jedoch verfehlt.

Schöne neue DRM-Welt

Die Antwort der Industrie auf das Problem sinkender CD-Verkaufszahlen lautet: mehr Überwachung. Durch Verschärfung von Gesetzen, durch mehr Staatsanwälte, Polizei und Hausdurchsuchungen und vor allem dadurch, mehr Kontrolle über unsere Rechner zu erlangen. Mit Hilfe von "Digital Rights Management" (eigentlich besser: Digital Restrictions Management) sollen freie Musikformate wie MP3 der Vergangenheit angehören.

Für jede Datei wird festgelegt, von wem sie wie oft wofür genutzt werden kann. Das ist auf heutigen Rechnern natürlich immer umgehbar, spätestens mit selbst geschriebenen Programmen unter Linux. Um das zu unterbinden, muss den Usern die Kontrolle über ihre Rechner entzogen werden. Genau das wird derzeit unter dem Schlagwort "Trusted Computing" in Industriestandards gegossen.

Diese schöne neue Traumwelt der Industrie treibt nicht nur Datenschützern und Verbraucheraktivisten den Angstschweiß auf die Stirn, sie stellt auch eine zentrale Bedrohung für Linux und freie Software dar, die prinzipiell inkompatibel zu Computersystemen ist, über die User keine Kontrolle erlangen sollen, so dass neue Filme und Musik unter Linux nicht mehr abspielbar wären.

Fotostrecke

P2P: "Raubkopierer sind Verbrecher"

Foto: ZKM

Konsequent zu Ende gedacht, kann es sogar Probleme für die freie Meinungsäußerung geben: Macht sich schon verdächtig, wer ein ;Indymedia-Video  oder freie Musik herunterlädt, die natürlich nicht mit den Zertifikaten der Industrie versehen sind? Soll so ausgerechnet die Musik, die Kunstform von Millionen von Amateuren, die Rockmusik der Rebellen, der Vorreiter bei der Beschneidung der Informationsfreiheit werden?

Ein neues Phänomen?

Schwierigkeiten der Musik- und Filmindustrie mit neuen Technologien sind überhaupt nichts Neues. Bereits die Einführung der Schallplatte, des Radios, des Kassettenrekorders und des Videorekorders brachten Probleme, denen die Musikindustrie durch Überwachung und Einschränkung begegnen wollte. So musste in den sechziger Jahren das Bundesverfassungsgericht das Vorhaben stoppen, jeden Kassettenrekorder und jedes Spulengerät bei der Gema registrieren zu lassen. Und in den achtziger Jahren wurde in den USA Sony (letztlich erfolglos) verklagt, weil sie mit ihren Videorekordern "Raubkopiermaschinen" hergestellt haben.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum Moldenhauer für eine Kultur-Flatrate plädiert und welche Nachteile diese hätte

Als gutes Modell für die Lösung der Probleme mit den Tauschbörsen bietet sich das Modell "Radio" an. Das "Raubkopieren" sprich Aufnehmen von Musik, die im Radio gesendet wird zu privaten Zwecken, ist nämlich völlig legal. Ebenso dürfen die Radiostationen Musik über den Äther schicken, ohne dafür mit jedem einzelnen Rechteinhaber eine Abmachung treffen zu müssen. Dennoch geht die Musikindustrie daran nicht kaputt, was zum großen Teil daran liegt, dass die Urheberrechte ja nicht aufgehoben werden. Stattdessen erhalten die Rechteinhaber Geld aus dem Topf der Gema.

Die Alternative: Legales Musiktauschen

Übertragen auf den Online-Bereich hieße das, dass das nichtkommerzielle Tauschen von Musik und Filmen legalisiert wird und dafür eine Gebühr zur Entschädigung der Rechteinhaber erhoben wird - die Kultur-Flatrate beziehungsweise Musik-Flatrate. Erhoben werden könnte diese Gebühr auf Computer und vor allem auf Internet-Zugänge, differenziert nach deren Schnelligkeit. Schätzungen aus der Wissenschaft ergeben, dass rund fünf Euro im Monat Gebühr für eine DSL-Flatrate ausreichen würden, um die Musiker, Plattenlabels und Studios für ihre Verluste durch das Herunterladen zu entschädigen - wirklich nicht besonders viel für den freien Zugang zum größten Musikarchiv der Welt.

Die spannende Frage ist natürlich, wie dieses Geld verteilt werden sollte. Hier sind viele Modelle denkbar. Am sympathischsten erscheint mir die Variante, das Geld einfach danach zu verteilen, welche Lieder wie oft heruntergeladen und gehört werden. Denkbar ist aber auch eine Förderung bestimmter Musik- oder Filmformen, wie das zum Beispiel die Gema mit der E-Musik macht.

Auf alle Fälle aber gibt es einen wesentlichen Vorteil gegenüber der zu Recht unbeliebten und intransparent erscheinenden Gema: Mit digitaler Technik lässt sich relativ leicht anonym feststellen, welche Musik wie oft heruntergeladen und gehört wird, so dass eine neue "Verwertungsgesellschaft Online" nicht wie die Gema auf ungenaue und oft ungerechte Schätzungen angewiesen wäre.

Das Modell der Flatrate wird seit einigen Jahren in der Wissenschaft lebhaft diskutiert, etwa von Volker Grassmuck von der Humboldt-Universität Berlin oder William Fisher aus Harvard, die zusammen mit zahlreichen anderen Vertretern von Wissenschaft und Zivilgesellschaft Anfang Juni die Berlin Declaration  verfasst und unterstützt haben, mit der die EU-Kommission aufgefordert wird, beim aktuellen Richtlinienprozess die Idee der Flatrate zu berücksichtigen.

Vorteile der Kultur-Flatrate

Auf der Hand liegt der Vorteil, dass mit der Flatrate jeder legal auf ein riesiges Musik- und Filmangebot zugreifen kann. Ein zentraler Vorteil ist auch, dass nicht weiter Hunderttausende User kriminalisiert werden, mit all den Kosten, die das für die Opfer der Klagewelle hat und für Polizei und Gerichte, die durch eine Flut von Verfahren blockiert würden.

Ebenfalls profitieren werden die Freiheit im Internet und die freie Software, die sonst durch Digital Restrictions Management und "Trusted Computing" massiv eingeschränkt würde. Zu den Gewinnern zählten aber auch die kleinen Bands, die nun auch ohne Plattenlabel ihre Musik verbreiten könnten und dafür vergütet werden würden. Diese Dezentralisierung kann für die Künstler nur gut sein, die aus dem Würgegriff der großen Plattenkonzerne befreit würden.

Droht mehr Bürokratie?

Natürlich gibt es auch Nachteile. Einer ist, dass jeder Internet-Nutzer die Flatrate zahlen müsste, unabhängig davon, ob er Musik herunterlädt oder nicht. Das stimmt. Doch ist dieses Modell der pauschalen Abrechnung nichts Neues. Auch Gemeinden kassieren Straßenreinigungsgebühren, Krankenkassen Versicherungsbeiträge und die Gema Leerkassettenabgaben unabhängig davon, ob wirklich eine Leistung in Anspruch genommen wird. Eine Einzelabrechnung ist in all diesen Fällen wie bei der Kultur-Flatrate eben nicht praktikabel.

Ein zweiter Nachteil ist, dass eine neue Verwertungsgesellschaft aufgebaut werden müsste, die natürlich auch Kosten und Bürokratie verursachen würde. Allerdings dürften diese deutlich unter denen liegen, die ansonsten für Strafverfolgung, Kopierschutz und Gerichtskosten ausgegeben werden würden. Die eigentlichen "Nachteile", die eine Einführung der Flatrate behindern, liegen woanders: Verlieren würden nämlich die Plattenfirmen, die bisher wesentlich mehr Kontrolle über den Markt haben. Ebenfalls verlieren würden die Hersteller von DRM-Technologie und Online-Shops. Diese mächtige Lobby blockiert mit ihrer beispiellosen Verleumdungs- und Angstkampagne bisher den innovativen Vorschlag der Flatrate. Aber selbst in der Musikindustrie gibt es die ersten, die einsehen, dass auf die Dauer Geschäfte nicht gegen die Kunden und gegen die Musik gemacht werden können.

Die Kampagne

Hinter der Idee einer Kultur-Flatrate stecken neben Attac auch die Initiative Privatkopie, das Netzwerk Neue Medien, der Chaos Computer Club und die Stiftung Bridge, die in den nächsten Wochen eine Kampagne zu diesem Thema starten werden. Letztlich geht es hierbei nicht "nur" um Musik, sondern darum, wie wir mit Wissen umgehen: Wissen, Kultur und Kunst sollen geteilt und verbreitet werden, und nicht hinter hohen digitalen Mauern verschlossen bleiben, die sich nur gegen Geld öffnen. Dieses offene Verständnis der Wissensgesellschaft ist das, was wir propagieren. Und wozu passt das besser als zur Musik?

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten