Angst vor Corona Schülerin besteht auf Unterricht auf dem Schulhof

Heinrich Heine-Realschule in Hagen
Foto: Alex Talash / dpaWie gut ist der Infektionsschutz an Deutschlands Schulen? Können Kinder und Jugendliche ruhigen Gewissens im Klassenraum sitzen, ohne besondere Sorge vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus haben zu müssen? Oder nicht? Über diese Fragen gibt es im Verlauf der »vierten Welle« und großer Verunsicherung wegen der Omikronvariante heftige Debatten. Eltern, Lehrer, Schüler und viele andere sind sich uneins.
Im Kleinen spitzt sich der Streit derzeit an einer Realschule in Hagen in Nordrhein-Westfalen zu – was die Debatte im Netz wiederum stark befeuert.
Angst vor Ansteckung – 13-Jährige will nicht in den Klassenraum
Seit Montag besteht eine 13-jährige Schülerin in Hagen darauf, draußen unterrichtet zu werden. Das Mädchen, eine Risikopatientin, hat Angst vor einer Coronainfektion und möchte deshalb nicht mit den anderen Schülerinnen und Schülern aus ihrer Klasse beschult werden. »Es gibt Kinder, die sind nicht geimpft und halten sich nicht an die Regeln. Und mit denen setze ich mich nicht mehr zusammen in einen Raum«, wird die 13-Jährige in der »Westfalenpost« zitiert, die den Fall ebenso wie mehrere andere Medien aufgegriffen hat.
Die Siebtklässlerin ist vorerkrankt und verweigert trotz Dreifachimpfung den gemeinsamen Unterricht mit ungeimpften Schülern. Sie wolle auch ein Zeichen setzen und »auf Missstände rund um die schulischen Coronamaßnahmen hinweisen«, wie es in einem Tweet ihrer Schule heißt. Die Realschule hatte dem Mädchen Tisch und Stuhl auf den Schulhof gestellt. Von dort nahm es trotz Kälte online am Unterricht teil. Während der Pausen oder zum Aufwärmen nutzte die Schülerin einen freien Raum im Gebäude, wie ein Sprecher der Stadt Hagen sagte.
Schulleiterin Corinna Osmann hat Verständnis für die 13-Jährige, wie sie in einem Bericht des WDR sagte. »Wir merken bei unseren Kindern, also bei vielen, dass die Pandemie große Sorgen auslöst, sich anzustecken, Familienmitglieder anzustecken.« Bei der 13-Jährigen sei diese Sorge sehr ausgeprägt, »und ich finde das wichtig, dass sie drauf aufmerksam macht«.
Das Jugendamt schaltete sich schließlich in den Fall ein. »Der Protest ist vielleicht gut gemeint, aber es handelt sich um ein 13-jähriges Kind, das bei Wind und Wetter draußen sitzt und das Ganze nicht überblickt«, sagte Reinhard Goldbach, Leiter des städtischen Fachbereichs Jugend und Soziales, zu dem das Jugendamt gehört, laut »Westfalenpost« .
Die Stadt regte eigenen Angaben zufolge aus Sorge um die Gesundheit eine Stellungnahme des schulpsychologischen Dienstes an, damit der Schule eine Grundlage gegeben werde, Distanzunterricht zu ermöglichen. Eine längerfristige Unterrichtung auf dem Schulhof werfe angesichts der Jahreszeit die Frage »nach dem Gesundheitsschutz und dem Kindeswohl« auf, sagte Stadtsprecher Michael Kaub. Man stehe in Kontakt mit der Familie, die sich kooperationsbereit zeige.
Kompromiss in Sicht – Distanzunterricht in der Schule
Am Donnerstag zeichnete sich ein Kompromiss ab: Die 13-Jährige solle in einem separaten Raum innerhalb des Schulgebäudes online am Unterricht teilnehmen, so der Sprecher, der Rücksprache mit der Schule gehalten hatte. Man habe durchaus Verständnis für die Sorgen des Kindes. Es handele sich um eine »gewisse Spagat-Situation«.
Ein Sprecher der Bezirksregierung betonte, das Recht auf schulische Bildung sei auch in Pandemiezeiten auf »vertretbare, angemessene und vernünftige Art und Weise« umzusetzen: »Man wird das eng begleiten müssen – mit Sorgfalt, Verständnis, aber auch Konsequenz.«
Auf anderen Ebenen läuft die Debatte intensiv und teils unversöhnlich weiter: vor allem zwischen denjenigen, denen der Gesundheitsschutz an Schulen nicht weit genug geht, und denjenigen, die die Schutzmaßnahmen entweder für ausreichend und/oder Schulschließungen und Distanzunterricht für das größere Übel halten. Der Fall aus Hagen polarisiert.
Bei Twitter etwa fand die Schülerin unter dem Hashtag #yasmin umfangreiche Unterstützung. Einige Nutzer zeigten sich »tief beeindruckt von der Courage« der Schülerin, mancher empfahl gar anderen Jugendlichen, die Aktion nachzuahmen. Andere wiederum hielten die Angst des Mädchens für »völlig überzogen« und als besonderes Beispiel für eine aus dem Ruder gelaufenen Debatte über Infektionsschutz und Impfungen. Mancher fand, das Kind werde instrumentalisiert.
Die nordrhein-westfälische Landesschülervertretung lobte die Aktion der 13-Jährigen: »Es ist aber zugleich ein Armutszeugnis, dass es eine solche Aktion braucht«, sagte Vorstandsmitglied Johanna Börgermann. Angesichts der stark steigenden Infektionszahlen müsse es Wechselunterricht geben – und zudem endlich dafür gesorgt werden, dass Onlineunterricht auch zu Hause funktioniere. Einige Lehrerverbände hatten zuletzt ebenfalls den Präsenzunterricht infrage gestellt.
Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, hatte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt: »Ich warne die politisch Verantwortlichen davor, sich die Gefährdungslage für Kinder angesichts der Omikronvariante in der Coronapandemie schönzureden.«
In Nordrhein-Westfalen und vielen anderen Ländern gilt derzeit die Präsenzpflicht. Die Landesregierung verteidigt ihr Konzept mit mehreren Schutzmaßnahmen, die sie kurz nach den Weihnachtsferien noch einmal verschärft hatte. So gilt eine Maskenpflicht. Je nach Schulform werden zwei- bis dreimal pro Woche Coronatests durchgeführt. Präsenzunterricht habe höchste Priorität, heißt es in einer Schulmail , »damit Bildungschancen sichergestellt und psychosoziale Folgeschäden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen verhindert werden können«.