Coronakrise in Köln Grundschulen hissen weiße Flaggen – als Hilferuf

Pädagoginnen am Limit: In Köln wollen fast 60 Grundschulen auf die enorme Belastung in der Coronakrise aufmerksam machen. Die zusätzlichen Aufgaben seien auf Dauer nicht zu schaffen, sagt die Initiatorin.
Von Armin Himmelrath, Köln
Transparent an der Freinet-Schule in Köln (am 22. Dezember 2021)

Transparent an der Freinet-Schule in Köln (am 22. Dezember 2021)

Foto: Armin Himmelrath / DER SPIEGEL

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Der Hilferuf ist auf ein weißes Bettlaken gepinselt: »Wir brauchen dringend Entlastung«, steht neben einem weinenden Smiley geschrieben. Mehrere dieser Botschaften hingen am Mittwochmorgen aus den Fenstern der Freinet-Schule am Kölner Gereonswall. Kollegium und Schulleitung wollten so an ihrem letzten Unterrichtstag vor den Weihnachtsferien deutlich machen: Es geht nicht mehr.

Ein Gefühl, das auch Johanna Schubert immer öfter hat. Sie leitet die Montessorischule an der Kölner Gilbachstraße – und hielt vor ein paar Tagen ihre Erschöpfung fest. Auf einer langen Liste notierte sie, was Grundschulen zusätzlich leisten müssen: 33 Einzelpunkte, vom Kontaktpersonenmanagement bis zur Quarantäneberechnung, vom Konfigurieren der Testsets für die Kinder bis zum Dauerkontakt mit dem Gesundheitsamt, von der Corona-Elternberatung bis zu zahlreichen Überstunden. »Ich bin müde, erschöpft, ausgelaugt«, sagt Schubert. »Aber einen Ausfall kann ich mir nicht leisten, schon allein wegen der Kinder – und wegen der Kolleginnen und Kollegen.« Am letzten Schultag des Jahres, schrieb Schubert, sei es »an der Zeit, deutlich die Belastung der Lehrer*innen und Schulleiter*innen anzuzeigen und für alle sichtbar zu machen«. Mit weißen Fahnen und Tüchern, als Symbolen der Überforderung.

»Manchmal schrecke ich nachts hoch und denke: Ich muss noch prüfen, ob die Ergebnisse der Pooltests für eine bestimmte Klasse gekommen sind.«

Johanna Schubert, Schulleiterin

Ihr Notruf verbreitete sich schnell, fast 60 andere Schulen kündigten für Mittwoch und Donnerstag ihre Teilnahme an der Aktion an. »Für mich war es bewegend und erleichternd zu sehen: Nicht nur ich fühle mich so ausgelaugt«, sagt Karin Leusner, Grundschulleiterin aus dem Stadtteil Ehrenfeld. Auch an ihrer Schule sollen am Donnerstag die mahnenden Transparente hängen, das Kollegium war von der Idee sofort angetan.

Im Gespräch mit dem SPIEGEL erzählt eine andere Schulleiterin von ihrem Arbeitsalltag, ihren Namen will sie lieber nicht in diesem Bericht lesen. Zweimal wöchentlich werde morgens ein Pooltest bei den Kindern ihrer Grundschule gemacht, eigentlich sollen die Ergebnisse aus dem Labor bis zum frühen Abend vorliegen – um dann bei positivem Ergebnis den Familien der betroffenen Klasse rechtzeitig mitteilen zu können, dass ihre Kinder für den nächsten Tag einen negativen Schnelltest-Nachweis benötigen.

»Oft kommen die Ergebnisse aber erst spät am Abend oder sogar erst mitten in der Nacht«, sagt die Rektorin. Sie gehe daher oft erst weit nach Mitternacht ins Bett, nicht ohne vorher mehrfach die Mails zu checken – und stehe um 4 Uhr schon wieder auf, um bei Bedarf noch die Eltern einer betroffenen Klasse informieren zu können. Gesund ist das nicht, das weiß sie. »Aber das ist im Moment der normale Alltag«, sagt sie – und korrigiert sich sofort: »Nein, normal ist daran gar nichts.«

Hilferufe der Freinet-Grundschule in Köln (am 22. Dezember): Kraftakt Präsenzunterricht

Hilferufe der Freinet-Grundschule in Köln (am 22. Dezember): Kraftakt Präsenzunterricht

Foto: Armin Himmelrath / DER SPIEGEL

Auch Johanna Schubert und Karin Leusner berichten von Schlafstörungen wegen der vielen Aufgaben. »Manchmal schrecke ich nachts hoch und denke: Ich muss noch prüfen, ob die Ergebnisse der Pooltests für eine bestimmte Klasse gekommen sind«, sagt Schubert. Am Mittwochmorgen habe sie um 6.15 Uhr das erste Mal mit einer Lehrerin aus ihrem Kollegium telefoniert, es ging – natürlich – um Corona und ein positiv getestetes Kind.

Neben den Abläufen für die Schüler selbst, die Sitznachbarn und den Rest der Klasse gehe es dann auch immer um die Angst vor Covid, vor Ansteckung und möglichen Langzeitfolgen – und ihre eigene Sorge, irgendwann zusammenzuklappen und damit dann auch den Kollaps des Unterrichtsbetriebs auszulösen. Denn die Kommunikation etwa zu den Testergebnissen laufe über die privaten Handys, Diensttelefone gibt es nicht. An einzelnen Schulen hätten deshalb schon Fördervereine darüber diskutiert, ob sie der Schulleitung ein Diensthandy finanzieren.

Krank werden? Keine Option

Dass neben den Rektorinnen und Rektoren auch die Lehrkräfte am Limit agieren, schildert Inés Anhalt, Lehrerin an der Montessorischule. Weil sie eine altersgemischte Klasse hat, sei der Unterricht schon im Normalbetrieb sehr aufwendig vorzubereiten, mit unterschiedlichen Angeboten für die verschiedenen Altersstufen und Lernstände. Kommen, wie das derzeit fast immer der Fall ist, noch ein paar Kinder in Quarantäne dazu, müssen die ebenfalls mit Lernmaterial versorgt werden – eine Mammutaufgabe. »Auch wir Lehrkräfte sind morgens ab 6 Uhr in Rufbereitschaft«, sagt Anhalt. Die weißen Transparente an den Schulfenstern sieht sie als deutliches Zeichen: »Wir können einfach nicht mehr.« Und trotzdem, fügt sie hinzu, sei es natürlich überhaupt keine Option, krank zu werden oder aufzugeben – wegen der Kinder. Und weil die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen dann nicht nur die Corona-Auswirkungen, sondern auch noch die fehlenden Kräfte aus den eigenen Reihen auffangen müssten.

Was fordern die Schulleiterinnen und -leiter mit ihrer Aktion also, so kurz vor Weihnachten?

»Nichts«, sagt Johanna Schubert, »wir wünschen uns nur Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit für die dringend benötigte Entlastung, die wir an den Schulen brauchen.«

Es ist ein verzweifelter Hilferuf. Mehr nicht – aber auch nicht weniger.

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