Nein, liebe "Abenteurer", Afrika muss nicht mehr von euch entdeckt werden

Wer erklärt den neuen Kolumbussen, dass sie nichts mehr entdecken müssen?
Von Thembi Wolf

Dieser Beitrag wurde am 06.02.2019 auf bento.de veröffentlicht.

Wo findet man heute noch Abenteuer? Neulich saß bei Markus Lanz einer, der es geschafft hat. Anselm Pahnke ist 29 und kommt aus Hamburg. Er ist ein netter Typ, ein bisschen öko, fährt ein teures Fahrrad, trägt Erdtöne. Pahnke ist von Südafrika nach Ägypten gefahren, hat im Zelt übernachtet und einen Film darüber gemacht: "Anderswo: Allein in Afrika" (SPIEGEL ONLINE).

Und hier beginnt das Problem

Seine Reise war ein "Abenteuer", in der Wildnis, voller Gefahr, er habe "Afrika entdeckt", sagte er in der Talkshow. Niemand erklärte ihm daraufhin, dass wir Afrika schon kennen.

Aber wer Reisen in den globalen Süden als "Abenteuer" und "Entdeckungsreise" feiert, bedient kolonialistische Klischees und den Topos des weißen Entdeckers.

Typ Wannabe-Neo-Kolumbus: Anselm Pahnke ist da nicht der Einzige. 

Menschen, die "um die Welt" couchsurfen, trampen und sich schlafen , sind eine eigene Gattung. Sie füllen Unisäle mit ihren Vorträgen, ein eigenes Regal im Buchladen, die Kategorie "Weltreise" auf Amazon oder Kinosäle, so wie Pahnke. Die meisten sind Männer.

Es wird Zeit, dass wir den angestaubten Mythos des Entdeckungsreisenden entzaubern und zurück in die Geschichtsbücher verbannen.

Die Helden-Geschichten klingen ohnehin austauschbar:

Unterwegs lässt ihn sein Reisepartner im Stich, er bekommt eine Lungenentzündung, wird von Polizisten in Kambodscha ausgeraubt und hat unzählige platte Reifen. Aber aufgeben? Kommt nicht in Frage.

Pedal the World: Mit dem Fahrrad um die Welt von Felix Starck, 29


Seine Reise führt ihn durch verlassene osteuropäische Dörfer und über zermürbende Sandpisten in Westafrika. Er fährt per Anhalter durch die Sahara, radelt durch den unerschlossenen guineischen Regenwald und schmuggelt sich in Liberia über geschlossene Grenzübergänge.

Ein Coffee to go in Togo: Ein Fahrrad, 26 Länder und jede Menge Kaffee von Markus Maria Weber, 30


Es wird die Fahrt ihres Lebens, mit Momenten des größten Glücks, aber auch anscheinend ausweglosen Situationen: An der russischen Grenze entgehen sie ganz knapp ihrer Verhaftung, und das schillernde Nachtleben Moskaus zieht sie in ihren Bann. In Kasachstan fliehen sie vor üblen Raufbolden, und nur die Hilfsbereitschaft der Kirgisen kann das vorzeitige Ende ihrer Reise abwenden.

Zwei nach Shanghai: 13600 Kilometer mit dem Fahrrad von Deutschland nach China von Hansen und Paul Hoepner, 32

Das Problem ist, wer sich als Abenteurer definiert, definiert die Umwelt gleich mit: als Abenteuer

Als unbekannte Wildnis, gefährlich und unberechenbar. Das bedient Klischees. Einerseits der geordnete Westen – andererseits das wilde Afrika, Indien, Iran.

Wir alle haben diese Klischees im Kopf  – aber wir waren auch noch nicht da. Warum weiß es einer wie Anselm, der doch 414 Tage, 15.000 Kilometer, 15 Länder in Afrika besucht hat, nicht besser?  

Im Film winkt er irritierten Passantinnen und Passanten zu, filmt halb nackte Frauen in Tracht und Kinder-Trauben, zeltet in Nationalparks und schmeißt seinen Gaskocher direkt neben einer der Pyramiden von Meroe im Sudan an, die Weltkulturerbe sind.

Afrika sei "einfacher und langsamer", sagte Anselm Pahnke in einem Interview. Dabei kann ein Satz, der mit "Afrika ist…" beginnt, nur falsch sein. Der Kontinent hat mehr als 50 Länder, hunderte Kulturen, Religionen, Landschaften, Klimazonen. 

Aufregend war Anselm Pahnkes Reise sicher: 

Er hatte dreimal Malaria, Typhus, strandete in der Wüste und hatte kaum noch Wasser, er radelte durchs Nirgendwo eines Bürgerkriegslandes. 

In Ägypten filmt er das Militär und wird zwei Tage in Untersuchungshaft gesteckt. Vom Brunnenwasser (er wollte "näher" bei den Menschen sein), bekam er Typhus.

Mit wenig Geld, kaum Vorbereitung, ohne Sprachkenntnisse zu reisen, oder ohne Medikamente und Trinkwasser, wie Pahnke: Das klingt erst einmal naiv .

Aber beim Reisen soziale, politische, historische, kulturelle Kontexte auszublenden, ist auch respektlos.

Bürgerkriege, Militärdiktaturen, bewaffnete Milizen, Wilderei – daran kann man nicht einfach vorbeiradeln. Wenn das Wasser aus einem schmutzigen Brunnen geschöpft wird, ist das nicht ursprünglich, sondern schlicht Armut. Selbst ohne Medikamente zu reisen, ist eine ethische Entscheidung. In vielen Regionen der Welt sind beispielsweise Malariatabletten knapp und werden teuer aus dem Westen importiert. (UN )

Man kann trotzdem an solche Orte auf Erden reisen – wenn man sich vorher gut überlegt, wie man mit der eigenen Position umgeht.

Entdecker sein ist ein Privileg: Ob man auch als Abenteurer gefeiert wird, hängt davon ab, woher man kommt. 

Wenn ein LKW auf einer Hauptstraße im Sudan ganz knapp an Anselms Fahrrad langschrammt, ist das eine starke Szene im Kinofilm. Aber was, wenn ein Inder mit seinem Tuk-Tuk auf die deutsche Autobahn fährt, und zu Hause erzählt, wie ihn ein LKW geschnitten hat? Das klingt schon eher bescheuert als abenteuerlich.

Neben "Freundlichkeit, Flexibilität, Charme und Arbeitswillen" (aus "Mit 50 Euro um die Welt") und einem Weltbild aus dem vorvorvorletzten Jahrhundert, bringen die Neo-Kolumbusse nämlich auch eine große Portion Privilegien mit.

Sie können fremde Menschen anquatschen, ohne als Bettler abgetan zu werden. Können nachts an einer Autobahn campen, ohne vor sexuellen Übergriffen Angst zu haben. Sie wissen, dass ihnen schon jemand eine Dosis Malariatabletten verkaufen wird. Dass sie die Miliz verschont und das ägyptische Militär irgendwann aus der Zelle lassen muss, weil sonst die Botschaft anklopft. Sie können jederzeit zurück, ins sichere Deutschland. Und nicht zu vergessen: Sie haben das Geld, einfach mal eine Weile nicht zu arbeiten.

Darf man sich beim Reisen denn nun selbst finden?

Zumindest kann man sich suchen. Reisen, egal ob fern oder weit, sind voller Dilemmas. Will ich nur die Landschaft sehen, oder die Menschen kennenlernen? Bin ich bereit, ein Kopftuch aufzusetzen, um in den Iran reisen zu dürfen? Esse ich den Schafskopf aus Höflichkeit auf? Wie gehe ich damit um, wenn ich mit Armut konfrontiert werde? Warum regt es mich nochmal auf, wenn der Taxifahrer mir mehr berechnet als üblich – obwohl ich mir das locker leisten kann? Will ich wirklich in einem Krisengebiet Urlaub machen?

Aber wie kommt es denn nun, dass Typen jahrelang durch den globalen Süden reisen – und so unreflektiert zurückkommen? Sie wissen vorher schon, was sie finden wollen. Sie jagen Kilometerzähler, kreuzen Länder auf der Landkarte ab.

Deswegen klingen die Bücher, Filme, Vorträge auch, als hätte sie jemand vom Sofa aus geschrieben, ohne jemals dagewesen zu sein. So wie Anselm Pahnke, zum Ende des Films:

Ich habe den Rhythmus des Kontinents in mir aufgenommen: das Lächeln der Menschen, die großen Augen und intensiven Farben, unbekannte Geräusche und inspirierende Gerüche. All das habe ich in mein Herz geschlossen.

Klingt, wie man schon 1492 über fremde Kulturen geschrieben hat, die man meinte, gerade "entdeckt" zu haben:

Ich bestätige eurer Hoheit, dass es auf der Welt kein besseres Volk oder kein besseres Land gibt. Sie lieben ihre Nachbarn wie sich selbst, ihre Sprache ist die süßeste der Welt, sind milde und lachen immerzu.

Christoph Kolumbus, laut der Anthropologin Carol Delaney

Muss man sich beim Reisen überhaupt selbst finden wollen?

Absolut nicht. Man kann respektvoll und neugierig sein, sich Zeit nehmen, seine Privilegien checken und im Zweifel auf ein Abenteuer verzichten. Man kann gut essen, nette Gespräche führen und bequem schlafen.

Man kann auch eine anstrengende Fahrradtour machen, zelten, krank werden, schmutziges Wasser trinken, sich beim Landfriedensbruch verhaften lassen und behaupten, man sei "allein in Afrika" gewesen. Dafür kann dann aber Afrika nichts


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