Coronapolitik »Bei den Menschen entschuldigen«

Enders
Foto: Franz DilgerSPIEGEL: Sie haben vergangene Woche als Abgeordnete der Regierungsfraktionen einem Antrag der bayerischen Opposition zugestimmt, die Coronapolitik aufzuarbeiten. Warum?
Susann Enders: Ich verstehe das als Ausdruck meiner politischen Geradlinigkeit. Ich habe schon während der Pandemie mehrfach gesagt, dass ich einen Teil der Coronamaßnahmen nicht in Ordnung fand. Und ich bin weiterhin der Ansicht, dass sich Regierung und Opposition für unverhältnismäßige Einschränkungen bei den Menschen in Bayern entschuldigen sollten.

Die Verzwergung der Grünen
Nach dem Koalitionsausschuss stehen die Grünen als Verlierer in der Ampel da. SPD und FDP wollen keinen Klimaschutz, der die Bürger überfordert. Die Grünen sind frustriert und verärgert. Womit soll die Partei bei der nächsten Wahl noch punkten? Und was bedeuten die Beschlüsse für das Land?
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SPIEGEL: Die Freien Wähler haben die Maßnahmen doch mitgetragen. Was bringt es, jetzt nachzukarten?
Enders: Die Freien Wähler haben sich in mehreren Punkten von der Politik der CSU abgegrenzt, ich erinnere nur an die Wortprägung unserer FW-Landtagsfraktion vom Team Zuversicht in Antwort auf Söders Team Vorsicht. Es gab immer wieder verschiedene Meinungen in der Regierung, wie auch in der Bevölkerung, und wir mussten in der Krise Kompromisse finden.
SPIEGEL: Was wollen Sie konkret aufarbeiten?
Enders: Wir sind doch heute drei Jahre weiter und drei Jahre schlauer, das sollte helfen, getroffene Entscheidungen selbstkritisch zu hinterfragen. Wer behauptet, es seien während Corona keine Fehler gemacht worden, der lügt. Zum Beispiel die Orientierung an der Inzidenz: Wie konnte man nur anhand eines einzelnen theoretischen Wertes ein Land zusperren? Ebenso habe ich kritisiert, dass wir den Fokus ausschließlich auf die vulnerablen Alten gelegt haben. Natürlich musste man diese Gruppe schützen. Wir hätten aber viel mehr die Kinder und Jugendlichen in den Blick nehmen müssen. Sie aus ihrem gewohnten Umfeld herauszunehmen hat große psychische Schäden verursacht.
SPIEGEL: Solche Sätze sind im Rückblick auch vom Team Vorsicht zu hören. Aber was bringt das jetzt noch?
Enders: Vor meiner Wahl 2018 in den Landtag habe ich 25 Jahre als OP-Schwester gearbeitet. Wenn dort irgendwo der Verdacht aufkam, etwas sei nicht ideal gelaufen, dann war es für das Team die erste Pflicht zurückzuschauen. Man kann immer aus den Erfolgen und auch aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft lernen. Selbst ein Politiker muss das begreifen.
SPIEGEL: In Bayern wird diskutiert, während der Ausgangsbeschränkungen verhängte Bußgelder zurückzuzahlen. Was sollte der Staat tun?
Enders: Es gibt ja ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, welches das seinerzeitige Verbot, die Wohnung ohne triftigen Grund zu verlassen, für nicht verhältnismäßig erklärt. Der zugrundliegende Fall bezieht sich auf das Frühjahr 2020. Die Politik, auch die CSU, sollte sich aber dazu durchringen, alle unverhältnismäßig verhängten Bußgelder zurückzuzahlen, ohne dass jeder einzelne Betroffene für seinen Zeitraum klagen müsste.
SPIEGEL: Woher kommt der Eindruck, dass die Freien Wähler nur Erfüllungsgehilfen der CSU sind?
Enders: Das wird uns immer unterstellt. Aber wir nehmen keine Konzernspenden, und die Pandemie hat gezeigt, dass unsere Politiker und Mandatsträger stärker im echten Leben verankert sind als bei der CSU. Dort geht es häufig aus dem Kreißsaal über den Hörsaal direkt in den Plenarsaal. Das gibt es bei uns selten. Juristen und Politikwissenschaftler sind wichtig. Aber es braucht auch Krankenschwestern, Handwerker oder Landwirte in den Parlamenten.