Augenzeugenbericht "Ko Phi Phi war ein Alptraum"
Bangkok - Ich habe unglaubliches Glück gehabt. Nachdem ich auf der Insel Ko Lanta zunächst in einem Hotel auf Strandhöhe gewohnt habe, bin ich einen Tag früher als geplant auf die Insel Phi Phi gefahren, wo ich Unterkunft in einem höher gelegenen Bungalow fand. Ich kam eine Stunde vor dem Tsunami mit der Fähre an und stand gerade unter der Dusche, als plötzlich die Stromversorgung zusammenbrach. Von draußen war ein ungewöhnliches lautes Rauschen zu hören.
Als ich auf den Balkon hinausging, sah ich viele Menschen in Panik und schreiend den Hügel hinaufrennen. Im ersten Moment habe ich gar nicht registriert, was da überhaupt vor sich ging. Dann sah ich plötzlich das Wasser kommen. Es ist schwer zu schätzen, aber ich gehe davon aus, dass der Wasserpegel etwa fünf bis sechs Meter über Normal stand. Überall waren schreiende und weinende Menschen.
Noch zweimal kam die Welle an Land gerollt. Einige Menschen am Strand konnten sich auf Palmen und Wassertürme retten. Als sich das Meer nach etwa einer Stunde einigermaßen beruhigt hat, bin ich nach unten gegangen und habe versucht, zu helfen. Direkt unterhalb des Holzsteges meiner Bungalowanlage türmte sich meterhoch der Schutt. Alle Häuser, die nicht aus Stein waren, waren einfach weggerissen worden. Die Trümmer lagen über die ganze Insel verteilt.
Am Steg hörte ich auf einmal ein leises Wimmern. Ich konnte es zuerst nicht genau orten und war mir nicht sicher, ob es sich dabei um eine Katze oder Hund handelte. Ich fing an zu rufen, woraufhin das Wimmern lauter wurde. Mir wurde plötzlich klar, dass dort ein Mensch um Hilfe rief. Also bin ich zusammen mit einigen anderen Unverletzten zu dem Trümmerberg gegangen und habe angefangen, Schutt beiseite zu räumen. Das war extrem schwierig, da an dieser Stelle ein Strommast umgeknickt war und mitten auf den Trümmern lag. Trotzdem gelang es uns, innerhalb einer Stunde eine schwangere Frau unter zwei Metern Schutt, Holz, Matratzen, Kühlschränken, CD-Ständern auszugraben. Die Frau hatte starke Gesichtsverletzungen, schien aber ansonsten relativ unversehrt zu sein.
Zu diesem Zeitpunkt wurden von überall bereits Menschen mit Knochenbrüchen, Schnittverletzungen und tiefe Fleischwunden von Helfern in die höher gelegenen Hotels und Unterkünfte gebracht. Kein Mensch wusste genau, ob die Welle noch einmal zurückkommen würde. Es gab immer wieder Falschmeldungen; sobald das Meer etwas lauter wurde, rannten die Menschen in Panik vom Trümmerfeld in Richtung der Anhöhen.
Wir suchten weiter nach Überlebenden und fanden eine US-Amerikanerin, die auf einem Trümmerhaufen nahe einer Palme lag. Als ich nach einem großen Brett, einer Tür oder einer vergleichbaren Transportunterlage für die Frau suchte, entdeckte ich zwei Leichen. Einer der leblosen Körper hing horizontal in den Ästen eines Baumes. Es war grausam. Dieses Bild lässt mich seitdem nicht mehr los. Andrea, die Amerikanerin, hatte eine große Schnittwunde am Bein und war auf Grund des großen Blutverlustes sehr schwach. Wir befürchteten, dass sie in Ohnmacht fallen könnte, und redeten deshalb die ganze Zeit mit ihr und versuchten, sie aufzumuntern.
Unsere Rettungsarbeiten zogen sich über den ganzen Tag. Bis zum Einbruch der Dunkelheit trugen wir schwer verletzte Menschen auf den Hügel und hinterher zum Strand, wo inzwischen eine Rettungsstation aufgebaut und der Hubschrauberlandeplatz auf einem Basketballfeld eingerichtet worden waren. Die Nacht habe ich schlaflos in meiner Hütte verbracht. In unmittelbarer Nähe lagen einige Tote, die mit Bettlaken bedeckt worden waren.
Einem Österreicher, der von der Flutwelle am Strand erwischt wurde, habe ich mein Handy gegeben, damit er zu Hause anrufen konnte. Seine Freundin, der er in wenigen Tagen einen Heiratsantrag machen wollte, hatte er verloren. Am nächsten Tag empfing ich eine SMS aus Österreich auf meinem Handy: "Anita lebt!!!" Ich bin sofort zur Krankenstation gerannt, und habe dem Mann die Meldung gezeigt. Er hat minutenlang wie ein Haufen Elend in meinen Armen geweint.
Am folgenden Tag haben wir weiter die zahlreichen Verletzten zur Krankenstation geschleppt. Ralf aus Darmstadt, den wir am Tag zuvor auf einem Kajak aus den Trümmern gezogen haben, habe ich wieder gesehen und er hat mich auf seine provisorische Trage gezogen und mich umarmt und geküsst. Er war einfach nur dankbar, dass ich ihm am Vortag Wasser, Cola und Eistee besorgt hatte.
In der Zwischenzeit hatte sich an einigen Stellen ein grauenhafter Verwesungsgeruch ausgebreitet. Es roch wie in einem Schlachthaus. Viele Helfer arbeiteten nur noch mit Tüchern vor dem Gesicht. Nach dem wir alle Menschen aus den Lagern evakuiert hatten und mir jeder Knochen im Leib weh tat, habe ich mein Gepäck aus der Hütte geholt. Zum Glück war noch alles da, denn einige Hütten sind zuvor aufgebrochen und geplündert worden.
Ein österreichischer Tauchlehrer erzählte mir, dass er am Vortag zur Zeit des Tsunamis auf Tauchgang war. Die Strömung habe ihn urplötzlich etwa zehn Meter in die Tiefe gezogen. Zum Glück überlebten alle Mitglieder der Gruppe die Flutwelle. Auf der Rückfahrt nach Ko Phi Phi hat er mindestens zehn Leichen im Wasser treiben sehen.
Am Nachmittag bin ich mit einem Boot nach Phuket gebracht worden. Vorher gab es noch tumultartige Szenen auf dem Pier. Einige Tote waren in Tücher gewickelt, die Leichen wurden aufgestapelt. In Phuket und auch zuvor schon auf dem Boot erwiesen sich die Thais als unglaublich hilfsbereit. In der örtlichen City Hall habe ich mich dann bei der deutschen Botschaft registrieren lassen. Es gab sehr viele Informationsstände und Übersetzer für alle Sprachen. Dennoch war die Situation unübersichtlich, da zu viele hilfsbedürftige Menschen auf einmal vor Ort waren.
Inzwischen bin ich in Bangkok angekommen, hier wohne ich zurzeit bei Bekannten und werde am Samstag nach Düsseldorf zurückkehren. Die letzten Tage waren die schlimmsten meines Lebens. Ich bin einfach nur froh, dass ich überlebt habe.