Klaus Zierer

Lernen in der Pandemie Mit Schulfernsehen gegen die Bildungskatastrophe

Klaus Zierer
Ein Debattenbeitrag von Klaus Zierer
Der Vorrang von Schulen und Bildungseinrichtungen in der Pandemie? Alles nur Lippenbekenntnisse, sagt Pädagogikprofessor Klaus Zierer und fordert: Zur Not gehören die Kinder jetzt vor die Glotze.
Foto: Frédéric Cirou / imago images / PhotoAlto

Es ist nicht nur für einen Erziehungswissenschaftler ernüchternd zu sehen, was bildungspolitisch in den letzten Wochen und Monaten passiert ist, sondern auch für einen Vater von drei schulpflichtigen Kindern. Während die Wirtschaft läuft, werden Schulen geschlossen. Die noch im Dezember zu vernehmenden Bekundungen, dass Bildung wichtig sei, sind heute nur noch Lippenbekenntnisse.

So kann man es drehen und wenden, wie man will, und geradezu mantrahaft behaupten, dass dieses Schuljahr zwar kein normales sei, aber dennoch kein verlorenes. Richtig ist: Nach einem kompletten Jahr, in dem kein normaler Unterricht stattgefunden hat, ist davon auszugehen, dass bereits zwei Schuljahre verloren sind.

Nun macht die Not offensichtlich nicht immer erfinderisch. Ein pädagogischer Masterplan zur Corona-Pandemie liegt nicht vor, stattdessen hofft man weiterhin, dass Homeschooling funktioniert. Und das einzige, was man getan hat, ist die Anschaffung von Laptops und Tablets sowie der Ausbau von Plattformen.

Dass all das aber weder reicht noch wirksam ist, belegen Forschungen zum Fernunterricht schon lange. Und selbst die wenigen Studien aus dem Lockdown des letzten Jahres untermauern dies: Homeschooling reicht an einen Präsenzunterricht nicht heran, selbst in Ländern, die weitaus digitalisierter sind als Deutschland. Zudem kommt es zu dramatischen negativen Effekten in bildungsfernen Milieus, die aus ökonomischer Sicht noch mehrere Jahre Folgen haben werden.

Fehlende Kompetenzen, sinnlose Rollenverteilung

Wenn ein Land wie Deutschland die Digitalisierung, so hört man es immer wieder, wirklich verschlafen hat, dann kann die Krise nicht der Heilsbringer sein. Zwar lassen sich in der Kürze der Zeit Löcher im WLAN stopfen und flächendeckend Geräte verteilen, aber die dafür notwendigen Kompetenzen können nicht per Knopfdruck angeschaltet werden.

So haben im Durchschnitt weder die Lernenden die Kompetenzen, von zu Hause aus eigenständig zu arbeiten, noch die Lehrpersonen die Voraussetzungen, um die digitalen Endgeräte pädagogisch sinnvoll einzusetzen. Eltern hier zudem in die Rolle von Ersatzlehrpersonen zu drängen, ist nicht nur sinnlos, sondern sogar verantwortungslos.

Und so kommt es, dass an jeder Schule und in jeder Klasse das Rad des Homeschoolings neu erfunden wird – manchmal besser, meistens schlechter: Server brechen zusammen; nur PDFs werden verschickt; Lernende verschwinden bei der Videokonferenz im Dunkeln des Netzes; Feedback ist eine Seltenheit und viele andere Probleme mehr. So gewöhnen sich Lernende vor allem an eins: Nichtstun. Vor diesem Hintergrund ist es nicht alarmistisch, sondern realistisch: Eine Bildungskatastrophe droht.

Mut zur Glotze

Derweil liegt eine Alternative so nahe, die bereits in den Siebzigerjahren im Zug der Diskussionen um die damals befürchtete Bildungskatastrophe im Anschluss an Georg Picht eingeführt wurde und heute gesetzlich und institutionell verankert ist: das Schulfernsehen. In jedem Haushalt gibt es einen Zugang zum Fernsehen, muss doch jeder Haushalt GEZ bezahlen.

Bei allem pädagogischen Bedenken gegenüber dem Fernsehen, in dieser Krise könnte es zum Heilsbringer avancieren. Aber nicht als bloßes »Glotze an« und irgendwelche Sendungen laufen. Sondern dank einer Digitalisierung auf einem umfangreichen und vielfältigen Weg.

Wie könnte dieser aussehen? Viele Sender haben bereits Angebote, der entscheidende Schritt aber fehlt: Für jede Klassenstufe könnte vonseiten des Ministeriums ein Krisenstundenplan entwickelt werden, mit festen, fokussierten und rhythmisierten Sendezeiten. Diese könnten didaktisch so aufbereitet werden, dass Lernende zumindest flächendeckend die wichtigsten Inputs erhalten und durch digitale Angebote, wie Quizfragen und Portfolios, erweitert werden.

Lehrpersonen könnten sich damit auf das Wesentliche konzentrieren: Feedback einholen und geben. Ob die Aufgaben dann per Post verschickt, bei einer Erledigungsfahrt an der Schule abgegeben oder digital eingereicht werden, all das würde keine Rolle spielen. Lernende hätten so eine Struktur, Lehrpersonen eine Unterstützung, Eltern eine Entlastung. Eine Bildungskatastrophe könnte sich so zwar nicht verhindern, aber doch abfedern lassen – und selbst die Umwelt würde davon profitieren, weil eine zentrale Ausstrahlung wesentlich CO₂-freundlicher wäre als tausendfache Streams.

Dass auch das Schulfernsehen Präsenz nicht ersetzen kann, steht außer Frage: Der soziale Kontakt ist das Bildungselixier und fehlt. Es ist also nur für den Notbetrieb gedacht. Aber auch im zukünftigen Regelbetrieb kann es wertvolle Dienste zur Vertiefung und Ergänzung leisten: Zusammen mit didaktischem Begleitmaterial, in Mediatheken gespeichert, können die fachlichen Inputs als eine Art digitales Schulbuch fungieren. Und damit zur Basis für nachhaltige Unterrichtsverbesserungen werden – beispielsweise im Konzept des Flipped Classroom, in dem die eigenständige Stoffvorbereitung der Schülerinnen und Schüler eine entscheidende Kompetenz ist.

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