Debatte über Schulöffnungen "Nichts als Plattitüden"

Klassenzimmer ohne Kinder: Am 4. Mai öffnen in vielen Ländern die Schulen schrittweise wieder
Foto: Roman Pawlowski/ DER SPIEGELIn der Frage, ob, wann und wie die Schulen in Deutschland ihren Betrieb wieder aufnehmen, vermissen Vertreter von Lehrer- und Elternverbänden klare Ansagen von der Politik. Die Kultusministerkonferenz (KMK) fahre nicht auf Sicht, sondern "stochere mit einer langen Stange im Nebel", formuliert es die Bundesdirektorenkonferenz (BDK) in einer harschen Stellungnahme.
"Außer Plattitüden kann oder will die KMK zur Frage, wie denn Schule in Zeiten von Corona bis zu den Sommerferien und danach funktionieren soll, offensichtlich nichts sagen", heißt es in dem Papier. Die BDK ist ein Zusammenschluss von Direktoren der Gymnasien im Land. Bildung brauche Verlässlichkeit, betonen die Schulleiter.
Die Kultusminister hatten am Dienstag - wie von Bund und Ländern gefordert - ein Rahmenkonzept zur Öffnung der Schulen vorgelegt. Demnach soll trotz der Coronakrise jeder Schüler vor den Sommerferien zumindest tageweise die Schule besuchen. Die Minister schreiben aber auch: "Nach dem jetzigen Stand wird vor den Sommerferien aufgrund des Abstandsgebots kein uneingeschränkt regulärer Schulbetrieb mehr möglich sein."
Über die genaue Umsetzung und den Zeitplan des Schulstarts soll jedes Bundesland selbst entscheiden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder wollen an diesem Donnerstag über das Konzept beraten.
Direktoren vermissen "konkrete Szenarien"
Umsetzen müssen die Vorgaben aus der Politik am Ende die Schulleiter und Lehrkräfte in den Schulen, und denen fehlt es an klaren Eckpfeilern. Schulen und Gesellschaft hätten einen Anspruch darauf, dass die KMK konkrete Szenarien entwickle und darstelle, was unter welchen Voraussetzungen realistischerweise wünsch- und machbar sei, kritisiert die BDK. Die jetzigen Vorschläge findet sie deutlich zu vage.
Auch aus Elternsicht bleiben zu viele Fragen offen: "Was heißt es konkret, wenn bis zum Sommer jedes Kind wieder in der Schule gewesen sein soll? Das wissen die Eltern weiterhin nicht", moniert Stephan Wassmuth, Vorsitzender des Bundeselternrates, in der "Süddeutschen Zeitung".
Die Schulen jetzt schon zu öffnen, hält der Vater zudem für "überstürzt". "Wenn man den Präsenzunterricht jetzt wieder hochfahren will, hätte man in den vergangenen Wochen mehr unternehmen müssen", findet er. Nun fehle die Zeit, um den Wiedereinstieg vernünftig zu organisieren. In einigen Bundesländern ist der Unterricht mit Abschlussklassen bereits angelaufen. In den meisten anderen Ländern steht der Schulstart mit den jeweils ältesten Jahrgängen an den Schulen am 4. Mai bevor.
Vorschläge kommen zu spät
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, findet, die Vorschläge der Kultusministerkonferenz hätten viel früher kommen müssen. Die Idee, Schüler im Schichtsystem zu unterrichten, lobte er im Südwestrundfunk jedoch grundsätzlich. Schüler sollten allerdings im wöchentlichen Wechsel in die Schule kommen, nicht tageweise.
Der Verbandspräsident, selbst Schulleiter an einem Gymnasium in Bayern, vermisst ebenfalls klare Vorgaben für die kommenden Wochen. Es müsse geklärt werden, "welche Jahrgangsstufen an welchen Tagen und in welchen Wochen zurückkehren". Die Umsetzung der Hygienevorschriften sei zudem eine Mammutaufgabe. Er wisse, "dass es natürlich vielfach vor Ort große Probleme geben wird".
Aus Sicht des Deutschen Städtetages sind die Hygieneregeln durchaus zu erfüllen. "Die Vorgaben der Kultusministerkonferenz zu Seife und Hygieneplan werden von den Städten als Schulträger selbstverständlich eingehalten werden können", sagte der Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.
VBE warnt vor Überlastung von Lehrkräften
Weil von der KMK immerhin klargestellt wurde, dass ein regulärer Schulbetrieb vor den Sommerferien nicht mehr stattfinden wird, sehen Lehrerverbände dringend Handlungsbedarf bei organisatorischen Fragen: Wie sollen Lehrkräfte Schüler im Wechsel in der Schule unterrichten und beim Lernen zu Hause begleiten?
"Die Lehrkräfte engagieren sich nun seit Wochen, damit die Kinder und Jugendlichen zu Hause weiter lernen können. Das stellt bereits hohe Anforderungen an sie", sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Mit der schrittweisen Öffnung der Schulen kämen weitere Herausforderungen auf die Lehrkräfte zu.
Die eine Gruppe soll vor Ort unterrichtet, die andere Gruppe mit Aufgaben versorgt werden. Doch wer sei dann Ansprechperson für die, die zu Hause blieben? Wer korrigiere Aufgaben? "Wenn eine Lehrkraft allein das machen soll, wird die Schulöffnung zu dauerhaften Überlastungen führen", mahnt Beckmann. Die Kultusministerien seien gefordert, dies in ihren Vorgaben ausreichend zu berücksichtigen.
Allen Schwierigkeiten zum Trotz hat sich der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte dafür ausgesprochen, Schulen ebenso wie Kitas wieder zu öffnen - unter Einhaltung der Hygienevorschriften. Sie forderten von der Politik, dass sie in der Coronakrise insgesamt mehr Rücksicht auf Kinder nehmen müsse.
Für Kinder bedeuteten Abstandsregeln und Kontaktsperren tiefe Einschnitte, sagte Jakob Maske vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte am Mittwoch in der RTL/ntv-Sendung "Frühstart". "Wir als Kinderärzte sagen, dass es sehr schrecklich ist für die meisten Kinder, ihre gesamten sozialen Kontakte aufgeben zu müssen."
Nach wie vor ist umstritten, welchen Einfluss die Öffnung von Kitas und Schulen auf die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus hat. Laut Robert Koch-Institut sprechen mehrere Faktoren dafür, dass Kinder zu einer Verbreitung des neuartigen Coronavirus beitragen. Die kleinschrittige und ans Alter der Kinder angepasste Öffnung von Bildungseinrichtungen sei dennoch derzeit aus fachlicher Sicht vertretbar.