Stark-Watzingers »Bildungsgipfel« Erst Kammerspiel, dann Trauerspiel

Bettina Stark-Watzinger wollte zentrale Probleme der Bildungspolitik auf großer Bühne lösen. Doch die Kultusminister der Länder ließen die Bundesministerin auflaufen – und machten damit alles nur noch schlimmer.
Eine Rezension von Miriam Olbrisch
Bundesministerin Stark-Watzinger (FDP) bei der Pressekonferenz am Rande des Bildungsgipfels: Im Grußwort ganz groß

Bundesministerin Stark-Watzinger (FDP) bei der Pressekonferenz am Rande des Bildungsgipfels: Im Grußwort ganz groß

Foto:

Christophe Gateau / dpa

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Prolog:

Die Bildungsrepublik Deutschland steckt in der Krise. Die Leistungen der Viertklässlerinnen und Viertklässler lassen seit Jahren nach. Einige Schulgebäude sind so heruntergewirtschaftet, dass dort kein Unterricht mehr stattfinden kann. Außerdem fehlen so viele Lehrkräfte, dass manche Schulen nur noch an vier Tagen pro Woche Unterricht in Präsenz anbieten können.

Setting:

Die Bundesbildungsministerin hatte zu einem »Bildungsgipfel« geladen – die Namensgleichheit zum Bildungsgipfel der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 war sicher nicht zufällig gewählt. Zumindest an klangvoller Werbung im Vorfeld hatte es nicht gemangelt: Eine »neue Form und Kultur der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten« sollte auf dem Gipfel geschmiedet werden, hatte Stark-Watzinger zwei Tage zuvor in einem Interview verkündet. Sie wolle ein »Team Bildung« aufstellen – als hätte sich bis dahin niemand um das Thema gekümmert. Das Wortgeklingel erinnert etwas an Maklersprech, die irgendwelche gesichtslosen Einheitsklötze stets als »Promenaden-Palais« oder »Schloss-Höfe am Spreeufer« anpreisen.

Das alles, so die Idee von Stark-Watzingers Ministerium, sollte am besten auf offener Bühne passieren. Sie wissen schon: Transparenz! Beteiligung! Austausch! Was schätzen Sie, wie viel Zeit angesetzt war, um die »Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen, Wissenschaft und Gesellschaft neu zu denken«? Drei Stunden. Der Rahmen: Zwei Podiumsdiskussionen, ein Grußwort der Ministerin und das Referat eines Bildungsforschers vorneweg. Quasi »Anne Will« mit Grußwort des ARD-Vorsitzenden.

Besetzung:

Blöd nur, wenn die, denen die Bühne bereitet werden sollte, nicht kommen. Nur zwei der 16 Kultusministerinnen und -minister waren zum Bildungsgipfel erschienen: Ties Rabe, SPD-Schulsenator aus Hamburg, und Astrid-Sabine Busse, Rabes Parteikollegin aus Berlin und aktuelle Präsidentin der Kultusministerkonferenz – zumindest bis die finale Koalitionszusammensetzung in der Hauptstadt ausgehandelt ist.

Die anderen Ländervertreterinnen und -vertreter glänzten durch Abwesenheit, die sie aus der Ferne mit giftigen Kommentaren garniert hatten: Der eigentliche Bildungsgipfel, hatte etwa Hessens CDU-Kultusminister Lorz verlauten lassen, finde nämlich zwei Tage später statt: Die 381. Sitzung der Kultusministerkonferenz. Er geht also lieber zu seiner eigenen Party.

Der »Bildungsgipfel« richtete sich übrigens explizit auch an »Akteure der Zivilgesellschaft«. Reden durften die aber nicht mit der Ministerin: Gewerkschafter, Elternvertreter und die Vorsitzende der Bundesschülerkonferenz wurden in eine zweite Runde ausgelagert. Statt mit Stark-Watzinger konferierten sie mit Staatssekretär Jens Brandenburg.

Handlung:

Rabe und Stark-Watzinger waren es dann auch, die das Bühnengeschehen maßgeblich prägten, indem sie die Probleme des Bildungssystems (Der Lehrkräftemangel! Die fehlenden Daten! Das Wirrwarr an Zuständigkeiten im Bildungsföderalismus!) noch einmal in alarmierenden Worten beschrieben – nicht ohne zu erwähnen, was sie selbst schon alles auf den Weg gebracht hätten, um das Dilemma zu verkleinern.

Beim Thema Geld schließlich zog plötzlich ein Hauch ARD-Vorabendserie über die Bühne, der Harz als Kulisse: Als Schulsenator Rabe beklagte, die Länder könnten sich nicht einigen, wie das Geld aus dem Startchancen-Programm des Bundes verteilt werde, das erst 2024 starten soll: Nach dem Königsteiner Schlüssel oder doch lieber anhand eines anderen Systems, das die Bedürftigkeit der Schülerinnen und Schüler eines Landes berücksichtigt.

»Die Länder allein ohne den Impuls des Bundes werden das Verteilungsproblem nicht lösen«, sagte Rabe in Richtung Stark-Watzinger – und verglich die Streitigkeiten der Länder mit der Urlaubsplanung in seiner eigenen Familie: Wenn die Kinder sich nicht entscheiden könnten, ob man nach Mallorca oder nach Italien fahre, müssten die Eltern ein Machtwort sprechen: »Entweder, ihr einigt euch, oder wir fahren in den Harz.« Besser hätte man das kleinliche Kompetenzgerangel in der Kultusministerkonferenz wohl nicht zusammenfassen können: Indem er den Bund anfleht, ein Machtwort zu sprechen.

Special Guest:

Der Lehrkräftemangel. Tja, wo sind nur all die Lehrkräfte hin, die das deutsche Bildungssystem so dringend braucht? Auf der Bühne in Berlin augenscheinlich nicht – die Diskussionsrunden fanden gänzlich ohne Beteiligung von Personen statt, die hauptberuflich und aktiv Kinder und Jugendliche unterrichten. Mit Heinz-Peter Meidinger (Deutscher Lehrerverband), Meike Finnern (GEW), Astrid-Sabine Busse (SPD, Bildungssenatorin Berlin), Ties Rabe (SPD, Schulsenator Hamburg) und Gerhard Brand (Verband Bildung und Erziehung) saßen zwar einige studierte Pädagoginnen und Pädagogen auf der Bühne – die aber alle schon seit einiger Zeit nicht mehr im Schuldienst sind.

Fazit:

Dass politische Prozesse, zumal von solcher Tragweite, eigentlich in monatelangen, klandestinen Hinterzimmerrunden vorab abgezirkelt und vorbereitet werden müssen und nicht als Kammerspiel an einem Vormittag auf offener Bühne aufgeführt werden, muss die Ministerin eigentlich gewusst haben. Mehr als Absichtserklärungen kann hier niemand ernsthaft erwartet haben.

Dennoch: Durch ihre Absagen hat ein Großteil der Kultusministerinnen und -minister der Bildungspolitik einen Bärendienst erwiesen. Statt Lösungsvorschläge für einen Weg aus der Misere wird in der öffentlichen Wahrnehmung nun vor allem hängen bleiben, wie die Länder den Bund auflaufen ließen.

Epilog:

Eine »Taskforce« aus Bund, Ländern, Kommunen und Wissenschaft soll nun die Arbeit aufnehmen, verkündete Stark-Watzinger bei der abschließenden Pressekonferenz. Alle Akteure aus dem Bildungssystem seien »eingeladen, sich zu beteiligen«. Die Ministerin wird auch garantiert wieder ein Grußwort sprechen!

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