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»Balsam auf die wunde Seele des Volkes«

SPIEGEL-Redakteur Henry Glass über die Hochzeit im englischen Königshaus *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Vergangenen Mittwoch war es, in seiner Londoner Lieblings-Disco »Trumps«, da scharte sich zum letzten Mal der Kreis nymphenhafter Wesen um ihn, deren mehr oder weniger intimer Bekanntschaft er den Beinamen Randy Andy verdankt. Als sich die Runde nach gehörigem Genuß von Champagner, Wein und vor allem Cognac auflöste, blieb ein deprimierter Brandy Andy zurück, in dessen Augen jener trübsinnige Blick trat, wie man ihn bei abgekochten Kalbsköpfen beobachten kann: »Gosh«, seufzte er, »it''s all over.«

Vorüber sind die Zeiten, da Prince Andrew dem hormonellen Walten in seinem Athletenkörper freien Lauf lassen konnte und sich - wie etwa damals im Frühjahr 1983 auf Barbados - mit drei Schönen gleichzeitig nackt im Wasser vergnügte. Vorbei auch ist es mit den verschwiegenen Soupers a deux im Buckingham Palace mit all den Koos (Porno), den Ruths und Katies (Models), den Finolas (Ballett) und Martells (Brandy).

Zwar versuchte die britische Union der geschiedenen und unterhaltspflichtigen Männer Andrew gleichsam in letzter Minute von seinem Vorhaben abzubringen. Die Ehe, warnte dieser Leidensverband der Geprüften, Gehörnten und Geschröpften, sei ein nicht unbedingt erstrebenswertes Ziel: »Die Ausgaben verdoppeln sich, und das Pfund ist nur noch 50 Pence wert.«

Doch zu spät. Am Mittwoch, dem 23. Juli, kurz nach ein Uhr, spricht Prince Andrew seiner Braut Sarah Ferguson gegenüber selbstschuldnerisch jene Absichtserklärung aus, welche die Iren (die, man wird es am Schluß noch sehen, auch bei dieser Partie dabei sind) »the hard word« nennen, das schwere Wort: »Ja, ich will.«

Etwa 45 Minuten später wird, so alles nach Plan verläuft und der zum improvisierten Predigen neigende Erzbischof Runcie sein Füllhorn schöner Worte rechtzeitig schließt, die 26jährige Verlagsangestellte an der Seite des ihr Angetrauten das unter den Schmetterklängen des »Thriumphal March« erzitternde Kirchenschiff der Westminster Abbey als Princess Andrew verlassen - gewandet in ein rüschenreiches Brautkleid und aufgeschirrt mit Diadem und Perlenkette aus der Schmuckschatulle ihrer Schwiegermutter.

Mehr als 500 Millionen Zuschauer in fast 50 Ländern werden die »Hochzeit des Jahres« live im Fernsehen miterleben, zwölf Stunden lang wird die BBC Bilder von der Hochzeit und Berichte über das Paar in die internationalen TV-Kanäle einspeisen. Die drei großen US-Fernsehstationen präsentieren den Amerikanern »Royal Wedding Specials«, die europäischen Anstalten übertragen die Feierlichkeiten stundenlang - so auch das ZDF, das mindestens 180 Minuten lang mit (wie bittere Erfahrung zu fürchten gelehrt hat) drögen Begleitkommentaren seiner Informationspflicht Genüge tun will.

Zu sehen bekommt das Fernsehvolk - neben dem üblichen Schock wild gestikulierender Peers im Greisenalter, die nach einem langen Leben der Jagd auf Fasane und schottische Moorhühner so taub sind wie ein Türpfosten - Vertreter aller Königshäuser Europas sowie eine »Abgesandte des amerikanischen Volkes« in Gestalt von Nancy Reagan, die erfahrungsgemäß mit der ihr eigenen Penetranz immer wieder ins Blickfeld der Kameras zoomen wird. »Die Mumie«, wie sie von der Royal Family wegen ihrer Hartfaserfrisur und ihres Greiferlächelns genannt wird, hatte sich - mit dem deutlichen Hinweis auf ihre touristische Schlepperfunktion hinsichtlich der von Terroristenfurcht gebeutelten Amerikaner - quasi selbst eingeladen.

Angesichts der Szenen von einer enthusiastisch jubelnden, nach Hunderttausenden zählenden Menschenmenge an den Straßen und vor dem Buckingham Palace wird der Rest der Welt draußen an den Bildschirmen wieder einmal darüber staunen, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Briten in einen Zustand der Euphorie begeben, sobald sie ihrer Royal Family ansichtig werden - und dies in einem von Klassengegensätzen zerrissenen Land, das einerseits von einer Premierministerin Margaret Thatcher mit der Engstirnigkeit einer viktorianischen Gouvernante in

den Frühkapitalismus zurückgeführt wird; und in dem andererseits die Gesinnungströpfe der Linken die von ihnen regierten Städte und Gemeinden mit sämtlichen Spielarten des Sozialismus zu beglücken versuchen. »Die Royal Family ist Balsam auf die wunde Seele unseres Volkes«, konstatierte die »Times« in einem seltenen Anflug von Poesie.

Die Hochzeit von Andrew und »Fergie«, wie die Briten das neue Königskind liebevoll nennen, dokumentiert wieder einmal aufs Eindrücklichste, mit welchem Geschick die Windsors das Staatsschauspiel der Monarchie inszenieren - eine Mischung aus Royal Shakespeare Company und Royal Road Show, in der sie ihrem Volk vor eindrucksvollen Schloßkulissen und mit viel Pomp und Tschingderassabum die guten alten Zeiten vergangener Größe vorspielen.

Durch die eheliche Vereinnahmung der pummeligen Landpomeranze mit dem widerspenstigen Rothaar besetzten die Windsors in ihrem Ensemble eine bislang offene Rolle - die des Kindes aus dem Volke, den Gegenpart zur Queen.

Sie, die Prinzipalin des ganzen Theaters, beflügelt wie keine zweite die in allen Schichten verbreiteten post-imperialen Phantasien der Briten und wirkt so als klassenverbindende Integrationsfigur ("Wir sind und waren eine große Nation"); Prince Philip hingegen ist der Realist der dem Volk immer wieder aufs Maul haut ("Wir sind zu faul und müssen die Ärmel hochkrempeln"); Prince Charles wandelt sich mehr und mehr zum fortschrittlichen Denker, der etwa das Minus-Wachstum des Waldes nicht als groteske Verirrung der Natur hinnehmen will ("Großtechnologie bringt große Probleme mit sich"); Princess Diana, die wohl vielseitigste Darstellerin der royalen Wanderbühne, ist zum einen das glamouröse Nummerngirl des ganzen Unternehmens, zum anderen die naive Schöne und zugleich die verantwortungsbewußte Mutter und liebende Frau ("Meine Familie ist mir alles"). Und dann gibt es im weiteren und engeren Familienkreis noch eine ganze Reihe von Knallchargen wie etwa Princess Anne, deren zweiter Wohnsitz der Fettnapf ist, oder Prince Edward, der so langweilig wirkt, daß nicht einmal seine Weibergeschichten Aufsehen zu erregen vermögen.

Auftritt Sarah Ferguson, (vorerst noch) gewandet in großkarierte oder quergestreifte Kleider von unvorteilhaftem Schnitt und behaftet mit dem fersenstampfenden Watschelgang der Übergewichtigen; grobzügiges Antlitz, das bei ausgeprägter Mimik entfernt an eine Kartoffel erinnert - eines jener Gesichter also, das Wohlmeinende in ihrer Not apart zu nennen pflegen; lautes, häufiges, breites Lachen; gute Zähne.

Sie wurde dem Major Ronald Ferguson (und natürlich, was aber in dieser Schicht weniger zählt, der Mrs. Ronald Ferguson) als zweitälteste Tochter geboren - ein Bürgerkind also, das freilich einer Klasse entstammt, die man in England »Landed Gentry« nennt. Familien wie die Fergusons, meist Besitzer weitläufiger Güter, bilden den Unterbau der englischen Oberschicht: Da riecht es nicht nach Kuhstall oder Schweinegülle, sondern nach Sattelwichse, altem Port und altem Geld.

Mit 16 Jahren kam Sarah, versehen mit der für die weiblichen Mitglieder dieser Klasse üblichen Ausbildung (mittlere Reife, Sekretärinnen- und Kochkurs), nach London; dort tippte sie zuerst im Büro einer Maklerfirma, anschließend verdingte sie sich in die Dienste

der Messrs, Burton, Card und Kapplum, deren Firma sich mit der Herstellung von Auktionskatalogen befaßt.

Dann begann Fergie mit der Suche nach einem Mann zum Heiraten. Der erste, den das Kind vom Lande in Aussicht nahm, war der Eaton-Zögling Kim Smith-Bingham - doch der reiche Sportveranstalter wollte sich partout nicht ins Joch der Ehe beugen. Auch sein Nachfolger, der Formel-1-Manager Paddy McNally, entpuppte sich als Vertreter der (durchaus diskutablen) Ansicht, daß es sich bei der Ehe um das Zweitschlimmste handelt, was dem Mann seit dem Sündenfall zugestoßen ist: Als der um 22 Jahre ältere McNally im Frühjahr 1985, nach dreijähriger Verbindung, um weitere zwölf Monate Bedenkzeit bat, machte Fergie wutentbrannt Schluß.

Doch schon im Sommer landete die Ferguson den großen coup de foudre, als ihr die Jugendfreundin Diana bei der Rennwoche von Ascot Zugang zur »Royal Enclosure«, dem königlichen Logengeviert, verschaffte. Andrew hatte gerade Kummer wegen einer Hupfdohle vom Ballett, die Sonne schien, der Champagner floß, da bohrte sich der Stachel der Liebe in des Prinzen Herz.

Sie sei so ganz anders als die anderen, so erfrischend respektlos und gar nicht aufs Maul gefallen, vor allem habe sie ein großes Herz und Nerven für zwei - die braucht sie auch, denn ihr Andrew hat offenbar keine: Der Hubschrauberpilot im Rang eines Oberleutnants der Royal Navy ist der Action-Mann der Königsfamilie. So sprang er unlängst aus 50 Metern Höhe von einer Klippe in die frühjahrskalte Nordsee.

Kaum war, im März dieses Jahres, das Verlöbnis bekanntgegeben, nahmen die Ereignisse ihren bei solchen Anlässen in Großbritannien üblichen Lauf: Andenkenhersteller stellten den Briten die Wohnung mit Krimskrams voll. Boulevardzeitungen begannen - mit Farbseiten, Ausziehseiten, Sonderseiten - ihren Countdown für die Hochzeit. Der Poet Laureate _(Der Ehrentitel wird seit dem 17. ) _(Jahrhundert von britischen Monarchen ) _(jeweils einem Dichter verlie hen. )

drohte an, eine Ode auf die Hochzeit zu verfassen (sein musikalisches Pendant, der Master of the Queen''s Music, bekam wegen der aufdringlichen Modernität seiner Kompositionen von vornherein Aufführungsverbot). Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett bat um Erlaubnis, die Braut zwecks Nachbildung vermessen zu dürfen - Gracious Lord, wie taktlos.

Denn Fergie, die mit einer Lebensfülle von 68 Kilo deutlich zur Korpulenz neigt und von Freunden aus gegebenem Anlaß »old thunderthigh« (alter Donnerschenkel) genannt wird, wollte bis zum Hochzeitstag gute zehn Kilo abhungern - doch die Marshmallows, Toffees und all das andere Naschwerk das sie so liebt, waren stärker. »Welch ein königlicher Po (109 cm!) staunte »Bild«. Die Londoner »Daily Mail« hingegen stellte, ihrer patriotischen Pflicht genügend, den Mors des Mädchens gleichsam unter Denkmalschutz: Fergie habe den »guten alten birnenförmigen Hintern, wie er für die Britin typisch ist«.

Doch mehr als ihre körperliche Beschaffenheit beschäftigten das Britenvolk und seine Presse drei wesentlich gravierendere Mängel der Braut: Sie ist keine virgo intacta, sie ist ein Kind aus skandalumwitterter Familie, und sie ist nicht von Stand.

Die Frage der Jungfräulichkeit warf der (knochenkonservative) Adelskalender »Burke''s Peerage« auf, der sich darüber entrüstete, daß Sarahs »Privatleben, gemessen an den Traditionen der Royal Family, nicht nur unorthodox, sondern auch in der nationalen Presse wohldokumentiert« sei. Prompt eilten Hofbeamte zu Fergies zwei Verflossenen und fragten an, ob die beiden gedächten Intimes aus der mit Sarah verbrachten Zeit auszuplaudern - die Herren versprachen zu schweigen.

So konnte der »Observer« den Fall zur Zufriedenheit aller schließen, indem er - unter Mißachtung gynäkologischer Tatbestände - kurzerhand verfügte: Ein Mädchen, das in den achtziger Jahren bis zum Alter von 26 nur zwei Freunde gehabt hat, ist Jungfrau.

Etwas mehr Wind verursachte die familiäre Verstrickung der Fergusons mit dem Erzfeind Argentinien, der im vorliegenden Fall in der Person eines gewissen Senor Hector Barrantes Gestalt annahm. Mit ihm, einem Polo-Profi der Weltklasse, war Sarahs Mutter 1973 durchgegangen. Die beiden heirateten, und auch der Major verehelichte sich anderweitig - womit die Angelegenheit ihr Bewenden gehabt hätte, wäre Hector Barrantes während des Falklandkrieges nicht auf die Idee verfallen, sich zum Dienst fürs argentinische Vaterland zu melden.

Wieder mußten die Hofdiplomaten ausschwärmen, diesmal zu den Preßbengels vom Boulevard, die damals den Waffengang um die Felsansammlung nahe der Antarktis mit lautem Kriegsgebrüll begleitet hatten. Fergies Mutter, so beschworen die Höflinge die Journalisten, werde unter Hintanlassung ihres Polo-Gauchos zur Hochzeit reisen; auch der einer Fraternisierung mit dem Feind gewißlich unverdächtige Major sei mit dem Arrangement einverstanden - und überhaupt, wollten sie dem Glück des Königssohnes im Wege stehen? »Wir Briten sind zu zivilisiert«, kommentierte daraufhin der »Daily Express«, mit selbstzufriedener Toleranz, »um Sippenhaft zu üben.«

Irritiert zeigte sich - Problem Nummer drei - die Presse auch darüber, daß die Frau von Prince Andrew bürgerlicher Abkunft ist. Prompt schickte der Hof zwei Ahnenforscher ans Werk, die auftragsgemäß

feststellten, was nach den Gesetzen der Bewölkerungsmathematik wahrscheinlich ist: Die beiden sind, 350 Jahre ist das nun schon her, über eine Mätresse von Charles II, miteinander verwandt und mithin Cousins sechsten Grades. Nach dieser Betrachtungsweise freilich sind sie auch mit zweieinhalb Millionen Amerikanern verwandt.

Schamhaft verschwiegen die Genealogen hingegen eine direkte Ahnenlinie der Braut, die sich auch in ihrem flammroten Haar und den unregelmäßigen Gesichtszügen dokumentiert: In ihren Adern fließt irisches Blut, und das nicht zu knapp. Denn 1736 heiratete der Doktor James Ferguson, ein Mitglied des irischen Parlaments aus Londonderry, die aus demselben Ort gebürtige Leinenfabrikbesitzerstochter Sarah Clark, welchselbe innerhalb standesgemäßer Frist eines Kindes genas. Später verzogen James und Sarah Ferguson mit unbekannter Adresse nach England.

Daß die Ahnenforscher den nach Irland reichenden Wurzelstrang von Fergies Stammbaum nicht weiter erwähnten, ist verständlich. Denn noch immer gilt das rauf- und sauflustige Inselvölkchen, das den Briten mehr Widerstand entgegensetzte als jede andere Kolonie, bei vielen Mitgliedern der englischen Oberschicht als eine Ansammlung von »gälisch sprechenden Wilden«.

In diesem Sinne sei dem Paar ein herzliches »le gach deagh-ghuidhe« zugerufen - die gälische Kehllaut-Ansammlung für »Alles Gute«.

Der Ehrentitel wird seit dem 17. Jahrhundert von britischenMonarchen jeweils einem Dichter verlie hen.

Henry Glass

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