Coronakrise Maskenaffäre spaltet Landesregierung in Baden-Württemberg

CDU-Politikerin Susanne Eisenmann: »Wie Sie wissen, reißt die Kritik an der Qualität dieser Schutzmasken nicht ab«
Foto: Sebastian Gollnow / dpaIn der baden-württembergischen Landesregierung gibt es heftigen Streit über Corona-Schutzmasken, die in den vergangenen Wochen an Lehrerinnen und Lehrer verteilt wurden – und die offenbar nicht die versprochene Qualität haben. Das geht aus einem Brief hervor, den die Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Dienstag an den Gesundheits- und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) geschrieben hat. Das Schreiben liegt dem SPIEGEL vor. In dem Brief wirft Eisenmann ihrem Kabinettskollegen im Zusammenhang mit der Maskenaffäre Tatenlosigkeit und mangelnden Aufklärungswillen vor.
Vor Weihnachten verteilte das Kultusministerium mehr als acht Millionen Schutzmasken an rund 2700 weiterführende und berufliche Schulen, damit sich die Lehrkräfte vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen können. Die Ware kam aus dem Bestand des Sozialministeriums. Es handelte sich größtenteils um Masken mit der Schutzklassenbezeichnung KN95, viele stammen von einem chinesischen Hersteller namens Ryzur.
An den Schulen kamen schnell Zweifel an der Qualität und der Schutzwirkung der Masken auf. Ein Lehrer deckte zusammen mit dem SPIEGEL auf, dass auf manche Maskenverpackungen ein offenbar gefälschtes Logo der Stuttgarter Produktprüfgesellschaft Dekra gedruckt worden war. Die Dekra bewertete die Verwendung ihres Logos als »Schwindel« und bezeichnete die vom Land verteilten Masken als »nicht verkehrsfähig«.
Die Maskenaffäre kommt für die Ministerin zur Unzeit
In ihrem Brief schreibt Eisenmann an Lucha: »Wie Sie wissen, reißt die Kritik an der Qualität dieser Schutzmasken, die uns von Schulen und Verbänden erreicht, nach wie vor nicht ab.« Bereits im Dezember sei vereinbart worden, dass Sozial- und Umweltministerium zur Schutzwirkung der Masken »schnell und umfassend Stellung nehmen« sollten. »Dies ist bislang nicht gelungen«, schreibt Eisenmann.
Es sei dem Sozialministerium auch nicht gelungen, die im Raum stehenden Vorbehalte umfassend auszuräumen, heißt es weiter. Stattdessen habe die Verunsicherung an den Schulen über die Weihnachtsferien »nach meiner Wahrnehmung weiter zugenommen«, schreibt Eisenmann. Die Maskenaffäre kommt für sie zur Unzeit, Eisenmann ist CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im März.
Die Kultusministerin hat sich zuletzt in der Debatte über den Shutdown für eine schnelle Rückkehr zum Präsenzunterricht starkgemacht. Nun muss sich Eisenmann den Vorwurf gefallen lassen, Lehrkräfte so bald wie möglich in die Klassenzimmer zurückschicken zu wollen – ohne sie ausreichend vor Infektionen zu schützen, weil die verteilten Masken nicht die versprochene Schutzwirkung haben könnten.
Zudem gerät die Landesregierung unter Druck, weil der Philologenverband Baden-Württemberg zwei der verteilten Masken von einem Unternehmen testen ließ. Der Verband beauftragte damit eine Firma aus Heidelberg, die selbst FFP2-Masken produziert.
Das Ergebnis: »Die Filterwirkung im einschlägigen Natriumchlorid-Aerosol-Test beträgt nur 85 Prozent und verfehlt damit deutlich die europäischen Anforderungen an FFP2-Masken (94 Prozent) und auch an die chinesischen KN95-Masken (95 Prozent)«, teilt der Verband mit. Bei den von der Landesregierung verteilten Masken sei das Ansteckungsrisiko deutlich höher als bei einer regulären FFP2-Maske.
Auch die Dekra empfiehlt einen Rückruf
»Wir raten den Lehrkräften: Wenn ihr euch wirklich schützen wollt, dann kauft lieber selbst FFP2-Masken, statt die von der Landesregierung gelieferten Masken zu benutzen«, sagt Ralf Scholl, Vorsitzender des Philologenverbands, dem SPIEGEL. Der Verband erwarte von der Regierung, dass sie die verteilte Ware so schnell wie möglich zurückrufe und durch vollwertige FFP2-Masken ersetze.
Das Ergebnis des vom Philologenverband in Auftrag gegebenen Tests sei »durchaus ernst zu nehmen«, sagt Jörg-Timm Kilisch, Geschäftsführer der Prüfgesellschaft Dekra, die seit knapp 30 Jahren persönliche Schutzausrüstung testet und zertifiziert. Der SPIEGEL legte Kilisch Fotos der beim Test aufgezeichneten Messwerte vor. Es gebe »keinen Grund, das Testergebnis anzuzweifeln«, sagt Kilisch. Auch die Dekra empfiehlt der Landesregierung, die verteilten Masken zurückzurufen.
Auf Anfrage äußert sich das Sozialministerium nicht zu einem möglichen Rückruf der Masken. Man teilt lediglich mit, dass Masken des Typs KN95 »in Bezug auf den Schutz gegen Sars-CoV-2 vergleichbar mit einer FFP2-Filterschutzmaske« seien. Das Testergebnis des Philologenverbands möchte man nicht bewerten. Der entsprechende Prüfbericht sei dem Sozialministerium nicht vorgelegt worden, teilt eine Sprecherin mit. Eine Aussage zur Stichhaltigkeit der Ergebnisse sei daher »nicht möglich«.
Das Sozialministerium verweist im Zusammenhang mit den Ryzur-Masken auf einen Dekra-Prüfbericht vom April 2020. Tatsächlich hat die Prüfgesellschaft damals Masken des chinesischen Herstellers getestet. Allerdings wurden wohl manche der vom Land verteilten Masken erst im Sommer 2020 produziert, weswegen die Dekra eine Testung dieser Ware ausschließt.
In ihrem Brief an Lucha fordert Eisenmann zwar keinen Rückruf der Masken, dafür aber eine Neuverteilung: »Ich halte es für dringend geboten«, schreibt sie, »dass Ihr Ministerium unseren Lehrerinnen und Lehrern an den weiterführenden und den beruflichen Schulen zeitnah vollwertige FFP2-Masken mit CE-Kennung zur Verfügung stellt.«