Corona an Schulen Was Lehrer, Eltern und Schüler aus den ersten großen Ausbrüchen lernen können

Hinweisschilder am Eingang der Hamburger Heinrich-Hertz-Schule: Wegen 36 Corona-Infektionen waren knapp 400 Schüler und die Hälfte des Kollegiums in Quarantäne
Foto: HANNO BODE / imago images/Hanno BodeFür den Virologen Christian Drosten kamen die Fälle nicht überraschend. Als vergangene Woche über zwei größere Corona-Ausbrüche an Schulen in Hamburg und Rostock berichtet wurde, kommentierte er das auf Twitter zweimal mit den Worten "as expected", "wie erwartet". In den folgenden Tagen gerieten weitere Schulen in Gießen und Saarlouis in die Schlagzeilen, weil sich hier ebenfalls gleich mehrere Schüler oder Lehrkräfte infizierten.
Für die einzelnen Schulen kam das unerwartet. "Dass unsere Schule am 11. September schließen musste, hat mich genauso überrumpelt wie sicher Euch/Sie auch", schrieb etwa die Leiterin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums im Landkreis Saarlouis, wo 18 Personen infiziert wurden. Auch die Leiterin der Heinrich-Hertz-Schule in Hamburg, an der wegen 36 Fällen knapp 400 Schüler und die Hälfte des Kollegiums in Quarantäne mussten, sagte, es habe sie im ersten Moment erschreckt, von der Infektion eines Lehrers zu erfahren. Doch heißt das im Umkehrschluss, die Schulen waren nicht vorbereitet?
Die Länder schreiben den Schulen zumindest klar vor, was sowohl bei einem Verdachtsfall als auch einem positiven Testergebnis zu tun ist: nämlich melden. "Ich habe sofort an das Gesundheitsamt, meine Schulaufsicht und das sogenannte Corona-Postfach der Schulbehörde geschrieben", sagt Susanne Hilbig-Rehder aus Hamburg. "Das Gesundheitsamt hat dann genau die Frage gestellt, auf die wir uns im Leitungsteam parallel schon vorbereitet haben: Wer hatte wann mit wem Kontakt?"
Knackpunkt Kommunikation
Die Schulleitungen haben in dieser Ausnahmesituation gemeinsam mit den örtlichen Gesundheitsämtern viel zu tun, berichtet Hilbig-Rehder: Rückverfolgung, Testorganisation und schließlich Neuplanung des Unterrichts, wenn alle oder Teile der Schulgemeinschaft in Quarantäne und damit in den Distanzunterricht geschickt werden.
Einer der ersten Knackpunkte ist die Kommunikation. An ihrer Schule sei das zwar gut gelaufen, sagt Anke Treuner-Lange, Vorsitzende des Schulelternbeirats der Liebigschule im hessischen Gießen, an der wegen 15 bestätigter Fälle einige Klassen zeitweise geschlossen wurden. Doch sie könne nur jeder Schule raten, "aktualisiert Eure E-Mail- und Telefonlisten".

Hundertwasser-Gesamtschule in Rostock: Nachdem klar war, dass es in allen Kohorten Infektionen gab, machte die ganze Schule dicht
Foto: Bernd Wüstneck / dpaAuch Rostocks Schulsenator Steffen Bockhahn sagte dem SPIEGEL, die Stadt habe aus dem ersten kleineren Corona-Fall gleich nach den Sommerferien gelernt und die Schulen aufgefordert, ihre Kontaktdaten zu aktualisieren. Das habe sich bei dem Ausbruch an der Hundertwasser-Gesamtschule bewährt, als täglich 850 Betroffene informiert werden mussten. Das Gesundheitsamt hatte letztlich wegen 18 bestätigter Corona-Fälle an der Schule für alle Schüler und Lehrer häusliche Quarantäne angeordnet.
Entscheidung liegt beim Gesundheitsamt
Im ersten Moment ist das Ausmaß eines Ausbruchs für die Schulen schwer absehbar. Abhängig davon, ob es bei wenigen Fällen bleibt oder mehr und mehr Infektionen dazukommen, ändern sich die Vorgaben ständig. So sollten in Rostock zunächst nur einzelne Klassen zu Hause bleiben, doch nachdem klar war, dass es in allen Kohorten Infektionen gab, machte die ganze Schule dicht. In Hamburg lief der Schulbetrieb dagegen trotz der hohen Zahl der Infizierten für die meisten Klassen weiter.
Die Entscheidung liegt beim örtlichen Gesundheitsamt, bundesweit einheitliche Vorgaben, in welcher Situation welche Maßnahme getroffen wird, gibt es nicht. Das sorgt bei den Betroffenen teils für Unverständnis, berichtet Anne Bunte, Abteilungsleiterin Gesundheit im Kreis Gütersloh. Der Kreis Gütersloh stand laut RKI im deutschlandweiten Negativranking der meisten Coronafälle am Freitag auf Platz sieben; durch zwei Partys seien nun auch neue Infektionsketten in Schulen aufgetaucht. "Wie man es auch macht: Für die einen machen wir zu viel, für die anderen zu wenig." Schicke man eine Klasse in Quarantäne, komme die Frage, warum nicht der ganze Jahrgang; schicke man einen Jahrgang in Quarantäne, fragten Betroffene, wieso nicht nur die eine Klasse.
Besonders umstritten sind Schließungen auf Verdacht. So wurde in Rostock im Zusammenhang mit dem Schulausbruch auch eine Kitagruppe kurzzeitig dichtgemacht - obwohl es noch kein Testergebnis gab. Schulsenator Bockhahn verteidigt das Vorgehen, dass jeder Fall letztlich individuell beurteilt werden müsse. Allerdings wünschte er sich in akuten Ausbruchssituationen mehr Test- und Laborkapazitäten, damit weniger auf Verdacht gehandelt werden müsse.
Schulpflicht trotz Corona
Auf der anderen Seite gibt es Eltern, die ihre Kinder bei Corona-Ausbrüchen in anderen Klassenstufen am liebsten sofort zu Hause lassen würden. Die haben aber in der Regel keine Wahl. "Die Schulpflicht wird ja nicht ausgesetzt", sagt Schulleiterin Hilbig-Rehder aus Hamburg. In vielen Bundesländern gibt es allerdings die Möglichkeit, einen Härtefallantrag zu stellen, zum Beispiel wenn das Kind eine Vorerkrankung hat. In Baden-Württemberg dürfen die Eltern sogar ohne Attest entscheiden, dass die Kinder zu Hause unterrichtet werden sollen.
Die Schulpflicht allerdings gilt auch dann weiter - wenn auch auf Distanz. Der Schulleiter aus Rostock musste aus der Quarantäne heraus nicht nur mit dem Gesundheitsamt kommunizieren und die Schüler- und Elternschaft informieren, sondern auch den Distanzunterricht organisieren, berichtet Rostocks Schulsenator Bockhahn.
Dabei stehen die Schulen dann vielerorts immer noch vor den altbekannten Problemen: fehlende Medienkompetenz, Infrastruktur oder technische Ausstattung. Die versprochenen Leihgeräte für Schüler sind etwa an den Schulen in Rostock und Gießen noch nicht angekommen. Den Schulen werde beim Ausbau der digitalen Infrastruktur viel versprochen, doch passiert sei wenig, sagt Elternbeirätin Treuner-Lange aus Gießen. "Unsere Lehrer stehen manchmal mit ihrem Handy im Treppenhaus, halt da, wo es Ihnen gelingt, mit ihren privaten Endgeräten eine Hotspot-Verbindung aufzubauen, das finde ich schon traurig." In Hamburg und Gießen mussten mangels Lehrern vor Ort auch Schüler aus der Distanz unterrichtet werden, obwohl sie gar nicht in Quarantäne waren.
Bei Corona-Ausbrüchen gilt Maskenpflicht im Unterricht
Wenn der Unterricht trotz Infektionen in anderen Klassen weitergeht, gilt im Unterricht Maskenpflicht - auch darüber entscheidet das Gesundheitsamt. An ihrem Gymnasium in Gießen habe die Schulgemeinde diese notwendige Maßnahme mitgetragen, aber sie mache den Schulalltag nicht einfacher, sagt Anke Treuner-Lange. Sie wisse etwa aus den Erzählungen von Schülern und Lehrern, dass dies die Kommunikation im Unterricht erschwere und eine Reihe von Schülern über Kopfschmerzen und Müdigkeit klagten.
Bemerkenswert sei aber, wie viel entspannter das Gesundheitsamt eine neu auftretende Infektion beurteile, wenn die Schüler im Unterricht eine Maske trugen, sagt Treuner-Lange. Dies sei in der 6. Klasse der Fall gewesen. "Hier hat das Gesundheitsamt nicht angeordnet, dass die ganze Klasse zu Hause bleiben muss. Die Schule hat aus Vorsicht allerdings trotzdem entschieden, die Klasse für ein paar Tage aus der Distanz zu unterrichten. Das kam bei den Eltern auch gut an", sagt die Vorsitzende des Schulelternbeirats.
Um das Ausmaß der bisherigen Covid-19-Ausbrüche an Schulen einordnen zu können, ist es hilfreich, dies Zahlen im Verhältnis zu sehen. Während des Vorfalls an der Heinrich-Hertz-Schule waren an allen anderen Schulen in Hamburg nur 14 der insgesamt rund 9500 Klassen in vorbeugender Quarantäne, sagte Schulsenator Ties Rabe, also gerade einmal 0,15 Prozent. Allerdings ist das immer nur eine Momentaufnahme. Stand jetzt befänden sich insgesamt 40 Klassen zu Hause, teilte die Schulbehörde am Donnerstag mit - das sind 0,42 Prozent.
Zum Vergleich: In Bayern waren zuletzt rund 8800 Schüler in Quarantäne, rund 0,5 Prozent aller Schüler. Baden-Württemberg meldete am Freitag 225 betroffene Klassen, 0,3 Prozent. Doch die Entwicklung ist regional sehr unterschiedlich, in Stuttgart stieg die Zahl der betroffenen Schulen parallel zum Infektionsgeschehen in der Landeshauptstadt zuletzt schnell.
Die vier besonders stark betroffenen Schulen, die hier beschrieben wurden, kehren inzwischen zum Regelbetrieb zurück. In Hamburg und Gießen werden schon wieder alle Schülerinnen und Schüler vor Ort unterrichtet, in den anderen beiden Städten sollen die Klassen am Montag wieder im Schulgebäude sein.