Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft Ich war Hanna

Professor Jan Süselbeck am Trondheimfjord
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Einmal hatte er es sogar auf Platz zwei geschafft, und der Erstplatzierte lehnte den Ruf ab. »Kollegen haben mir schon gratuliert«, sagt er. Dann zog die Uni zurück, es sei im Verfahren etwas schiefgelaufen, und nun müsse die Stelle leider neu ausgeschrieben werden. »Das ist so existenziell bedrohlich und dramatisch in dem Moment, das kann man sich nicht vorstellen«, sagt Germanistikprofessor Jan Süselbeck.
Fünfzehn Jahre lang war er befristet beschäftigt und kämpfte während dieser anderthalb Jahrzehnte um eine unbefristete Stelle an einer deutschen Uni. Mit seinen Bewerbungen kam er oft in die Endrunde, weiter aber nicht. Und ab 2014 durfte er wegen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) auch nicht mehr befristet beschäftigt werden.
Im Sommer 2015 kehrte Süselbeck Deutschland den Rücken. Er war verbittert über das Wissenschaftssystem. Mit Mitte 40 wollte er sein Leben nicht länger von Faktoren bestimmen lassen, die er nicht beeinflussen konnte.
Süselbeck übernahm zunächst eine befristete Professur des Deutschen Akademischen Austauschdiensts in Calgary in Kanada. Danach ging er nach Norwegen. Die Bewerbungsverfahren an der Uni Trondheim sind transparent. Dort teilt man allen Bewerberinnen und Bewerbern mit, wer sich beworben hat. »Im Mai wusste ich, dass ich auf Platz eins stehe, im Juni habe ich eine Lehrprobe an der Uni gehalten, und Anfang Juli hatte ich den Vertrag im Maileingang.« Unbefristet.
Schon seit Jahren kritisieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Gesetz, weil es Kettenbefristungen legitimiert. Vor rund einem Jahr, am 10. Juni 2021, begannen sie unter dem Hashtag #IchbinHanna ihrem Frust Luft zu machen.
Das @BMBF_Bund verschleißt befristete Wissenschaftler_innen und verhöhnt sie auch noch. Zur Erinnerung, dass das WissZeitVG sich gegen Menschen richtet, gebe ich dem wiss. Prekariat ein Gesicht: #IchbinHanna. #95vsWissZeitVG @AmreiBahr @DrKEichhorn #acertaindegreeofflexibility https://t.co/um7JiRC3kW
— Sebastian Kubon (@SebastianKubon) June 10, 2021
Vor Kurzem wurde das Gesetz evaluiert. Fazit: Es hat sich durch die Reform im Jahr 2016 kaum etwas verbessert. Die Vertragslaufzeiten sind immer noch kurz, und 93 Prozent der nicht promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befristet beschäftigt. Bei den Promovierten und Habilitierten sind es 63 Prozent.
»Ich müsste komplett bei null anfangen«
Lisa Janotta gehört zu diesen 63 Prozent. Die promovierte Sozialpädagogin ist 35 Jahre alt und arbeitet zurzeit mit ihrem achten Vertrag an der Uni Rostock. Sie lebt in Berlin und pendelt an die Uni. Für einen befristeten Vertrag umzuziehen, das lohne sich nicht, sagt sie.
Vier Jahre hat sie noch, wenn sie bis dahin keine entfristete Stelle findet, kann sie eine Zukunft an der Uni vergessen. Für eine Arbeit außerhalb der Wissenschaft ist sie aber nicht vorbereitet. »Ich müsste komplett bei null anfangen.« Sie habe in den vergangenen zehn Jahren nur Erfahrungen in der Wissenschaft gesammelt, aber nicht in der Praxis. Mit ihrem Doktortitel gelte sie als »überqualifiziert« für das Gehalt, das in den Berufen bezahlt werde.
Janotta engagiert sich im Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft. Das Netzwerk hat das WissZeitVG ebenfalls evaluiert. Demnach beeinträchtigen die Befristungen auch die Qualität der Forschung: »Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten sich mit wissenschaftlicher Kritik in der Community zurück, weil sie Angst um ihren Vertrag haben.«
Janotta arbeitet nach eigenen Angaben in der Regel 40 Stunden in der Woche, eine Vollzeitstelle hatte sie noch nie. Die alternative Evaluation des WissZeitVG zeigt: »Umso weniger Stunden Wissenschaftler bezahlt bekommen, desto mehr Überstunden machen sie.« Janotta weiß, wie unsicher es ist, auch noch eine nächste unbefristete Stelle zu bekommen, sie weiß, dass sie viel mehr arbeitet, als sie bezahlt wird, dennoch bleibt sie an der Uni. »Ich bin Wissenschaftlerin, habe ein Standing in der Community, warum sollte ich aufhören?«, sagt sie.
Aus eigenem Antrieb
Ihre Arbeit empfinde sie als sinnstiftend und wichtig für die Gesellschaft. Außerdem: »Wenn alle befristeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Arbeit aufgeben würden, würde nicht nur die Forschung, sondern auch die universitäre Lehre zusammenbrechen.«
Es ist oft der eigene Antrieb, der viele Wissenschaftler im System hält. »Am Anfang versteht man das nicht, man ist fasziniert von der Wissenschaft«, sagt Janotta. Erst im Laufe der Jahre werde einem klar, wie das System funktioniere.
Caroline Zeiser hat das System nicht mehr ertragen, sie hat ihre befristete Postdoc-Stelle an einer Fachhochschule gekündigt. »Ich bin krank geworden von der Vorstellung, keine Zukunft zu haben«, sagt sie. Immer wenn der Vertrag ausgelaufen sei, sei es schlimmer geworden. Sie habe Herzrasen bekommen, nicht mehr schlafen können. »Ich brauchte endlich ein Leben, ein Erwachsenenleben.«
Zeiser ist jetzt 41 Jahre alt. Sie sagt, sie habe keine Kinder, weil sie ständig unter Existenzangst gelitten habe. Ihren richtigen Namen will sie nicht in der Presse lesen, sie sei auch gerade mal zwei Monate im neuen Job.
Als Postdoc habe sie 50 Stunden in der Woche gearbeitet; sie habe 16 Semesterwochenstunden Lehre geben müssen, Studierende betreuen, einen neuen Studiengang für die FH entwickeln, Drittmittel einwerben, Kontakte knüpfen. Dabei habe sie ständig unter Druck gestanden, habe sich ständig beweisen müssen, sagt sie. Ältere Kolleginnen und Kollegen mit unbefristeten Verträgen hätten sie gar nicht verstanden, sagt Zeiser, damals sei der Konkurrenzdruck auch noch nicht so hoch gewesen.
Zeiser sagt, dass sie auf einer schlechteren Position gearbeitet hätte, auf 10.000 bis 12.000 Euro im Jahr verzichtet, nur um einen unbefristeten Vertrag zu bekommen. Doch das sei nicht möglich gewesen. Schließlich habe sie der FH ein Ultimatum gestellt: »Wenn ihr meine Stelle nicht entfristet, kündige ich.«
Die Kündigung sei eine Befreiung gewesen. Nun arbeitet sie als IT-Entwicklerin in der Wirtschaft. »Ich fühle mich gesund, habe keine Panikattacken mehr, kann wieder schlafen und mache pünktlich Feierabend.«
Jan Süselbeck, der Professor aus Norwegen, sagt, Deutschland schieße sich selbst ins Knie, indem es gut ausgebildete Wissenschaftler ziehen lasse. Er will nicht zurück nach Deutschland, er muss sich keine Gedanken mehr um einen Plan B machen. Süselbeck wird bald 50 Jahre alt, er lernt jetzt Norwegisch und hat sich eine Eigentumswohnung gekauft.