Lehrerverband beklagt Corona-Vorgehen der Länder "Empfehlungen des RKI in die Tonne getreten"

Unterricht Mitte Oktober an einer Hamburger Stadtteilschule
Foto:Daniel Bockwoldt / dpa
Die Schulen trotz Pandemie offen zu halten, hat für die Kultusminister mit Blick auf berufstätige Eltern bislang "oberste Priorität". Und obwohl kritische Werte von Corona-Neuinfektionen in fast allen Städten und Kommunen überschritten werden, werden die Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI) etwa zu einer Rückkehr zu einem Betrieb mit halben Klassen in zahlreichen Bundesländern ignoriert.
Der Deutsche Lehrerverband hat diese Politik der Bundesländer angesichts der verschärften Coronalage abermals scharf kritisiert. "Wir halten es für grundfalsch, dass die Mehrzahl der Bundesländer den Hygienestufenplan der Kultusministerkonferenz und die Empfehlungen des RKI außer Kraft gesetzt und in die Tonne getreten hat", sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger dem "Handelsblatt ".
Präsenzunterricht für schwache Schüler, Fernunterricht für leistungsstarke?
"Die Gesundheitsschutzmaßnahmen an Schulen dürfen nicht vom ansteigenden Infektionsgeschehen in Deutschland und den für den Rest der Gesellschaft im Lockdown-Monat November geltenden Verhaltensregeln komplett abgekoppelt werden", sagte Meidinger. Er fordert von der Politik "klare Maßgaben", ab welcher Neuinfektionsrate (Inzidenzzahl) auch Schulen ihre Gesundheitsschutzmaßnahmen verschärfen müssten bis hin zur Wiederherstellung der Abstandsregel mit halbierten Klassen und Hybridunterricht. "Bei der Art der Umsetzung will der Lehrerverband den Schulen vor Ort aber einen großen eigenen Ermessensspielraum einräumen", sagte Meidinger.
Das Robert Koch-Institut hatte im Oktober in einem Papier beschrieben, dass Corona-Ausbrüche in Schulen seit der Wiedereröffnung "in zunehmendem Ausmaß beobachtet" würden. Das RKI-Konzept sieht vor, ab einem Wert von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen Mundschutz zumindest für ältere Schüler auch während des Unterrichts vorzuschreiben. Geteilte Klassen für zeitversetzten Unterricht empfiehlt das RKI ab einem Wert von 50.
"An der einen Schule kann eine Verkleinerung der Lerngruppen so erfolgen, dass besonders förderungsbedürftige Kinder weiter im Präsenzunterricht bleiben und andere, die von den Eltern zu Hause unterstützt werden können, verstärkt Homeschooling betreiben", schlägt Meidinger nun vor. Ein Gymnasium könne die Schüler der Unterstufe in der Schule belassen, während die Oberstufe "vorübergehend in das distance learning geht". Wichtig sei aber, dass reagiert werde. "Derzeit lässt die Politik die Schulen weitgehend allein."
Elternverbände fordern "freiwilligen Distanzunterricht"
Ein ähnlicher Vorschlag kommt auch von den bayerischen Elternverbänden. Sie fordern, dass geeignete Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit bekommen sollten, freiwillig in den Distanzunterricht wechseln. Das entlaste die hygienische Situation im Klassenraum und nehme vielen Eltern die Sorge vor Ansteckungen, schreiben sie in einem offenen Brief an Ministerpräsident Markus Söder.
Die Politik solle den Schulen in der Pandemie endlich "klare Regeln und Ansagen" machen und die Eltern regelmäßig und verständlich über Entscheidungen informieren.
Unmut gibt es auch bei den Eltern in Nordrhein-Westfalen, die sich ebenfalls in einem offenen Brief an die Politik wandten. Sie thematisierten, dass die Familien und Lehrkräfte das Vertrauen in die Maßnahmen verlören, wenn die Politik sich nicht an Empfehlungen des RKI halte "und lediglich Vollbetrieb ohne Rücksicht auf das aktuelle Infektionsgeschehen oder Schulschließungen mit reinem Distanzunterricht" zulasse. Gesundheits- und Schulministerium in Nordrhein-Westfalen hatten es zuletzt verboten, die Hälfte der Schülerinnen und Schüler digital zu unterrichten
Da weitere Schutzkonzepte wie Anschaffung von Lüftern oder Entzerrung des Schülerverkehrs zu viel Vorlauf benötigten, bleibe aktuell nur eine Option: "Verkleinerung der Gruppen – jetzt sofort". Die Möglichkeit zum Präsenzunterricht sollten je nach Altersstufe und Förderbedarf berücksichtigt werden.
"Falsche Lösungsansatz"
Die bundesweit organisierte Interessengruppe "Eltern in der Krise" hält die Forderung nach Teilschulschließungen hingegen für den "falschen Lösungsansatz, da er die negativen Folgen auf die Bildung der Schüler*innen völlig unberücksichtigt lässt". Sie verweist darauf, dass das Infektionsgeschehen an Schulen nicht so hoch sei. Das Problem sei viel mehr, dass zu viele Schülerinnen und Schüler in Quarantäne müssten. Das sei angesichts der Hygienemaßnahmen wie Maske tragen im Unterricht und Lüften aber nicht mehr zwingend geboten. Das Saarland hat seine Vorgaben an die Gesundheitsämter bereits entsprechend angepasst.