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ERZIEHUNG Aufruf zum Windeldienst

Mit einer in dieser Woche startenden Werbekampagne will Familienministerin Bergmann vor allem junge Väter zu Erziehungsurlaub und Teilzeitarbeit ermuntern. Einige Großunternehmen unterstützen die Initiative, andere Arbeitgeber sind ebenso skeptisch wie viele Fachleute.
aus DER SPIEGEL 10/2001

Ralf Paeslack freut sich auf den 3. April. Dann wird der 35-jährige Montagefahrer zum vierten Mal Vater - und übt als erster VW-Werker in Wolfsburg den Rollentausch in der neuen Erziehungszeit.

Paeslack und seine Partnerin Bianca sind beide bei dem Autobauer beschäftigt, doch während Bianca acht Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder voll arbeiten wird, reduziert Ralf seine Arbeitszeit von Vollzeit auf durchschnittlich 20 Stunden pro Woche, um sich der Erziehung seines Kindes widmen zu können.

Die beiden haben sich nach einem werkseigenen Workshop über die Möglichkeiten, die die neuen Regelungen zur so genannten Elternzeit (früher Erziehungsurlaub genannt) und zur Teilzeitarbeit bieten, für die Aufgabenteilung entschieden. In Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten können Mütter und auch Väter seit Jahresbeginn je nach Gusto eine Erziehungszeit nehmen und ihre wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 30 Stunden reduzieren. »Der klassische Weg ist: Der Mann bleibt im Betrieb, und die Frau steigt aus. Jetzt soll es auch umgekehrt gehen«, sagt Traudel Klitzke, Leiterin der Frauenförderung bei VW.

Ralf Paeslack entspricht dem »neuen Männerbild«, das das Bundesfamilienministerium mit einer fünf Millionen Mark teuren Werbekampagne propagieren will. Die von der Hamburger Agentur Scholz & Friends gestaltete Aktion »mehr Spielraum für Väter« beginnt in dieser Woche mit Werbespots und Anzeigen in Zeitschriften, Kinos und Fernsehen und soll bis Jahresende laufen.

»Immer mehr Männer wollen sich nicht nur auf die Karriere konzentrieren, sondern auch mehr Zeit für die Familie haben«, behauptet Familienministerin Christine Bergmann (SPD). Viele Arbeitnehmer wüssten jedoch »noch zu wenig über die neuen Regelungen. Deshalb starten wir die Kampagne«.

Deren Auswirkungen aber sind umstritten. In vielen Betrieben fürchten die Arbeitgeber, so Ulrich Schillert, Generalbevollmächtigter der Frankfurter Woolworth Deutschland, »jede Menge neue Konfliktfälle«, wo »bisher keine waren«. Die seit Januar geltenden Gesetze räumen den Eltern zusätzliche Wahlrechte ein. Wer Kinder erzieht, kann nach der Gesetzesnovelle nicht nur für bis zu drei Jahre seinen Job unterbrechen. Er darf die Auszeit künftig auch teilweise auf bis zu acht Jahre verteilen.

Mehr noch: Wenn der Arbeitnehmer es wünscht, muss ihm das Unternehmen auch noch einen Teilzeitjob während der Erziehungsferien anbieten - sogar dann, wenn das Unternehmen inzwischen eine Ersatzkraft eingestellt hat. Schillert klagt, den Personalmanagern stünden womöglich »viele unschöne Pokerrunden« bevor.

Die Werbeaktion der Familienministerin soll vor allem junge Männer ansprechen. »Väter, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten, sind keineswegs Softies, sondern die Trendsetter dieses Jahrhunderts«, schwärmt Bergmann.

Die Zahl der Trendsetter - bislang entscheiden sich gerade mal schlappe 1,5 Prozent der Väter für Elternarbeit - wird sich möglicherweise nicht im erhofften Maß erhöhen. Hans Bertram, Soziologe an der Berliner Humboldt-Universität, findet die Kampagne wichtig, ist aber skeptisch, was ihre Effektivität angeht. »Es gibt knallharte ökonomische Faktoren, die es Vätern schwer machen«, sagt er. »Und dazu kommen viele gesellschaftliche Vorbehalte.«

»Neue Vaterschaft« war ein Schlagwort Ende der siebziger Jahre. »Die neuen Väter?«, spotteten die Sozialwissenschaftlerinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer vor zehn Jahren: »Bei der Geburt atmen sie noch mit, aber danach geht ihnen schnell die Luft aus.« Ihre damalige Studie belegte: Mütter organisieren den Kinder-Alltag, rennen zum Elternabend, sitzen im Wartezimmer der Kinderärztin. Väter widmen sich ihren Kindern am Wochenende, wenn sie nicht das Auto waschen, Akten aufarbeiten, Sportschau gucken oder Geschäftsfreunde treffen müssen.

Nach wie vor fürchten viele Männer den Prestigeverlust beim Rollentausch: »Ich bin Hausmann und Vater« klingt bis heute nicht sexy. Der Beruf bietet Männern wie Frauen gleichermaßen neben Stress auch Abwechslung und Anerkennung. Karriere machen ist schicker, als Kindern die Nasen zu putzen, und es sieht auch besser aus. Im Film sowieso: Da kann die schöne Julia Roberts in »Erin Brokovich« nur deshalb einen gigantischen Umweltskandal aufdecken, weil sie ihre drei Kinder der Obhut eines sanften Motorradfahrers übergibt. Der wohnt in der Nachbarschaft und spielt gern mit Erins Kindern. Allerdings setzt er sich eines Tages wieder auf sein Motorrad und fährt der Sonne entgegen.

Betuchte Promis wie Model Nadja Auermann, Schauspieler Til Schweiger und Moderatorin Birgit Schrowange haben die Wahl - wenn Kinder kommen, arbeiten sie und ihre Partner einfach eine Weile gar nicht, wenn es ihnen passt. Auch ein Rollentausch auf Zeit ist für Spitzenverdiener leichter zu bewältigen als für normale Bürger. »Promis haben es gut, denn Geld federt vieles ab«, sagt ein Vater zweier Kinder, der nach langen Debatten mit seiner Frau auf Erziehungsurlaub und eine Reduzierung seiner Arbeitszeit verzichtete. Ursprünglich war geplant, sich die Erziehungszeit aufzuteilen, doch je näher der Termin rückte, desto unbehaglicher wurde ihm. »In meiner Computerfirma hätte Erziehungsurlaub einen Karriereknick bedeutet, ich wäre fortan für meine Vorgesetzten der Mann gewesen, mit dem nicht mehr zu rechnen ist.«

Wenn Frauen sich auf Haushalt und Kinder beschränkten, erklärt der Computerfachmann, bekämen sie nicht so schnell ein Imageproblem, weder in der Firma noch im privaten Freundeskreis.

Ungerechte, reaktionäre, vernagelte Chefs? Gibt es sicher. Männer als Jäger und Sammler, immer noch auf der Flucht vor Kochtöpfen und quengelnden Kleinkindern? Gibt es sicher auch.

Aber die Verhältnisse sind tatsächlich schwierig: Wie beispielsweise lässt sich eine Reduzierung auf 30 Stunden realisieren, wenn es gleichzeitig an Kinderkrippen, Kindergartenplätzen, Hortplätzen fehlt und eine Familie diese Betreuung privat regeln und finanzieren muss? Davon sind natürlich Männer und Frauen betroffen, nur verdienen die meisten aller Frauen weniger als ihre Partner. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Teilzeit-Spagat zwischen Kindern, Karriere und Küche nur schwer schaffen. »Es ist das große Dilemma dieses Landes, dass wir bis heute keine explizite Familienpolitik haben«, klagt der Familienforscher Wassilios Fthenakis. Er versteht darunter nicht allein finanzielle Förderung, sondern umfassende Betreuungsangebote bundesweit.

Immerhin wächst der politische Druck auf die Berliner Regierung, sich um eine familienfreundliche Infrastruktur zu kümmern: Das Thema dürfte in den bevorstehenden Wahlkämpfen eine große Rolle spielen. Denn was Deutschland bislang zu bieten hat, ist alles andere als attraktiv - und macht auch willigen potenziellen Teilzeit-Männern die Entscheidung nicht gerade leicht. In anderen EU-Ländern wie Schweden ist die Lage ungleich besser: Dort erhalten Mann oder Frau im Erziehungsurlaub 75 Prozent des letzten Gehalts. Ergebnis: 34 Prozent der Väter nehmen Erziehungsurlaub.

In Frankreich werden 30 Prozent der Kinder unter drei Jahren in Krippen und Kindergärten versorgt, in Dänemark 48 Prozent - in Deutschlands Westen sind es unter 5 Prozent. Fehlende Betreuungsplätze tragen mit dazu bei, dass nur die Hälfte der rund 400 000 deutschen Mütter nach ihrer Auszeit wieder in den Beruf zurückkehren und lediglich 6 Prozent der Mütter von Vorschulkindern Vollzeit erwerbstätig sind, bei den 6- bis 14-Jährigen sind es rund 18 Prozent.

Manche Frauen müssen, manche wollen arbeiten, und manchmal sind die Voraussetzungen tatsächlich ganz gut: Wenn der Sohn des Bremer Unternehmensberaters Burkhard Knoch, 36, im April seinen ersten Geburtstag feiert, steigt seine Frau Katharina wieder in ihre Karriere als Juristin ein. Ihr Mann hat deshalb seine Arbeitszeit im Büro um ein Viertel reduziert. Er arbeitet zudem vorwiegend zu Hause und verlässt sich auf Handy, Internet und E-Mail, während er sich um Sohn Anton kümmert. Knochs Firma GETOQ bekam für so viel Flexibilität vom Bergmann-Ressort einen Preis als »Familienfreundlicher Betrieb 2000«.

Große Wirtschaftsunternehmen begrüßen meist das neue Rollen-Modell; VW, die Telekom und die Commerzbank unterstützen Bergmanns Kampagne. Vielleicht liegt ihnen an der Gleichberechtigung, vielleicht profitieren sie aber auch finanziell - nicht zuletzt auch, weil Teilzeit-Arbeitende, um ihr Pensum zu schaffen, nicht selten zur Selbstausbeutung neigen.

Der Neuanfang nach der bis zu dreijährigen Kinder-Auszeit kann sich für kleine Betriebe als Belastungstest erweisen. Die Erziehenden müssen sich oft an neue Maschinen oder Arbeitsplätze gewöhnen, die Unternehmen die Rückkehrer kostenträchtig einarbeiten oder Schicht- und Dienstpläne umstellen. Nicht selten kommt es auch zu hässlichen Konflikten mit Kollegen oder Betriebsräten, wenn die Erziehungsaussteiger gegen veränderte Arbeitszeiten oder Jobinhalte rebellieren und dafür beliebte Aushilfen von ihren vorübergehenden Arbeitsplätzen verdrängen.

Häufig sind die Mütter die Verlierer. Der Anteil der erwerbstätigen Frauen, forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder jüngst beim Jahresempfang der rheinland-pfälzischen Handelskammern, müsse deutlich erhöht werden. Bislang liegt sie mit 56,9 Prozent aller Frauen niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern, etwa in Österreich oder Großbritannien.

Für Wirtschaftsminister Werner Müller ist das Umsteuern vor allem eine Frage des »gesellschaftlichen Bewusstseinswandels": Auch Väter müssen Erziehungsurlaub nehmen können, ohne dass dies ihrem Ansehen oder ihrer Karriere schadet. Das neue Bewusstsein, so Müller, nütze auch den Frauen, »denn erst, wenn es für Männer genauso selbstverständlich ist, Familienaufgaben zu übernehmen, werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen haben«. Noch ist der Frauenanteil in Führungspositionen und zukunftsträchtigen Berufsfeldern gering. Beim Kampagnen-Sponsor Commerzbank preist das Management den Nutzen des Geschlechter-Sharings: »Es macht für uns keinen Unterschied, ob der Mann in Erziehungsurlaub geht oder die Frau. Hauptsache, unsere Mitarbeiter halten Kontakt zur Bank und steigen nicht komplett aus«, sagt Commerzbank-Personalchef Klaus Enz.

Andere Bosse sorgen sich um die Folgen des Gesetzes. Umstritten ist zum Beispiel, wann ein Arbeitgeber den Teilzeitwunsch de Eltern ablehnen kann. So fürchtet Bernhard Wilken, Personalchef der Spar Handels AG, dass in den nächsten Jahren wohl Arbeitsgerichte »in zahlreichen Prozessen klären müssen«, welche Ansprüche der Arbeitnehmer gerechtfertigt sind.

Unternehmensberater Knoch ist, was die Bereitschaft zum Umdenken angeht, optimistischer: Vor zwei Wochen rief ein Top-Manager aus der Autobranche bei ihm zu Hause an. Knoch hatte gerade seinen Sohn auf dem Arm. »Ich habe ihm gesagt, dass er sich nicht wundern solle, wenn er ungewöhnliche Geräusche hört«, erzählt Knoch. »Doch dann haben wir die Projektabstimmung für das nächste Meeting gemacht.« ANGELA GATTERBURG,

MICHAEL SAUGA, JUDITH SCHALLENBERG,

ANDREA VOGT

Judith Schallenberg, Andrea Vogt

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