Maßnahmen gegen Personalnot Sachsen will Teilzeit bei Lehrerinnen und Lehrern häufiger verbieten

Mehr als ein Drittel der sächsischen Lehrkräfte arbeitet Teilzeit (Symbolbild)
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Wie Deutschland den Lehrkräftemangel in den Griff bekommt, ist letztlich Ländersache. Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) will den umstrittenen Vorschlag einer Expertenkommission aufgreifen: Lehrerinnen und Lehrer sollen weniger in Teilzeit arbeiten. Künftig soll Teilzeit nur noch genehmigt werden, wenn die Pädagoginnen und Pädagogen einen Rechtsanspruch nachweisen können, beispielsweise wenn sie Kinder betreuen oder einen Pflegefall in der Familien haben.
Deutlich mehr als ein Drittel der Lehrkräfte in Sachsen hat den Angaben zufolge derzeit Teilzeitstellen. Die Quote sei im aktuellen Schuljahr sogar leicht gestiegen. Das Ministerium möchte dies ändern, um Unterrichtsausfälle zu minimieren. Piwarz folgt damit einem Vorschlag der Ständigen wissenschaftlichen Kommission (SWK), die im Auftrag der Kultusministerkonferenz bildungspolitische Empfehlungen erarbeitet.
Das 16-köpfige Gremium hatte Ende Januar einen ganzen Katalog an Maßnahmen vorgelegt, wie die Personalnot an Schulen gelindert werden könne. Ein Punkt war, die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit zu begrenzen. Hier liege »die größte Beschäftigungsreserve«, hieß es. Bundesweit liegt die Teilzeitquote im Lehramt bei 47 Prozent. Rein rechnerisch könne durch eine Aufstockung aller Lehrkräfte, die 2020 in Deutschland in Teilzeit arbeiteten, auf Vollzeit rund 205.000 Vollzeitstellen geschaffen werden.
Damit wäre der Lehrkräftemangel im Prinzip beseitigt. Der Vorstoß hatte allerdings massive Kritik bei Lehrerverbänden ausgelöst. Die Empfehlungen würden »die ohnehin überlasteten Lehrkräfte nur zusätzlich belasten«, mahnte die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Es drohe eine Spirale aus Überlastung durch Lehrkräftemangel und Lehrkräftemangel durch Überlastung, die zu Abwanderung aus dem Beruf führen werde.
Auch der Vorstoß aus Sachsen löste scharfe Kritik aus: »Erst kürzlich wurde in einer Studie gezeigt, dass Lehrkräfte in Sachsen an der Überlastungsgrenze sind«, teilte die GEW mit. Ein Drittel der Vollzeitkräfte arbeite gar während der Unterrichtszeit deutlich mehr als das gesetzliche Höchstmaß von 48 Stunden pro Woche. Auch für Lehrerinnen und Lehrer würden Arbeitsschutzstandards gelten, das Kultusministerium habe eine Fürsorgepflicht.
Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) will es weiterhin bei einem Appell belassen, dass Lehrerinnen und Lehrer freiwillig seltener Teilzeit arbeiten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte vergangenes Jahr einen Vorstoß für eine eingeschränkte Teilzeit von Lehrern gemacht, diesen aber wieder zurückgezogen. Lehrerverbände hatten den Vorstoß scharf kritisiert.
Für eine Verpflichtung müsste man das Beamtengesetz ändern, sagte Schopper. »Das werden wir nicht anfassen und auch nicht hinkriegen«, so die Ministerin. »Man muss auch wissen, an welchem Windrad man dreht, dass dann da auch Wind rauskommt.« Gleichzeitig betonte sie die Privilegien, die Lehrkräfte bei Teilzeit-Regelungen hätten. Es sei »schon komfortabel, sag‹ ich mal persönlich, dass man bis zum 18. Lebensjahr des Kindes da durchaus in der Teilzeit im unterhälftigen Bereich auch sein kann.« Das sei in der Lebensrealität vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht üblich. Der öffentliche Druck werde größer, betonte Schopper, auch in der persönlichen Rechtfertigung im Freundeskreis oder bei Elternabenden.
Trotz des deutlichen Personalmangels an den Schulen entscheiden sich laut Statistischem Landesamt in Baden-Württemberg immer mehr Lehrerinnen und Lehrer für Teilzeit. Im Schuljahr 2021/2022 arbeiteten knapp 56,6 Prozent und somit mehr als die Hälfte der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen nicht voll. Der Anteil der Lehrerinnen und Lehrer in Vollzeit ging demnach um 1,8 Prozent zurück. Landesbeamte haben grundsätzlich Anspruch darauf, in Teilzeit bis zu 50 Prozent zu arbeiten. Ein Antrag auf Teilzeit aus familiären Gründen, etwa weil ein Kind betreut oder ein Angehöriger gepflegt wird, kann nur abgelehnt werden, wenn zwingende dienstliche Gründe dem entgegenstehen. Die Untergrenze bei der Teilzeit liegt bei 25 Prozent.
Neben den Forderungen, wonach Lehrer öfter Vollzeit arbeiten sollten, hatte die SWK auch die Einführung von Arbeitszeitkonten für Lehrer empfohlen. Eine Idee, die Piwarz zur Bekämpfung des Lehrermangels für Sachsen in Erwägung zieht: die Einführung von Arbeitszeitkonten für Lehrer bis zum Alter von 55 Jahren. Eine befristete Erhöhung des Unterrichtskontingents pro Woche könnte demnach für Lehrer finanziell ausgeglichen oder später durch weniger Arbeitszeit »abgebummelt« werden. Ab August ist dazu in Sachsen eine Studie geplant.
Im Behördendeutsch ist bei dem Modell von »Vorgriffsstunden« die Rede. Die SWK verwies in ihrem Gutachten darauf, dass viele Bundesländer schon Ende der 1990er-Jahre Arbeitszeitkonten eingeführt hatten. Für einen befristeten Zeitraum – in NRW beispielsweise bis zu sechs Schuljahre – sei das wöchentliche Unterrichtsdeputat um eine »Vorgriffsstunde« erhöht worden. Diese Stunden konnten später auf das Unterrichtsdeputat angerechnet oder finanziell abgegolten werden.
Einschränkend, hieß es von der SWK allerdings, der anhaltende Lehrkräftemangel werde es in den kommenden 20 Jahren schwer machen, Vorgriffsstunden durch eine spätere Reduktion des Unterrichtsdeputats auszugleichen. Eine finanzielle Abgeltung scheine realistischer.
Piwarz will weder Stechuhren einführen noch Stundentafeln abspecken
Länder wie Sachsen-Anhalt hatten kürzlich bereits gegen erhebliche Widerstände von Lehrerverbänden eine zusätzliche »Vorgriffsstunde« pro Woche eingeführt. Danach sollen alle unbefristet beschäftigten Lehrkräfte ab April für die kommenden fünf Jahre eine Stunde pro Woche mehr unterrichten. Die Stunde kann auf einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben, angespart und ab dem Schuljahr 2033/34 abgebaut werden. Wahlweise können Lehrkräfte sich die zusätzlichen Unterrichtsstunden monatlich auszahlen lassen. Lehrkräfte ab 62 Jahren sind von der Regelung ausgenommen.
Der Philologenverband bezeichnete den Vorstoß im SPIEGEL-Interview als »Zumutung«: »Als ob die Lehrkräfte nicht schon längst wahnsinnig viel leisten würden!« Der Deutsche Lehrerverband hingegen plädiert für Lebensarbeitszeitkonten. Das Prinzip: jetzt mehr arbeiten, dafür früher in Rente gehen.
Sachsen geht davon aus, dass sich die Personalnot an Schulen in dem Bundesland erst in einigen Jahren abschwächen wird. Nach einer am Freitag vom Kultusministerium vorgelegten Prognose werden die Schülerzahlen bis zum Schuljahr 2029/30 auf gut 450.000 steigen und dann allmählich abflauen. Im gleichen Schuljahr wird demnach auch erstmals die Zahl der fertig ausgebildeten Lehrkräfte, inklusive Vorbereitungsdienst, die Anzahl der notwendigen Einstellungen übersteigen. Damit wären theoretisch mehr Lehrer vorhanden, als Sachsen zur Kompensation von Lehrern, die in den Ruhestand gingen, ausgleichen müsste. Piwarz gibt sich dennoch nur vorsichtig optimistisch.
Bei den Grundschulen komme man schon in zwei, drei Jahren aus dem »Tal der Tränen« heraus, so der Minister. Aber: Obwohl in den vergangenen Jahren mehr Lehrkräfte eingestellt wurden als in den Ruhestand gingen, bleibt den Angaben zufolge ein Mangel bestehen. Eine Ursache dafür sei der hohe Schülerzuwachs. Dazu kommen unter anderem die Teilzeitquoten. Piwarz kann sich nicht vorstellen, dass an Schulen künftig Stechuhren Einzug halten. Auch eine Reduzierung der Stundentafel schließt der Minister aus. Bei Gymnasien sei man ohnehin schon an der Mindeststundenzahl angelegt.