
Bildungspolitik in der Krise Bye-bye, Sommerferien


Strandszene in Warnemünde (Juni 2019): Normale Sommerferien wird es dieses Jahr nicht geben
Foto: Jens Büttner/ dpaNormalität. Das ist der Maßstab, an dem die Situation in Klassenzimmern und Hörsälen immer noch gemessen wird: Wie weit sind wir, am Ende von Schulschließungswoche Nummer drei, von einem normalen Unterrichtsalltag entfernt? Und wie kommen wir, möglichst schnell, wieder zurück in diese Normalität mit gemeinsamem Lernen im Klassenverband und Seminargruppen in der Uni, mit Kinderlärm auf dem Schulhof und dem Mensa-Besuch in der Mittagspause?
Alles noch in Sichtweite, suggerieren uns die Bildungsministerinnen und -minister der Republik. Und klammern sich krampfhaft an Abiturprüfungstermine, die allenfalls um ein paar Tage verschoben werden, an Arbeits- und Hausaufgaben, bei denen noch ein Hauch von früherem Alltag mitschwingt, und an Regularien, die aus einer ganz anderen Zeit stammen. Wer ausschert aus diesem Chor der Beschwichtiger wird schnell wieder auf Linie gebracht - so wie die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien, die es gewagt hatte, einen Verzicht auf die abschließenden Schulprüfungen vorzuschlagen.
Dabei ist längst klar: Normal ist in diesem Schuljahr überhaupt nichts mehr – nicht das Lernen, nicht das soziale Umfeld, nicht die psychologische Belastung. Das gilt für Grundschüler und Abiturienten, für Studierende und Lehrkräfte in allen Teilen des Bildungssystems. Und selbst wenn Ende April – was ich stark bezweifle – Schulen und Hochschulen wieder geöffnet werden, werden wir Wochen brauchen, um wieder so etwas wie Alltag herzustellen. Deshalb sollten wir aufhören, uns in die Tasche zu lügen: Nein, bis zum Sommer wird es kein normales Lernen mehr geben.
Zeit für radikale Ideen
Von dieser Illusion können wir uns also verabschieden – und uns stattdessen lieber Zeit nehmen für ungewöhnliche Vorschläge und radikale Ideen: nicht als Anordnung von oben, sondern als Diskussionsmaterial für alle, denen die Bildung wichtig ist und die in der aktuellen Krise nach neuen Wegen suchen. Der Vorschlag, auf die Abitur-Abschlussprüfungen und die des Mittleren Schulabschlusses zu verzichten, war so eine Idee, deren Debatte leider sofort wieder abgewürgt wurde.
Gerade die Schulen und das Bildungssystem sollten in diesen Zeiten Stabilität und Sicherheit vermitteln. Mit immer wieder verschobenen Terminen oder Prüfungen unter Extrembedingungen in fast menschenleeren Gebäuden gelingt das ganz sicher nicht – ein klares Umsteuern angesichts der Krise wäre da schon deutlich hilfreicher.
Einen ganz sicher schwierigen und komplizierten, aber möglicherweise gangbaren Weg einzuschlagen, ist immer noch besser, als an Illusionen festzuhalten.
Normale Sommerferien? Wird es in diesem Jahr nicht geben. Und das ist richtig so.