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Anonyme Spenden: Das Wunder von Braunschweig

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Anonyme Geldspenden Das Wunder von Braunschweig

In Braunschweig geht ein Wohltäter um. Ein unbekannter Spender verteilt Geld an Bedürftige, nachts landen Briefumschläge mit 10.000 Euro in ihren Briefkästen. Und so bekommt ein Lokalzeitungschef einen Traum erfüllt, eine Stadt glaubt wieder an die Nächstenliebe. Eine wundersame Geschichte.

"Wenn wir einen Menschen glücklicher und heiterer machen können, so sollten wir es auf jeden Fall tun, mag er uns darum bitten oder nicht." Hermann Hesse

Es gibt Geschichten, die sind so gut, sie klingen zu schön um wahr zu sein. Henning Noske lächelt, wenn man ihm das sagt. Er ist seit 1982 Journalist, er weiß: Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte. Noske, Schlips und schneller Schritt, ist der Chef der Lokalredaktion. Es sind stürmische Zeiten für Noske. Ständig ruft einer an. RTL, ARD, ZDF. Und das, weil seine kleine "Braunschweiger Zeitung" eine große Geschichte angeschubst hat. "Von so einer Story träumt doch jeder!", sagt Noske.

Es begang mit einem Artikel. Ein Handtaschenraub in Braunschweig. Wenig später lag ein Briefumschlag bei der Stiftung Opferhilfe in der Hochstraße. 10.000 Euro in bar. Kein Absender. Zwanzig Fünfhundert-Euro-Scheine.

Es folgten:

10.000 Euro für eine Kita

10.000 Euro für vier Kirchengemeinden

10.000 Euro für die Sternsinger

10.000 Euro für die Braunschweiger Tafel

10.000 für die Suppenküche

und so weiter.

Auf einmal gab es ein System. Ein weißes Kuvert, 10.000 Euro in bar. Einmal sogar 50.000 Euro. Nie ein Absender. "Und dann lag dem Geld oft ein Artikel aus unserer Zeitung bei", sagt Noske.

Was war passiert? Gibt es in Braunschweig, dieser Stadt in Niedersachsen, einen stillen Engel, der von Nöten liest und daraufhin Geldsegen niedergehen lässt? Ein Mann oder eine Frau, Marke Gutmensch, der oder die mit einem Kuvert voller Scheine durch die Nacht schleicht?

Am 1. Februar befand sich ein Brief gar im Kasten des Pressehauses der "Braunschweiger Zeitung". Zuvor hatte eine Redakteurin über Tom geschrieben, einen 14-jährige Jungen, der seit einem Schwimmunfall vor sieben Jahren schwerbehindert ist. Die Lokalredakteurin beschrieb, wie die Angehörigen mit der Pflegesituation umgehen.

Wenige Tage später öffnete die Pförtnerin der Zeitung einen weißen Umschlag ohne Absender und hielt 10.000 Euro in Fünfhunderter-Scheinen in den Händen. Außer dem Geld befand sich nur ein Artikel der "Braunschweiger Zeitung" in dem Kuvert. Der Name der Familie war unterstrichen. Das Geld war für Tom.

"Ich saß im Auto, als ich von der Nachricht erfuhr und musste erst mal rechts ranfahren, konnte kaum sprechen", sagt Claudia Neumann, Toms Mutter. Später hat sie ihrem Sohn davon erzählt, dass er eine große Summe Geld bekommen hat von einem unbekannten Wohltäter. Tom kann seit dem Unfall nur über einen Sprachcomputer kommunizieren. Er hat vor Freude in die Hände geklatscht.

Von dem Geld wollen die Eltern das Grundstück aufschütten lassen, weil ihr Sohn immer schwerer zu schieben wird. Außerdem möchten sie eine Therapie für Tom buchen, die von der Krankenkasse nicht übernommen wird. "Dass in einer Leistungsgesellschaft, in der jeder nur an sich selbst denkt, irgendjemand so etwas Selbstloses macht", sagt Claudia Neumann.

Wer der Spender ist, weiß immer noch niemand. "Aber natürlich regt diese Sache die Phantasie an", sagt Toms Mutter. Ihre Kinder hätten schon gemutmaßt, dass es eine Art moderner Robin Hood sei. Jemand, der vielleicht Banken überfällt und das Geld dann an Bedürftige verteilt. "Oder es ist ein alter Mensch, der im Sterben liegt", sagt Henning Noske. "Wir wissen es nicht." Die Lokalzeitung, die fast täglich über den Spender berichtet, hat beschlossen, die Anonymität des Gebers zu akzeptieren und seine Identität nicht zu recherchieren.

Seit kurzer Zeit gibt es auch häufiger Anfragen. Ob man nicht über diesen und jenen Verein berichten könnte. Auch Einrichtungen aus Bremen hätten sich schon gemeldet. "Aber das gibt es bei uns nicht!", ruft Noske. "Wir lassen uns nicht instrumentalisieren, wir handeln immer nach dem Pressekodex."

Mittlerweile hat der Anonymus rund 180.000 Euro verteilt. Er oder sie steckt das Geld immer in einen Briefkasten, nur einmal nicht - da lag es zwischen den Gesangbüchern. Auch die Gemeinde von Pfarrer Hans-Jürgen Kropkow bekam 10.000 Euro, der Geistliche zog es aus der Brief-Box: "Ich hatte noch nie so viel Geld auf einmal in der Hand, da wird man ganz kribbelig. "

Die meisten der so Bedachten bedanken sich via "Braunschweiger Zeitung". Toms Mutter möchte bald eine Annonce schalten. Rechtlich ist es in Ordnung, das Geld anzunehmen, solange nichts auf eine Straftat hinweist.

Das letzte 10.000 Euro-Kuvert öffnete Armin Kraft am vergangenen Wochenende. Kraft ist Botschafter der Stadt und kämpft gegen Kinderarmut. Er will das Geld für Familienpatenschaften benutzen.

Seitdem ist es ruhig geworden in Braunschweig. Noch ist kein weiteres Kuvert gefunden worden. "Vielleicht ist das Geld alle?", sagt Lokalchef Noske. Er ist etwas nervös. Ist das Spendenmärchen schon vorbei?

Zum Abschied sagt Noske: "Wissen Sie, es träumt doch jeder gute Journalist davon, was bewegen zu können!" Es ist die Idee, die Welt könnte ein klein wenig besser sein, etwas gerechter. Es ist möglich, dass irgendwo in Braunschweig ein Mensch wohnt, dem träumen nicht genügte.

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