Schulen Wie das zweite Halbjahr laufen soll

Wann die Schulen wieder öffnen, ist unklar (Symbolbild)
Foto: Thomas Trutschel / photothek / imago imagesIm Fünf-Minuten-Takt bestellten einige Schulen die Kinder zum Ende des ersten Halbjahres ins Klassenzimmer. Einzeln. So konnten Lehrkräfte die Zeugnisse unter strikten Abstandsregeln für die Schüler überreichen. Andere verteilten die Dokumente durchs Fenster, verschickten sie per Post oder, wie in Berlin , auf Wunsch der Eltern als eingescannte Kopie per E-Mail. Alles anders als sonst – und so dürfte es im zweiten Halbjahr an den Schulen insgesamt weitergehen.
Bis zum 14. Februar sollten Schulen und Kitas bundesweit grundsätzlich geschlossen bleiben, und zwar »restriktiver« als bisher, so lautete zuletzt die Ansage von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten. Kurz darauf beeilte Merkel sich zu sagen, bei Lockerungen sollten Kitas und Schulen Vorrang haben. Ob und wann es dazu kommt, ist aber unklar.
Die Kultusminister haben die Vorgabe zudem mehr oder weniger streng ausgelegt. Sie brachten außerdem öfter neue Daten für Schulöffnungen ins Spiel, die sie dann wieder verwarfen. So steht nun nicht sehr viel mehr fest, als dass sich die meisten Schüler, Eltern und Lehrer weiter in Geduld üben müssen, wie mehrere Kultusminister entschuldigend sagen. Wie der Unterricht aussehen wird, liegt vielerorts im Nebel. Es lässt sich nur erahnen und ist zudem von Bundesland zu Bundesland verschieden. Ein Überblick in Beispielen:
Baden-Württemberg: »Nicht die Zeit der Verlässlichkeit«
Baden-Württemberg wollte Grundschulen eigentlich ab 1. Februar wieder schrittweise öffnen. Kinder sollten ab Montag auf freiwilliger Basis in Kleingruppen abwechselnd zu Hause und in der Schule lernen, im Wechselmodell. Am Donnerstag schwenkte die Landesregierung jedoch um: Kitas und Grundschulen bleiben bis zum 21. Februar geschlossen, bis nach den Fasnachtsferien.
Das Auftreten der in Südafrika entdeckten Virusmutation habe die Pläne für eine schrittweise Öffnung durchkreuzt, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). »Die Diskussionen um weitere Lockerungen sind erst einmal gegenstandslos geworden«, wurde er in der »Rhein-Neckar-Zeitung« zitiert.
Später stellte sich heraus, dass es sich - unter anderem bei einem Ausbruch in einer Freiburger Kita - nicht um die südafrikanische, sondern um die britische Virusmutation handelt, wie der Landkreis Hochschwarzwald-Breisgau meldete.
Er wisse, dass sich die Bürgerinnen und Bürger über sprunghafte Entscheidungen der Politik ärgerten, hatte Kretschmann gesagt. Aber: »Pandemien sind einfach nicht die Zeit der Verlässlichkeit.«
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
Kultusministerin Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der Union im Landtagswahlkampf, hatte sich wiederholt für frühe Öffnungen starkgemacht. Sie wollte Kitas und Grundschulen schon nach den Weihnachtsferien öffnen, brachte später den 18. Januar ins Spiel, setzte sich aber nicht durch.
Nach der Entdeckung der Virusmutanten ruderte auch das Nachbarland Rheinland-Pfalz zurück. Das Bildungsministerium beschloss entgegen seiner ursprünglichen Planung, an diesem Montag nicht mit dem Wechselunterricht an Grundschulen zu beginnen.
NRW: Distanzunterricht im Klassenraum
Im Düsseldorfer Landtag hätte der Schlagabtausch zu den Schulschließungen kaum heftiger ausfallen können. Ob die Maxime laute »lieber schlecht regieren als gar nicht regieren?«, warf der SPD-Abgeordnete Jochen Ott der Kultusministerin Yvonne Gebauer (FDP) vor. »Nichtstun ist Machtmissbrauch« empörte er sich und kritisierte, dass es keine systematische Vorbereitung gebe, wie der Unterricht nach dem 14. Februar organisiert werden solle. Schulakteure brauchten jedoch dringend Verlässlichkeit und Planbarkeit.
In NRW werden derzeit alle Jahrgänge auf Distanz beschult, und zwar anders als in den meisten Bundesländern auch die Abschlussklassen. Bisher gab es für die Klassen 1 bis 6 eine Notbetreuung. Ott warnte, ältere Schüler, die zu Hause nicht das passende Lernumfeld hätten, gingen dadurch »mehr und mehr verloren«. Gebauer konterte, sie habe das Angebot für solche Schüler nun auf alle Klassenstufen ausgeweitet. Kurzfristig. Eine E-Mail sei in diesen Minuten an die Schulen gegangen. Die Schüler könnten am Distanzunterricht in der Schule teilnehmen.
Wer die Hoffnung gehabt hatte, Schulen in NRW könnten abhängig vom Infektionsgeschehen vor Ort langsam öffnen, wurde enttäuscht. Wechselmodelle seien zwar vorstellbar, sagte die FDP-Politikerin, aber das gehe »nicht isoliert nur in einer Stadt, sondern muss nach fairen Regeln für alle Schulen in NRW erfolgen«.
Damit spielt sich im Kleinen fast das Gleiche wie im Großen ab. Lehrerverbände fordern seit Monaten, Schulschließungen sollten abhängig von vorab festgelegten Inzidenzen erfolgen, wie es das Robert Koch-Institut empfiehlt. Die Kultusminister wollten sich bisher jedoch nicht auf ein entsprechendes, gemeinsames Vorgehen einlassen, sondern halten sich Alleingänge offen: »Kein Land sollte auf ein anderes warten müssen, um seine Schulen zu öffnen«, sagte KMK-Präsidentin Britta Ernst der »Rheinischen Post«.
Niedersachsen macht sein eigenes Ding
Die Landesregierung in Hannover hatte sich frühzeitig mehr oder weniger über die Beschlüsse der Merkel-Runde hinweggesetzt. In Niedersachsen bieten Schulen den Klassenstufen 1 bis 4 sowie den Abschlussklassen Unterricht im Wechselmodell an. Kultusminister Hendrik Tonne, selbst Vater von vier Kindern, verweist unter anderem darauf, dass gerade jüngere Kinder auf Distanz nicht lesen und schreiben lernen könnten. Zuletzt hob Tonne hier die Präsenzpflicht auf. 87 Prozent der Grundschüler nehmen dennoch am Unterricht in der Schule teil. Tonne wertet dies als Hinweis darauf, dass das Modell »als sicher angesehen wird und den Kindern guttut«. Zudem sei es eine »spürbare Entlastung« für Eltern.
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stellte am Sonntagabend einen insgesamt an den Infektionszahlen ausgerichteten Stufenplan für die Lockerung der Corona-Einschränkungen in der ARD-Talkshow »Anne Will« vor. Dem Plan zufolge könnten zum Beispiel Wechselunterricht an den Schulen und uneingeschränkte Trauerfeiern wieder stattfinden, wenn die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche unter 100 sinke. Sinke der Wert unter 50, könnten Hotels und Gastronomie den Betrieb wieder aufnehmen und an den Schulen könnte Präsenzunterricht stattfinden.
Schulminister Tonne hatte schon vor Weihnachten einen Stufenplan vorgelegt, wie es abhängig vom Infektionsgeschehen zu Distanz-, Wechsel- oder Präsenzunterricht kommen kann. Wie es nach dem 14. Februar weitergeht, lässt bisher auch Tonne offen. Der Shutdown laufe noch, eine Bewertung der Wirksamkeit stehe ebenso noch aus wie die Lagebeurteilung durch Bund und Länder, heißt es auf der Website seines Ministeriums. In der Debatte über Schulschließungen hatte die KMK wiederholt auf Präsenzunterricht gedrungen. Bund und Länder setzten jedoch öfter einen strikteren Kurs durch.
Sachsen und Bayern: Früher oder später
In Sachsen werden seit dem 18. Januar nur Abschlussklassen im Präsenzunterricht beschult – mit Ausnahme der Berufsschulen. Diese dürfen laut Kultusministerium ab 8. Februar wieder in den Klassenraum. Alle anderen Schülerinnen und Schüler aber nicht. Wie es auf der Website des Kultusministeriums heißt, »verbleiben sie in häuslicher Lernzeit«. Damit müssen Kinder und Eltern in Sachsen länger auf Schulöffnungen warten als zunächst in Aussicht gestellt.
In Bayern sind die Regeln zwar ähnlich strikt, aber hier kehren die ersten Schüler angesichts sinkender Corona-Zahlen zwei Wochen früher in die Schulen zurück als ursprünglich gedacht. Am 1. Februar starten ausgewählte Abschlussklassen mit dem Wechselunterricht: rund 2,3 Prozent der bayerischen Schüler. Die allermeisten müssen hingegen zu Hause bleiben, Widerstand zwecklos.
Der bayerische Verwaltungsgerichtshof lehnte den Eilantrag einer Familie ab, die sich auf das Grundrecht der Kinder auf Bildung und Persönlichkeitsentwicklung berief. Angesichts der weiter angespannten Pandemielage seien die Schulschließungen »rechtlich nicht zu beanstanden«, eine Alternative zum Schutz von Risikogruppen sei nicht erkennbar, teilte das Gericht am Freitag mit. Die Maßnahme sei außerdem befristet.
Nur wie lang, das ist eben unklar. Umso eindringlicher mahnen Kritiker, die Nöte von Kindern stärker in den Blick zu nehmen. Die Politik treffe Entscheidungen, »die zwar vielleicht im Großen und Ganzen einen Effekt haben, aber bei denen man nicht die Nebenwirkungen auf eine der schwächsten Bevölkerungsgruppen, nämlich die Kinder, berücksichtigt«, kritisierte Kinderärztepräsident Jörg Dötsch im »Tagesspiegel«.
Der Mediziner warnte gerade bei Kindern, die in sozial schwierigen Verhältnissen aufwachsen, vor größer werdenden Bildungslücken, verschleppten Krankheiten, Vernachlässigung und Misshandlung – und all diese Probleme blieben im Zuge der Schulschließungen öfter unbemerkt als sonst. »Dieses unglaublich wichtige Regulativ der Lehrkräfte, die erkennen, was bei einer Familie vielleicht im Moment im Argen liegt«, so Dötsch, »das geht gerade komplett verloren.«
Anmerkung: In einer früheren Version hieß es unter Berufung auf ein veraltetes Zitat von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dass es sich bei der Virusmutation in der Freiburger Kita um die südafrikanische Variante handele. Tatsächlich stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung fest, dass es sich um die britische Variante handelt. Wir haben den Text an entsprechender Stelle präzisiert.