Die Kultusministerkonferenz und der Streit über die Schulstrategie Präsenzunterricht, Homeschooling oder längere Ferien?

Unterricht in einer 5. Klasse in Hessen (Archivbild)
Foto:Boris Roessler / dpa
Seit 11 Uhr am Montagvormittag sitzen die Bildungs- und Kultusminister der Länder in einer Videokonferenz zusammen. Eineinhalb Stunden lang wollen sie über Schulstrategien nach dem aktuellen Shutdown reden – die Frage also, wie es weitergeht, wenn ab 11. Januar die Weihnachtsferien überall offiziell vorbei sind.
Fraglich ist, ob 90 Minuten dafür ausreichen. Denn der Kultusministerkonferenz (KMK) fehlt eine einheitliche Strategie. Flächendeckender Präsenzunterricht? Hybridunterricht mit einem Teil der Kinder und Jugendlichen in den Klassen, dem anderen Teil im Distanzunterricht zu Hause? Kompletter Fernunterricht für alle? Oder werden die Ferien möglicherweise noch einmal verlängert, ohne jeglichen Unterricht für eine oder zwei weitere Wochen?
Letztlich entscheiden werden das zwar die Kanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten bei ihrem Treffen am Dienstag. Da könnte eine gemeinsame KMK-Empfehlung hilfreich sein. Doch eine einheitliche Linie oder Strategie ist bei den Kultusministern bisher nicht zu erkennen – und angesichts der Äußerungen im Vorfeld ist es auch fraglich, ob ein solches gemeinsames Vorgehen überhaupt möglich wäre.
Was die Bildungsminister wollen
Zu den konsequentesten Vertreterinnen einer flächendeckenden Schulöffnung gehört Susanne Eisenmann, CDU-Kultusministerin in Baden-Württemberg. Sie hatte schon im Dezember für eine schnelle Rückkehr zum Präsenzunterricht unabhängig vom Infektionsgeschehen plädiert – und dafür viel Kritik geerntet. »Es gibt viele Kinder – vor allem aus sozial schwächeren Verhältnissen –, die beim Lernen leider keine Unterstützung ihrer Eltern erhalten«, sagte Eisenmann am Montag der »Stuttgarter Zeitung«.
Insbesondere jüngere Kinder benötigten dringend die Struktur und Stabilität, die Schulalltag und Präsenzunterricht ihnen vorgeben, sagte die Ministerin. Wichtig seien auch die sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen und Lehrkräften. Das würden auch Kinderärzte und Schulpsychologen betonen.
Zustimmung zu dieser Position gibt es aus Nordrhein-Westfalen. Schulministerin Yvonne Gebauer hatte zwar zuvor einen Stufenplan vorgestellt, bei dem je nach regionaler Infektionslage ältere Schülerinnen und Schüler ab der 8. Klasse im Distanzunterricht lernen sollen – allerdings erst ab einem Inzidenzwert von 200 Infektionen je 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche. Das Robert Koch-Institut hatte demgegenüber deutlich verkleinerte Lerngruppen bereits ab einem Inzidenzwert von 50 empfohlen.
Eine ganz andere Strategie verfolgt Bildungsministerin Karin Prien (CDU) in Schleswig-Holstein: Sie will die Schulen in ihrem Bundesland zunächst weiter geschlossen lassen. »Angesichts des Infektionsgeschehens und der unsicheren Datenlage bin ich Schulöffnungen im Präsenzunterricht zum 11. Januar gegenüber sehr skeptisch«, sagte sie der »Bild«-Zeitung. »Jetzt kommt es darauf an, die Fortschritte des digitalen Lernens auszuschöpfen.«
Es sei richtig, dass auch Schulen einen Beitrag leisten müssen, wenn der Lockdown verlängert werde. Dies eröffne die Möglichkeit, »dass unsere Schulen bald wieder Präsenzunterricht anbieten«. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte für Hamburg ebenfalls angekündigt, dass Eltern noch länger mit Distanzunterricht rechnen sollten. Dies sei bis Ende Januar möglich.
Auch in Bayern hat sich Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) gegen eine Wiedereröffnung der Schulen am kommenden Montag ausgesprochen. »Wenn ich mir die aktuellen Infektionszahlen ansehe, gehe ich nicht von einem allgemeinen Präsenzunterricht für alle aus«, sagte Piazolo der »Augsburger Allgemeinen«.
Eine Kombination aus veränderten Ferienzeiten und Distanzunterricht strebt Thüringen an. Die Winterferien, die ursprünglich in der zweiten Februarwoche liegen sollten, werden vorgezogen. Das kündigte Bildungsminister Helmut Holter (Linke) am Montag im Mitteldeutschen Rundfunk an. Die Ferienwoche soll demnach auf die letzte Januarwoche vorverlegt werden, bis dahin gebe es Unterricht zu Hause. Ausgenommen davon seien nur die Abschlussklassen, sofern sich die Schülerinnen und Schüler vorher einem Schnelltest unterziehen.
Was Bund und Länder wollen
Neben den Fachministern haben sich im Vorfeld der Shutdown-Beratungen auch Landes- und Bundespolitiker zu Wort gemeldet. Bei ihnen überwiegen, anders als bei der KMK, die Plädoyers für eingeschränkten Schulunterricht.
So kann sich Vizeministerpräsident Bernd Althusmann in Niedersachsen einen späteren Schulstart vorstellen. »Am sichersten wäre womöglich ein verzögerter Gesamtbeginn um mindestens 14 Tage. Erst dann können wir die tatsächliche Infektionslage seriös einschätzen«, sagte der CDU-Politiker und Wirtschaftsminister der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«.
Bisher ist für die Grundschüler in Niedersachsen Präsenzunterricht vorgesehen, ab der fünften Klasse ein Wechselmodell. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte am Wochenende mit Blick auf Schulen und die Kinderbetreuung gesagt, dass bei einer Verlängerung des Shutdowns »auch dort Einschränkungen zu erwarten« seien.
Auch die Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU, Sachsen) und Bodo Ramelow (Linke, Thüringen) sprechen sich für eine Verlängerung des harten Lockdowns bis Ende Januar aus – und damit für eingeschränkten Unterricht. Tobias Hans (CDU, Saarland) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, ein Regelbetrieb an Schulen und Kitas im Januar sei kaum denkbar.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bezeichnete die Infektionszahlen als »weiter besorgniserregend hoch«. In den Funke-Blättern sprach sie sich deshalb gegen »eine vollständige Rückkehr zum vollständigen Präsenzunterricht in allen Jahrgängen« aus. Die Lage an den Schulen werde in den nächsten Wochen schwierig bleiben, ein normaler Unterricht sei »in diesen Tagen nicht vorstellbar«.
Was Lehrer, Eltern und Schüler wollen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert, den Lockdown in den Schulen mindestens so lange zu verlängern, bis klar sei, wie sich Silvester auf die Corona-Infektionszahlen auswirke. Die Bundesländer sollten deshalb die Schulschließungen um »mindestens eine Woche« verlängern, sagte GEW-Chefin Marlis Tepe dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer äußerten sich auch in den sozialen Netzwerken und kritisierten die Öffnungspläne der Ministerien. Zur KMK-Sitzung versuchten sie am Montag, den Hashtag #LasstDieSchuleZu trenden zu lassen.
Unterdessen plädiert die Bundesschülerkonferenz für ein Wechselmodell nach den Weihnachtsferien – und wirft den zuständigen Ministerinnen und Ministern Untätigkeit vor. »Die Kultusministerkonferenz tagt 17 Tage nach Ferienbeginn«, sagt Dario Schramm, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, »ich hätte erwartet, dass sie die Ferien von Beginn an zum Ausarbeiten von Konzepten und Gesprächen mit Verbänden genutzt hätten.«
Die Schulen müssten jetzt auf Wechselunterricht in kleineren Gruppen vorbereitet werden. »Einen Schulstart in voller Präsenz ab dem 11. Januar halte ich für unverantwortlich«, sagt Schramm. Außerdem fordert er einen Nachteilsausgleich für die anstehenden Abschlussprüfungen, es müsse heute »klare Ansagen« der KMK geben: »Die Schülerinnen und Schüler haben die gesamten Ferien im Ungewissen verbracht, es gilt endlich Klarheit zu schaffen.«
Der Berliner Landeselternausschuss hat sich dafür ausgesprochen, die Kinder in der nächsten Woche wieder zur Schule gehen zu lassen. »Wir hätten die Schulen gern offen, und zwar im Teilungsmodell«, sagte der Vorsitzende Norman Heise am Montag im RBB. Grundschüler sollten im Wechsel drei Stunden unterrichtet und zweieinhalb Stunden betreut werden, Oberschüler sich täglich oder wochenweise in der Schule abwechseln.
Heise erklärte, beim Lernen zu Hause seien die Lehrkräfte angehalten, die Aufgaben so zu stellen, dass die Schülerinnen und Schüler sie selbst lösen können – ohne elterliche Unterstützung. Zweimal die Woche müssten sich Lehrerinnen und Lehrer melden, um bei den einzelnen Schülern nachzufragen, ob alles in Ordnung sei. »Aus der Praxis wissen wir: Das funktioniert sehr unterschiedlich.« Vor allem bei jüngeren Kindern sei auch noch elterliche Hilfe notwendig.