Coronakrise Leopoldina gegen generelle Maskenpflicht an Schulen

Unterricht mit Maske während eines sogenannten Sommercamps in Hessen
Foto: Andreas Arnold/ dpaDer Start ins neue Schuljahr ist für die Politik in Corona-Zeiten eine heikle Gratwanderung. Die Schulausbildung von Millionen Kindern hat in den vergangenen Monaten stark gelitten, sie muss schleunigst wieder auf ein normales Niveau zurückkommen, gerade für benachteiligte Schüler ist das essenziell. Doch dann ist da auch die Gefahr neuer Ansteckungen, wenn der Schulbetrieb wieder regulär läuft. Am Ende könnten die Schulen gezwungen sein, wieder zu schließen.
In dieser Situation versucht ein Team von Forschern der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, mit einer Stellungnahme für Orientierung zu sorgen. Ein "Weiter-so" wie vor Corona komme nicht infrage. "Damit Kinder und Jugendliche ihr Recht auf Bildung unter den Bedingungen einer weiterhin anhaltenden Pandemie wahrnehmen können, sind Anpassungen im Bildungssystem nach wie vor notwendig", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Expertise, die dem SPIEGEL vorliegt.
Die Leopoldina-Gelehrten machen sich große Sorge, dass zu viel Normalität im Schulbetrieb zu dem führen könnte, was viele befürchten: zu einer erneuten Schließung von Schulen und der Rückkehr zum "Homeschooling". Darauf müsse man sich nach Einschätzung der Wissenschaftler vorbereiten, denn mit dem Ausschluss von Teilen der Schule sei auch in den kommenden Wochen zu rechnen. Doch zunächst müsse es ein striktes Regime in den Schulen geben, damit Infektionsherde möglichst lange vermieden werden.
So schlägt die Leopoldina vor, "überall, wo dies umsetzbar ist, kleine feste Kontaktgruppen" einzurichten. Diese sogenannten epidemiologischen Gruppenverbände, "z.B. die Schulklasse oder Stammgruppe in der Kita", sollten untereinander "möglichst wenige Berührungspunkte" haben. Damit erteilt die Akademie den Planungen einiger Bundesländer eine Absage, die gleich mehrere Jahrgänge zu einer epidemiologischen Gruppe zusammenfassen wollen. Die Leopoldina-Wissenschaftler begründen die strikte Trennung damit, dass auf diese Weise Ausbrüche schneller nachvollzogen und unterbrochen werden könnten.
Wie umgehen mit der Maske?
In der heiklen Frage, wann und von wem Schutzmasken getragen werden sollten, gibt die Nationalakademie eine abwägende Empfehlung: "Wenn der notwendige Abstand nicht eingehalten werden kann, sollten Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse einen Mund-Nasen-Schutz auch innerhalb des epidemiologischen Gruppenverbandes tragen." Das heißt, im Klassenzimmer muss nicht in jedem Falle eine Maske getragen werden, nur dann, wenn es die räumliche Situation nicht anders zulässt - wobei das in vielen Klassen der Fall sein dürfte.
Kinder im Grundschulalter können nach Meinung der Wissenschaftler auf eine Maske während des Unterrichts verzichten. Damit tragen die Leopoldina-Forscher der Erkenntnis Rechnung, dass Kinder unter zehn Jahren für die Ausbreitung des Coronavirus eine eher geringere Rolle spielen. Leicht zugängliche Tests sollen zudem ermöglichen, schnell einen Corona-Ausbruch in der Schule aufzuspüren.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen erwarten die Leopoldina-Gutachter, dass im Laufe des Herbstes und Winters ganze Klassenverbände erneut zu Hause bleiben und dort unterrichtet werden müssen. Deshalb plädieren sie für eine "Verzahnung von Präsenz- und Distanzlernen". Die bislang unternommenen Anstrengungen der Schulen für digitale Lernangebote halten sie für nicht ausreichend, sowohl was die Verteilung von geeigneten Computern oder Tablets angeht, als auch die Verwendung von Lernsoftware. "Der Ausbau digitaler Lehr- und Lernmöglichkeiten, insbesondere qualitätsgesicherter didaktischer Konzepte und Materialien, Lernplattformen, das Einüben von Lernstrategien sowie eine gute kommunikative Begleitung sind hierfür wesentlich", schreiben sie.
Dringend mahnen die Forscher an, die digitale Ausstattung koordiniert und bundesweit anzugehen. "Zur Einrichtung der notwendigen digitalen Infrastruktur für die Bildungseinrichtungen wird empfohlen, einen länderübergreifenden Beirat einzusetzen, der die hierfür notwendigen Maßnahmen definiert und deren Umsetzung koordiniert", heißt es in dem Papier. Es sei einfach nicht sinnvoll, dass 16 Bundesländer jeweils eine eigene Software entwickeln, was bei entsprechender Qualität zwei Milliarden Euro kosten könnte.
Einen weiteren Schwerpunkt ihrer Empfehlungen legt die Nationalakademie zudem auf die Eltern und Familien, die "derzeit viele zusätzliche Aufgaben in der Betreuung und Bildung von Kindern und Jugendlichen" wahrnehmen. Aus Sicht der Experten sei es wichtig, Familien "stärker als bislang zu begleiten, zu unterstützen und mit ihnen in Kontakt zu bleiben". Die Wissenschaftler schlagen deshalb regelmäßige Sprechstunden, Coaching-Angebote und Materialien für Eltern vor. Es gehe darum, die "Bildungsungleichheiten so gering wie möglich" zu halten.
Die Nationalakademie hat in den vergangenen Monaten bereits eine Reihe von Stellungnahmen zum Umgang mit der Coronakrise veröffentlicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat verschiedentlich betont, dass sie auf die Expertise der ältesten deutschen Forschungsgemeinschaft mit Sitz in Halle großen Wert legt.