Bad Reichenhall Eishalle eingestürzt - verzweifelte Suche nach Verschütteten
Bad Reichenhall - Um 15.30 Uhr erfährt Thomas Rumpeltes erstmals von der drohenden Gefahr: Zu diesem Zeitpunkt informiert die Stadt den Vorstand des örtlichen Eishockey-Athletik-Clubs (EAC), dass das für Montagabend geplante Training nicht stattfinden könne. Es bestehe Einsturzgefahr in der Eissporthalle, heißt es.
Warum trotz dieser ersten Gefahrenhinweise der öffentliche Publikumslauf in der Halle weiter ging, wisse er nicht. Möglicherweise sei die Gefahr unterschätzt worden: "Wer rechnet schon mit einer Katastrophe und damit, dass es
so schnell geht?", sagte Rumpeltes der Nachrichtenagentur AP. Um 16 Uhr stürzt das Flachdach unter der starken Schneelast ein und begräbt rund 50 Menschen unter sich.
Die Deutsche Presse Agentur zitiert Rumpeltes so: Er sei um 15.30 Uhr von der Stadt informiert worden, dass das Dach der Eissporthalle vom Schnee freigeschaufelt werden müsse. Daraufhin sei das Jugendtraining des Vereins kurzfristig abgesagt worden. An einen Einsturz habe zu diesem Zeitpunkt niemand gedacht. Es habe sich um eine Vorsichtsmaßnahme angesichts der Schneefälle gehandelt.
Die Stadtverwaltung soll sich allerdings Stunden vor der Katastrophe über die Risiken der Stabilität der Betondecke bewusst gewesen sein. Mitarbeiter der Eislaufhalle hätten die Schneelast am Mittag gemessen, sie habe aber unter dem Grenzwert gelegen, ab dem die Halle hätte gesperrt werden müssen, sagte der Bad Reichenhaller Oberbürgermeister Wolfgang Heitmeier. "Wir lagen noch deutlich unter der Grenze", betonte er. Da es aber weiter geschneit habe, hätten sich die Mitarbeiter vorsorglich trotzdem entschlossen, das Training am Abend abzusagen.
Hubert Berger, der Kapitän der 1. Mannhaft des EAC sagte SPIEGEL ONLINE, er sei um 15.30 Uhr vom Sportamt der Stadt informiert worden, dass ein für 18.15 Uhr geplantes Kindertraining und das darauf folgende Seniorentraining ausfallen müsse. Der Hallenchef habe wegen der zu erwartenden Schneemassen auf dem Dach diese Vorsichtsmaßnahme ergriffen. Unklar ist allerdings, warum die Halle zu diesem Zeitpunkt nicht sofort für alle Besucher gesperrt und geräumt wurde.
Der Bayerische Rundfunk berichtet, der Hallenwart habe wenige Sekunden vor dem Einsturz die letzten Besucher vom Eis geschickt. Der Einsturz habe sich durch lautes Krachen und Knarzen im Dach angekündigt. Wenige Sekunden später sei das Dach auf der gesamten Fläche der Eisfläche heruntergestürzt.
Mindestens fünf Menschen wurden getötet, darunter ein sieben Jahre altes Mädchen, ein 13-jähriger Junge, eine 35-jährige Frau mit ihrer achtjährigen Tochter und ein zwölfjähriger Junge, der zunächst reanimiert werden konnte, dann aber im Krankenhaus starb. Mindestens zehn weitere Personen befanden sich laut Polizei am späten Abend noch in dem eingestürzten Gebäude. "Es ist wahrscheinlich, dass die Zahl der Toten weiter steigt", sagte ein Polizeisprecher. Den Angaben zufolge wurden rund 30 bis 35 teils schwer Verletzte geborgen. Sechs Stunden nach dem Einsturz der Halle konnte am späten Abend ein sechsjähriges Mädchen lebend aus den Trümmern gerettet werden. Das Kind sei stark unterkühlt, aber bei Bewusstsein, hieß es. Ein Rettungshund habe die Verschüttete entdeckt.
Nach Angaben eines Polizeisprechers waren zum Zeitpunkt des Einsturzes viele Familien mit Kindern in der Halle. Die Rettungsarbeiten sollten den Angaben zufolge die ganze Nacht andauern. Die Einsatzleitung erklärte, es gebe Lufträume im Gebäude und im Schnee, und das Dach sei isoliert, so dass man darauf hoffe, weitere Menschen lebend zu finden.
Rund 700 Rettungskräfte vom Roten Kreuz, Feuerwehr, auch aus dem nahe gelegenen Salzburg, Technischem Hilfswerk, Bundeswehr und Polizei sind am Unglücksort, auch Suchhunde werden eingesetzt. Helfer tragen Verletzte in die Schwimmhalle.
Dort liegen sie sichtbar hinter der Glasfassade, manche mit Infusionsschläuchen versorgt. Das Rote Kreuz hat einige große medizinische Zelte aufgebaut. Feuerwehrleute schaufeln die Trümmer beiseite. Unterdessen steigt ein Hubschrauber auf, um die Einsatzkräfte mit Licht zu versorgen. Am späten Abend gelingt es schließlich, das zunächst noch Einsturz gefährdete Dach zu stabilisieren.
Fassungslosigkeit und Bestürzung
Rettungskräfte versuchen, mit schwerem Gerät zu den Verschütteten vorzudringen. Um sich einen Überblick über die Opfer zu verschaffen, müssen abgestürzte Teile mit schweren Kränen angehoben werden, erklärt Polizeisprecher Fritz Braun. Die Polizei sperrt unterdessen auf der Autobahn 8 zwischen Übersee und Bad Reichenhall in Richtung Salzburg die linken Fahrstreifen für den Einsatz der Rettungskräfte. Zudem werden Bereitschaftspolizeikräfte aus ganz Bayern nach Bad Reichenhall geschickt.
Schockiert reagiert Beate Kammel, ebenfalls EAC-Vorstandsmitglied: "Ich bin gegen halb vier noch daran vorbei gefahren, das war noch nichts." Dann habe ihr 13-jähriger Sohn - der an dem Training teilnehmen sollte - ihr gesagt, die Übungsstunde sei abgesagt worden. "Jetzt ruft unsere Verwandtschaft an", die sich Sorgen gemacht habe, berichtet Kammel.
Schon kurz nach dem Einsturz äußern sich im Gästebuch des Eishockey-Athletik-Clubs betroffene Bürger: "Leute, betet, dass es nicht so schlimm ist, wie es sich anhört", schrieb ein EAC-Fan unter dem Namen "Antenne". Ein anderer mit dem Namen "Grage" fragt besorgt: "Weiß irgendwer was, wer drin war?" Unter den Leuten aus Bad Reichenhall, die fassungslos vor der eingestürzten Halle stehen, macht schnell die Runde, die Halle sei bekanntermaßen seit langem dringend renovierungsbedürftig gewesen.
Vermutet wird bereits, dass die Last der großen Nass-Schnee-Mengen zum Dacheinsturz geführt haben könnte. Die Halle wurde in den siebziger Jahren gebaut und wird von der Stadtverwaltung Bad Reichenhall betrieben. Laut "B5 aktuell", dem Nachrichtenkanal des Bayerischen Rundfunks, wurde bereits seit längerem darüber diskutiert, ob das Gebäude renoviert oder abgerissen werden sollte. Der Oberbürgermeister von Bad Reichenhall sagte zu den Gerüchten um eine Sanierung oder einen Abriss der Halle, er könne nicht bestätigen, dass das Dach nicht in Ordnung gewesen sei.
Den Angaben zufolge sind Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei vor Ort und haben Ermittlungen aufgenommen.
Stoiber schickt Innenstaatssekretär
Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber zeigte sich in einer ersten Reaktion betroffen über das Unglück. "Ich bin tief erschüttert über das schwere Unglück, das sich heute in der Eissporthalle in Bad Reichenhall ereignet hat", sagte der CSU-Vorsitzende in München. "Wir alle sind in Sorge und in Gedanken mit den Opfern dieses schweren Unglücks. Unsere Hoffnung ruht jetzt auf den Rettungskräften vor Ort, die ihr Möglichstes tun."
Stoiber teilte mit, dass er Innenstaatssekretär Georg Schmid beauftragt habe, sich vor Ort über das Unglück zu informieren und die Hilfsmaßnahmen aus Bayern zu koordinieren. Der CSU-Vorsitzende informierte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel über den Einsturz der Halle. Die Bundeskanzlerin habe sofort auch die Hilfe des Bundes angeboten, heißt es in Stoibers Erklärung.
Mindestens zwei Tote nach Lawinenabgang
Bei einem Lawinenabgang bei Unterjettenberg im Landkreis Berchtesgaden wurden zuvor drei Menschen verschüttet. Stunden nach dem Unglück wurden zwei der Verschütteten, ein Mann und eine Frau, tot geborgen. Ein weiterer Mann wird noch immer vermisst. Ihm werden kaum Überlebenschancen eingeräumt. Die Suche nach ihm musste am Abend abgebrochen werden, weil sie für die Rettungskräfte wegen der akuten Lawinengefahr zu riskant war. Die übrigen Mitglieder der insgesamt zehnköpfigen Gruppe waren entgegen ersten Angaben nicht nicht von der Lawine erfasst worden. Sie konnten von Hilfskräften ins Tal gebracht werden.
Als es zu dem Unglück kam, befand sich die Gruppe auf einer Schneeschuhwanderung am 1607 Meter hohen Schrecksattel bei der Reiteralm, wie das Bayerische Rote Kreuz in Bad Reichenhall mitteilte. Das Gelände ist sehr unwegsam und vom Tal aus nur nach einem langen Aufstieg zu erreichen. Gegen 14 Uhr ging bei der Rettungsleitstelle der telefonische Notruf ein.
Ein Großaufgebot von Rettungskräften war im Einsatz, darunter eine Suchhundestaffel, mehrere Verbände der Bergwacht und die alpine Einsatzgruppe der Polizei. Ein Polizeisprecher sagte, die rund drei Dutzend Bergspezialisten versuchten, sich zu dem Unglücksort durchzuschlagen. Behindert wurde der Einsatz durch starke Schneefälle. Deswegen konnten auch keine Hubschrauber eingesetzt werden.
Kerstin Joenssen (AP), Ulrich Meyer (ddp)