Chinesisches Investment in Kambodscha Der Ausverkauf

Kambodscha öffnet sich massiv chinesischen Investoren - auf Kosten von Menschenrechten. Welche politischen Ziele verfolgt die chinesischen Regierung?

Wenn Yeang Sothearin seine Wohnung im Viertel Pou Senchey in Phnom Penh verlässt, steht da oft schon dieser Mann. Im bunten Hemd tritt der Nachbar auch heute an seinen Hauseingang an der engen, staubigen Gasse und blickt durch die Gitterstäbe vor seiner Tür, vor der eine alte Frau auf einer Bank döst. Mit beiden Händen hält sich der Mann an den Stäben fest, sagt kein Wort, erwidert die Grußgeste nicht. An der nächsten Straßenecke flüstert Yeang Sothearin: "Das war einer von ihnen."

So geht das fast jeden Tag, seitdem Yeang Sothearin aus dem Gefängnis entlassen wurde. Überall in seiner Nachbarschaft wittert er Spione, die jeden seiner Schritte verfolgen. Er ist Journalist, vier Jahre lang hat er für Radio Free Asia gearbeitet, berichtete über Politik, Korruption und Menschenrechte. Viele seiner Geschichten handelten vom Einfluss der Familie von Premierminister Hun Sen. Am 14. November 2017 wurde er von der Polizei festgenommen, genauso wie ein ehemaliger Kollege. Im August 2018 wurden sie gegen Kaution wieder entlassen. Wirklich frei ist Yeang Sothearin in Kambodscha seitdem nicht mehr:

Chinesisches Bauprojekt in Phnom Penh

Chinesisches Bauprojekt in Phnom Penh


Foto: Maria Feck

Zwei Tage nach Yeang Sothearins Festnahme ließ das Oberste Gericht die größte Oppositionspartei des Landes, die Nationale Rettungspartei Kambodschas (CNRP), auflösen. Hun Sen stand damit bei der Wahl am 29. Juli 2018 ohne ernstzunehmenden Konkurrenten da - und ohne Kritiker. Auch die wichtige unabhängige Zeitung, "Cambodia Daily", musste schließen. Die "Phnom Penh Post" bekam eine neue, der Regierung zugeneigte Führung.

Dabei hatte es anfangs noch so ausgesehen, als würde sich Kambodscha, das bis vor 40 Jahren von den Roten Khmer regiert und terrorisiert wurde, langsam in Richtung einer demokratischen Gesellschaft bewegen. Eingefordert hatten die Entwicklung die Westmächte, die dem Land, das zu einem der ärmsten in Südostasien zählt, Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe gaben. Doch die erstarkende Opposition bedrohte offenbar die Macht des Premiers Hun Sen, der seit mehr als 30 Jahren Regierungschef des Landes ist und dies mit aller Macht bleiben wollte. Das sagen zumindest dessen Kritiker.

"China unterstützt, dass der demokratische Prozess hier untergraben wird", sagt Yeang Sothearin. Je mehr Geld Hun Sen aus Peking bekomme, desto stärker verfolge er seinen autoritären Kurs. Denn China bietet ihm etwas, das ihm der Westen nicht geben will: finanzielle Hilfe ohne Bedingungen.

Chinesisches Bauprojekt in Phnom Penh

Heute ist das vom US-Kongress gegründete und mit US-Mitteln finanzierte Radio Free Asia in Kambodscha nicht mehr zu hören; stattdessen gibt es etwa das China-Cambodia Friendship Radio. Zudem erwägt die EU als Reaktion auf die Menschenrechtsverletzungen in Kambodscha die Zollbefreiung für das Land zu streichen. Das würde vor allem die Textilindustrie Kambodschas treffen - und bedroht damit Hunderttausende Jobs. "Lassen Sie mich denen, die mir vorwerfen, zu eng mit China zu sein, eine Frage stellen", sagte Hun Sen im vergangenen Jahr laut "New York Times" in Richtung der Westmächte. "Was habt ihr mir zu bieten, außer Beleidigungen, dem Versuch, mich zu disziplinieren, und Sanktionsdrohungen?"

In Kambodscha zeichnet sich ab, was weltweit gerade passiert: Die USA ziehen sich aus internationalen Verpflichtungen zurück und konzentrieren sich auf nationale Interessen - und China stößt in das hinterlassene Vakuum.

China investierte in den Jahren zwischen 2013 und 2017 5,3 Milliarden Dollar in Kambodscha - mehr noch als die eigene Regierung. Das Handelsvolumen soll bis 2020 auf neun Milliarden Dollar wachsen.

Das Land ist für die Supermacht einer der wichtigsten Partner in Südostasien beim riesigen Infrastruktur-Projekt "Neue Seidenstraße":

Die Kasinostadt

Wenn La Len an die Chinesen in ihrer Stadt denkt, wird ihr Blick hart. Die 35-Jährige ist eine zierliche Frau mit gepflegtem Make-up und großer Stoffblume im Haar, die sonst leise und mit hoher Stimme spricht. Bei dem Thema aber kneift sie die Augen zusammen: "Ich hasse die Chinesen", sagt sie.

Bevor die Investoren aus der Volksrepublik nach Sihanoukville kamen, betrieb sie zusammen mit ihrem Mann ein Restaurant ganz in der Nähe des großen Kreisverkehrs im Stadtkern, in dessen Mitte zwei große goldene Löwen stehen, die Stärke und Macht symbolisieren sollen. Etwa hundert Meter davon entfernt hatte auch die Familie gelebt. Doch die Besitzer des Grundstücks, auf dem Restaurant und Wohnung standen, verkauften an Chinesen - und La Len und ihre Familie mussten ausziehen.

Sihanoukville galt früher als verschlafener Urlaubsort mit weißen Stränden; die Lage im Süden ist weit genug entfernt vom Trubel in Touristengebieten wie Siem Reap. Doch wer heute durch die Straßen im Tuk-Tuk fährt, muss die Augen zukneifen, damit der dreckige Staub der unzähligen Baustellen nicht Schmerzen verursacht. Dutzende Kasinos und Hotels werden dort rund um die Uhr hochgezogen, dazu eröffnen kleine chinesische Restaurants, in denen die chinesischen Arbeiter essen, die Garküchen der Kambodschaner meiden sie. Die Einheimischen haben auch von den Kasinos nichts: Gesetzlich ist ihnen das Glücksspiel verboten.

Die kambodschanische Regierung habe die chinesischen Investitionen in Sihanoukville kräftig unterstützt, sagt Taing Socheat Kroesna von der Abteilung für Tourismus der Lokalregierung in Sihanoukville, etwa mit Steuererleichterungen und kostenlosem Bauland. Es solle als Modell dienen für weitere Städte im ganzen Land. Im vergangenen Jahr kamen knapp 203.000 Chinesen als Touristen nach Sihanoukville, mehr Menschen als die Stadt Einwohner hat. 1,9 Millionen Chinesen reisten 2018 nach Kambodscha, bis 2020 rechnet die Regierung mit mindestens drei Millionen.

Die Profiteure

Foto: Maria Feck

Es gibt Kambodschaner, die eine andere Geschichte über den chinesischen Einfluss erzählen können: davon, wie sie selbst durch die Investitionen zu mehr Reichtum gelangt sind. Das betrifft vor allem diejenigen, die vorher auch schon vermögend genug waren, um eigenes Land zu besitzen, das sie nun zu Wucherpreisen verkaufen können. Zudem entstanden auf den Baustellen und in den Kasinos in Sihanoukville nach offiziellen Angaben knapp 4000 neue Arbeitsplätze. Wer vorher etwa in einer Fabrik zwischen 80 und 100 Dollar monatlich verdiente, kann dort auf Anhieb 120 Dollar bekommen. Junge, hübsche Frauen, die ein wenig Mandarin sprechen, sogar ein Vielfaches.

Auch Dara gehört zu den Profiteuren, er ist Immobilienmakler in Sihanoukville. Er möchte weder seinen richtigen Namen veröffentlicht sehen noch sein Gesicht - zu sehr ängstigt er sich vor den Reaktionen seiner Landsleute. Allein im vergangenen Jahr seien die Grundstückspreise noch einmal enorm gestiegen, erzählt er. 2017 habe der Quadratmeterpreis in der beliebten Strandlage noch bei 500 Dollar gelegen. Ein Jahr später seien dafür bereits 4000 Dollar fällig. Trotzdem reiße die Kaufwut der Chinesen nicht ab: "Wir scherzen schon darüber, dass es hier gar keine Kambodschaner mehr gibt", sagt Dara.

Natürlich bedeute das alles für seine Branche sehr gute Geschäfte. "Aber in mir drin sieht es nicht gut aus", sagt Dara. "Vorher habe ich auch schon Geld verdient, weniger zwar, aber ich war glücklich." Seine Abende verbringe er oft mit Freunden bei einem Bier. Gesprächsthema sei fast immer der neueste Bericht über Chinesen, die sich danebenbenommen hätten. "Ich kann kaum erwarten, dass die Chinesen wieder abhauen", sagt Dara.

Viele Kambodschaner würden die Chinesen ablehnen, weil sie sich noch immer mehr den USA zugehörig fühlten, sagt der Wirtschaftsanalyst Ou Virak. "Die Chinesen haben noch kein Gefühl dafür bekommen, wie sie den Kambodschanern begegnen müssen", sagt er. "Ich glaube nicht an gut oder schlecht. Für mich zählt das ganze Bild - und was am Ende für die Kambodschaner dabei herausspringt."

Die Angst

Chinesisches Bauprojekt: Flughafen in Koh Kong

Chinesisches Bauprojekt: Flughafen in Koh Kong

Foto: Maria Feck

Es geht um Bauvorhaben wie in Koh Kong. Dort hat die kambodschanische Regierung 45.000 Hektar Land und 20 Prozent des Küstengebietes an die chinesische Firma Union Development Group verpachtet. Nun entsteht dort neben Luxusresorts und einem Golfplatz ein internationaler Flughafen, der größtenteils bis Ende 2020 fertiggestellt werden soll. Satellitenbilder lassen allerdings vermuten, dass die dort gebaute Landebahn weit länger ist, als es für kommerzielle Zwecke nötig wäre. Auch der Hafen, der nicht weit davon entfernt ausgebaut wird, löste Spekulationen aus. Die Nachrichtenseite "Asia Times" mit Sitz in Hongkong veröffentlichte dazu einen Artikel mit dem Titel "Kambodscha im Zentrum eines neuen Kalten Krieges". Darin wurden anonyme Quellen zitiert, wonach der Hafen den Chinesen als Marinebasis dienen könnte, auch wenn noch unklar sei, wie weit die Bauarbeiten dazu fortgeschritten seien.

Solche intransparenten Bauvorhaben sind vielen suspekt. Das Gelände des Hafens ist zur Straße hin durch eine Absperrung abgeschirmt. Daneben steht ein Wachhaus, in dem gleich mehrere Männer aufpassen, dass kein Unbefugter das Gelände betritt - anders als etwa die Baustelle zum Flughafen, die offen zugänglich ist. Auf Nachfrage sagt einer der Wachmänner, es handle sich um ein Projekt einer chinesischen Privatfirma, den Namen des Unternehmens will er aber nicht nennen. Der Hafen sei nur für kommerzielle Transportschiffe gedacht. Er könne aber niemanden auf das Gelände lassen, sonst bekomme er großen Ärger. Auch ein Anruf bei der Nummer, die an dem Wachhäuschen steht, hinterlässt offene Fragen; der Mann, der den Anruf entgegennimmt, will ebenfalls keine Details zu dem Hafen nennen und bestreitet, damit überhaupt etwas zu tun zu haben. Er hat einen starken chinesischen Akzent.

Mit der chinesischen Seite über die Vorgänge zu sprechen, ist kaum möglich. Trotz mehrfacher Mails und Anrufe sind die Offiziellen der Botschaft in Phnom Penh oder deren Vertreter für den SPIEGEL nicht zu sprechen, bei einer persönlichen Anfrage bleiben die Türen verschlossen.

Wachhaus in Koh Kong

Wachhaus in Koh Kong


Foto: Maria Feck

Die Frage danach, was in Koh Kong vor sich geht, beschäftigt inzwischen auch die US-Regierung. Vize-Präsident Mike Pence schrieb Premier Hun Sen im vergangenen November einen Brief, in dem er seine Sorge über etwaige Entwicklungen zum Ausdruck brachte. Dessen Regierung weist die Berichte dazu vehement als "fake news" zurück - und verweist darauf, dass die Errichtung einer chinesischen Militärbasis gegen die kambodschanische Verfassung verstoße.

Für den Wirtschaftsanalyst Ou Virak liegen die Vorteile Kambodschas für China auf der Hand: "Vor allem die Nähe zu Vietnam, dem größten Rivalen Chinas im Streit um Inseln im Südchinesischen Meer, ist da zu nennen", sagt er. Zudem hat China mit Kambodscha einen engen Verbündeten im Verband Südostasiatischer Nationen (Asean), der dort im Sinne Pekings agieren kann. Und selbst wenn es strategisch sinnvollere Adressen gäbe, gelte: "Die Chinesen nehmen, was sie kriegen können."

Impressum

Autorin Vanessa Steinmetz
Kamera, Schnitt Maria Feck
Mitarbeit Meta Kong
Animation Arne Kulf, Ferdinand Kuchlmayr
Grafik Cornelia Pfauter
Programmierung Dawood Ohdah, Lorenz Kiefer
Schlussredaktion Katrin Zabel
Dokumentation Rainer Szimm
Redaktion Alexander Epp

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten